: Künftiges Zeitalter der Transparenz
„Whistleblowing“: Künstler*innengespräch mit Angela Richter und Carl Hegemann im Berliner Gorki-Theater
Von Kristof Schreuf
Zuletzt erregte Julian Assange, der Gründer der Internet-Plattform Wikileaks, Aufmerksamkeit, als er Sympathien für die Unabhängigkeitsbestrebungen der Katalanen bekundete. Doch sonst ist es um ihn und andere Whistleblower, die teils unter großen persönlichen Gefahren geheime Informationen an die Öffentlichkeit weitergegeben haben, ruhiger geworden. Der Grund heißt Donald Trump, der gezeigt hat, dass sich mit Unwahrheit und Desinformation, zu denen er sich auch Wikileaks bediente, sogar die amerikanische Präsidentschaftswahl gewinnen lässt.
Sowohl zu Assange als auch zu Trump fand die Theaterregisseurin und Buchautorin Angela Richter, die sich schon mehrfach mit Assange auseinandergesetzt hat, am Freitagabend im KünstlerInnengespräch mit dem Dramaturgen Carl Hegemann im Rahmen des 3. Berliner Herbstsalons im Gorki-Theater unter der Überschrift „Whistleblowing“ treffende Formulierungen. Trump sei ebenso mitteilungsfreudig wie unerträglich, „ein offenes Buch, das keiner lesen will“. Assange dagegen habe mal damit angefangen, „eine Babyklappe für anonyme Informationen“ bereitzustellen. Damit sei es ihm gelungen, „eine Axt in die weltweit anzutreffende Meinung zu schlagen, dass sich gegen die Überwachungsgesellschaft sowieso nichts machen“ ließe. So habe Assange wesentlich beigetragen, dass uns nicht weniger als „ein Paradigmenwechsel“ bevorstehe. Früher hätten wir uns, so Richter, „durch ein Zeitalter der Simulation und der Fiktionalität“ durchschlagen müssen, doch nun beginne „ein Zeitalter der Transparenz“.
Selbst wer Richters These zu steil findet, muss ihr zugestehen, dass sie sie gut belegen kann. Denn ob es die geleakten Aufnahmen der Einsätze amerikanischer Soldaten im Irak betrifft, die aus Hubschraubern auf Zivilisten schießen und das währenddessen auch noch kommentieren, als würden sie ein Videospiel spielen, wie es Wikileaks bekannt machte, oder ob es die Namensbekanntmachungen von Steuervermeidern und -hinterziehern in den Panama Papers und Paradise Papers betrifft oder die sexuellen Belästigungen und Vergewaltigungen junger Schauspielerinnen durch berühmtere männliche Kollegen und Filmproduzenten durch die Zeitungspresse – in sämtlichen Bereichen mehrten sich die Anzeichen, so Richter, „dass sich mit Lügen immer schwerer durchkommen lässt“.
Carl Hegemann erwiderte darauf, dass er genau das Gegenteil erfahre. Früher hätte er mit anderen über „Wirklichkeit“ sprechen können, ohne damit allzu viele Missverständnisse zu produzieren. Erst in den letzten Jahren dagegen habe die „Fiktionalität“ angefangen, etwa im Zugang zu Weltbildern oder in Kommentarspalten, ihr unschönes Haupt zu erheben.
Dann wollte Hegemann von Richter wissen, ob Assange schon mal daran gedacht habe, seine Vorhaben auch künstlerisch anzugehen. Dass sie kein vor Verehrung blinder Fan ist, bewies Richter, als sie über Assange trocken beschied: „Dazu ist er zu geschmacksunsicher.“
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