heute in bremen: „Ein autoritärer Zugriff auf die Universität“
Interview Dominik Koos
taz: Frau Yarar, die zwangsweise Verdrängung von Wissenschaftler*innen aus dem akademischen Betrieb in der Türkei bezeichnen Sie als „akademische Transformation“. Wie wird versucht, das System der universitären Bildung im Sinne einer nationalistisch-konservativen Ideologie umzustrukturieren?
Betül Yarar: Erst gestern wurde der erste Prozess gegen türkische Intellektuelle, die eine Petition für den Frieden im Februar 2016 unterzeichnet hatten, eröffnet. In der Petition wurde das Ende der Militäroperationen gegen die Zivilbevölkerung in den kurdischen Städten gefordert. Rund 140 Wissenschaftler müssen dafür nun mehrjährige Haftstrafen wegen Terrorpropaganda befürchten.
Und der Prozess steht für eine staatliche Strategie?
Von den Reaktionen auf den versuchten Militärputsch sind schätzungsweise 4.000 akademische Mitarbeiter und Professoren betroffen. Was wir beobachten können, ist ein verstärkter autoritärer Zugriff des Staates auf die Universität. Die autoritäre Einmischung in den akademischen Alltag ist nicht nur ein türkisches Problem. Die neokonservative Restrukturierung der Hochschule ist ein Prozess, der viele Teile der Welt betrifft und hat eine 30-jährige Geschichte.
In der Konferenz wird die Umwälzung historisch kontextualisiert. Was hat ein Ihrer Meinung nach neoliberal ausgerichteter Universitätsbetrieb mit den heutigen Entwicklungen in der Türkei zu tun?
Der aggressive Konservatismus der AKP ist nur die sichtbare Seite der Entwicklung. Er ist nur durch die neoliberale Einrichtung des akademischen Betriebes möglich. Universitäten werden nach den Bedürfnissen des Marktes ausgerichtet. Studierende werden zu konkurrierenden Subjekten und Konsument*innen. In dieser Atmosphäre werden Zugriffe des Staates auf die Autonomie der Universität und die Freiheit der Wissenschaft akzeptiert.
Konferenz „Transformation of Academia in Turkey and it’s Impact on German Higher Education“ auf Englisch im Haus der Wissenschaft, 13–19 Uhr.
In der Konferenz sollen auch Gegenstrategien gegen den autoritären Umbau diskutiert werden. Wie kann eine Strategie von kritischen Exil-Akademiker*innen aussehen?
Die Konferenz selbst sieht sich als kritischen Impuls. Wir wollen unser Netzwerk erweitern und kritisches Denken stärken. Wir werden die Augen offen halten, unterstützen und Solidarität organisieren.
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