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Auf der Suche

Ferdinand Försch hat sich von den Konventionen der Komposition gelöst. Aber nicht von seinen 100 Klangskulpturen. Für sie sucht er eine neue Heimat, doch Hamburg ist nicht länger erschwinglich für einen Mann, der eine Frage noch nie gestellt hat: ob es sich rentiert

Von Friederike Gräff

Eine Hofeinfahrt in Hamburg-Wandsbek, davor eine mehrspurige Straße, daneben ein mehrstöckiger Betonklotz. Ein Mann kommt langsam näher, Lederstiefel, Schnauzbart, Zigarette. Sieht wie ein alternder Cowboy aus. Ferdinand Foersch ist Klangkünstler, das ist ungefähr so nischig wie Kühetreiben heutzutage. Bis vor kurzem war das kein Problem; Försch hat immer wieder Mäzene gefunden, die sagten: Hier, zieh in mein Anwesen, da ist noch ein Häuschen frei. Der Betonklotz ist trostlos, aber er bietet immerhin genügend Platz für Förschs 100 Klangskulpturen. Nun wird das Haus abgerissen und eines scheint sicher: In Hamburg wird er nicht unterkommen.

In der Wandsbeker Allee kann man etwas über Klangkunst erfahren, über Töne, die zu Skulpturen werden. Aber diese Kunst braucht Raum, den Försch nicht hat, und so erfährt man etwas über den Preis, den man zahlt, wenn man einen Weg geht, der nicht links und rechts bausparvertragsgesichert ist.

„Beginnen wir mit einer Pause“, sagt Försch und nimmt einen mit in den ersten Stock, wo er einen kleinen Tisch gedeckt hat mit sorgfältig gefalteten Papierservietten und Baumkuchen, den er bei einem Konditor von Ruf gekauft hat. „Sie haben sich schließlich die Mühe gemacht, zu kommen“, sagt er. Früher, als sein Klanghaus noch in Billbrook untergebracht war, in einem alten Backsteinhaus, hat er die GastkünstlerInnen, die zu ihm kamen, wie Könige behandelt.

„Wenn sie einen 30 Jahre alten Whisky tranken, habe ich das herausgefunden und der stand dann auch auf ihrem Tisch.“ Auch als Ausgleich dafür, dass das Honorar nicht üppig war. Die Kulturbehörde hat Försch damals 4.500 Euro jährlich dazu gegeben. Ein Tropfen auf dem heißen Stein, findet er. Deshalb habe er die Honorare für die Gäste aus seiner Privatkasse aufgebessert.

Es stand nicht an Ferdinand Förschs Wiege, einen Beruf ohne Sicherheitsgeländer zu ergreifen, einen, der in keiner Broschüre der Arbeitsagentur steht. Er ist auf dem Land aufgewachsen, in einfachen Verhältnissen und wenn man nach seinen Eltern fragt, erzählt er nur eine, bittere Geschichte, unverständlich noch für den 66-Jährigen. Dass er als kleiner Junge eine Marienfigur geschnitzt hat, lange und mühsam und eines Tages nach Hause kam und die Figur nicht mehr fand. „Wo ist die Maria?“, hat er seine Mutter gefragt. „Ich habe sie verbrannt“, hat sie geantwortet.

Natürlich ist das jetzt sehr küchenpsychologisch, aber die Frage nach dem Respekt für die Arbeit, die man selbst oder ein anderer tut, zieht sich durch Ferdinand Förschs Leben. Er erzählt von einem Journalisten, der vor Jahrzehnten zu ihm in eine Ausstellung getrampelt kam. Es war seine erste in Hamburg und er baute gerade sein Instrument auf, der Journalist aber wollte, dass er für ein Foto posierte. Hinterher erschien eine Kritik, die Försch als vernichtend empfand.

Er erzählt von der Hamburger Kultursenatorin Dana Horákowá, die bei Dienstantritt befand, dass alle Kulturorte mit weniger als 70 Plätzen künftig ohne Zuschuss auskommen müssten. „Es hat niemanden aus der Behörde interessiert, da vorher einmal bei mir vorbeizukommen“, sagt Försch.

Försch hat Schlagzeug, elektronische Musik und Komposition an der Musikhochschule in Stuttgart studiert. Er traf dort auf einen Lehrer, der ihn ermutigte, sein Vorspiel auf einer umgebauten Dachrinne zu bestreiten. „Die anderen Studenten konnten damit nichts anfangen“, sagt Försch. Wahrscheinlich ist nur so zu verstehen, was die Begegnung mit John Cage für ihn bedeutet hat, zu einer Zeit, als sogar die Studierenden strikte Vorstellungen davon hatten, womit man Töne erzeugt, die zu hören sich lohnt. Wenn Försch von der Begegnung mit Cage erzählt, klingt es wie eine Erweckung, wie ein Leben vor John Cage und nach John Cage.

Försch ist damals zu einem Seminar von Cage und dem Choreographen Merce Cunningham nach London gereist. „Er hat einfach gelost, welche Choreographie zu welcher Musik gehören sollte“, erinnert sich Försch. Für ihn wird diese Würdigung des Zufalls als Arbeitsprinzip zur Befreiung: Er verlässt das Korsett der Zwölftonmusik, ab jetzt sind alle Geräusche für ihn gleichwertig. Und er kann seiner zweiten Leidenschaft, dem Handwerken, dem Erfinden und Gestalten mit den Händen, nachgehen: künftig schafft er Musikinstrumente, Klangskulpturen, Plastiken.

Die Begegnung mit Cage hat vieles freigesetzt und dann setzt die Nicht-Begegnung mit Cage etwas weiteres frei. Eine Freundin verschafft ihm eine Praktikumsstelle bei Cages Inszenierung seiner Oper Europeras 1&2 in Frankfurt. Försch sieht Cage am ersten Tag von ferne, am zweiten Tag von ferne, am dritten. „Morgen spreche ich ihn an“, sagt er sich jeden Tag aufs neue, „morgen frage ich, ob wir einmal zusammen arbeiten könnten.“ Er tut es nicht.

Unverrichteter Dinge kehrt er nach Hause zurück. Fragt sich, wie er diese Chance vermasseln konnte. Schließlich überlegt er: „Was würde John Cage tun?“ – „Er würde ihn zu sich holen“, ist Förschs Antwort. Und dann komponiert er ein Stück aus den Tönen C-A-G-E und geht noch weiter. Aus der Anordnung der Noten ergibt sich „nach vielen Untersuchungen“ ein Diagramm und das wiederum übersetzt Försch in eine Skulptur.

Man kann sich diese vielen Untersuchungen gut vorstellen, wenn man zuhört, wie Försch das anhand einer Skizze erklärt, mit einer Mischung aus Stolz und Überraschung, auch nach mehreren Jahrzehnten, wie ihn diese Idee gefunden hat und er sie. An den Wänden hängen die Zeichnungen der ins Dreidimensionale übertragenen Modelle. Auf dem Tisch am Fenster steht ein Abguss der Skulptur. Vielleicht ist ihm diese Arbeit so wichtig, weil sie ihn vom Flüchter zum Erfinder hat werden lassen – vielleicht auch, weil seine Beziehung zu Cage unübersehbar in Erz gegossen worden ist. Zu Ehren von Cages 80. Geburtstag entwickelt Försch Instrumentenskulpturen für die Alte Oper Frankfurt. Kurz vor der Eröffnung stirbt der Komponist. Försch baut seine Arbeit dennoch auf, aber es kümmert niemanden mehr.

Ferdinand Försch hat sich von den Konventionen der Komposition befreit, er ist frei im Kopf, aber er reist mit schwerem Gepäck. Für jedes seiner Instrumente komponiert er nur ein einziges Stück. Das ist auf sonderbare Weise karg und verschwenderisch in einem, und es passt zu jemandem, dessen Fixpunkte Johann Sebastian Bach und John Cage sind.

Försch kann und will sich nicht von seinen Klangskulpturen trennen, deshalb ist er darauf angewiesen, dass man ihm Raum dafür gibt. Und damit kommt ein Modell ins Spiel, das man eigentlich für längst ausgestorben hielt: Mäzene, die zu Försch sagen: Hier ist Platz auf meinem Landgut in Frankreich. Oder: bezieh’doch dieses Haus in Billbrook, es mag nicht glamourös sein, aber Platz gibt es jede Menge.

Die Jahre in Billbrook müssen gute Jahre gewesen sein. Försch lädt vierteljährlich zu Konzerten ein. Dazu kommen Auftritte von Gästen, erstaunliche und fremdartige. Einer hatte einen elektrifizierten, mit Schusswaffen bearbeiteten Kontrabass dabei. Es scheint, als sei es Försch gelungen, diesen Ort mit Experimentierfreude und Ernst zugleich zu bespielen, als habe man hier etwas entdecken können, was mehr war als das Bewusstsein, zu einer Elite zu gehören.

„Die Gäste sollten ohne Furcht kommen“, sagt Ferdinand Försch und das ist der zweite Teil dieser Geschichte, weil in der Berzeliusstraße in Billbrook zwei sehr unterschiedliche Außenseiter aufeinandertrafen: die Liebhaber ungewöhnlicher Klänge und eine Gruppe Sinti und Roma. Laut Försch wollten sie ihn als Nachbarn vertreiben. Er erzählt von einer vage bedrohlichen Atmosphäre und, konkreter, davon, dass er seine Zuschauerbänke auf ihrem Gelände wiederfand. Und wie er sich auf dem Kiez eine Pistole kaufte, mit ihr zu den Dieben zurückkehrte und vielsagend auf den Pistolengriff in seiner Tasche wies. Wie er einen Security-Dienst anheuerte, damit seine Gäste furchtlos zu den Konzerten kommen konnten.

Försch hat einen Sinn für Inszenierung und Effekte, natürlich hat er das als Musiker. Und so wandert man zwischen Kontrasten, zwischen den Haferflocken und der Milch, von denen er sich als Student ernährte, weil das Geld so knapp war und den opulenten Firmenfeiern, bei denen er die Wirtschaftsgrößen von Siemens & Co fremdartigen Klängen zur Speisefolge aussetzte. „Sie haben wirklich zugehört“, sagt er und klingt stolz und überrascht.

In einem Porträt über ihn steht, dass Försch mit 428 Euro Rente auskommen muss. Etwas kommt durch die Arbeit für Luk Percevals Inszenierungen am Thalia-Theater hinzu. Es klingt, als mache ihm die Zusammenarbeit mit den Theaterleuten Freude. So, wie die mit den Kindern, für die er Musikkurse gibt. Mit denen setzt er sich unter einen Baum und sammelt Geräusche.

Vielleicht ist es ganz schlicht und es stimmt beides: die Freiheit und das Angewiesensein. Avantgarde zu sein und „Sounddesigner alter Schule“, wie ein Rezensent geschrieben hat, der es nicht einmal unfreundlich meinte. Sich davon zu trennen, Geräusche in gute und schlechte einzuteilen und gequält zu sein von der Lasertag-Arena, die nachts in Wandsbek unter ihm lärmt.

Aber selbst hier sind seine Tage gezählt. Försch hat ein Faltblatt drucken lassen, „Gesucht! Ein Klanghaus für alle“, steht darauf. Auf den Fotos ringsum sieht man ihn, wie er mit einem kleinen Mädchen ein Instrument baut, man sieht ihn vor einer Wand mit Schlagwerken und, jünger und in strahlend weißem Hemd, umgeben von applaudierenden Zuhörerinnen. Ein Geschäftsmann hat ihm inzwischen eine Halle in Soltau als Unterkunft angeboten. Das ist nicht Hamburg, das ist möglicherweise auch nicht ein Standort, „der nach Möglichkeit als Multiplikator in einem kulturell aktiven Umfeld angesiedelt“ ist, wie es im Faltblatt heißt. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass das Gebäude asbestverseucht ist.

„Ich bin optimistisch und gewillt, trotz aller Widrigkeiten weiter Eisenbahnwaggons zu verschieben“, sagt Ferdinand Försch zum Abschied. Das mit den Eisenbahnwaggons wird man später als Zitat von ihm in einem anderen Text lesen. Vielleicht ein Klang, dessen Echo beruhigend wirkt.

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