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Hamburg wird wild

Mit Fördergeld vom Bund will die Umweltbehörde die Natur in den Grünanlagen aufwerten und Schutzgebiete erlebbarer machen. Dabei wird sich mancher umgewöhnen müssen

Muss, wenn es gut läuft, in Zukunft nicht mehr so viel rennen: Feldhase, hier im Naturschutzgebiet Kirchwerder Wiesen Foto: Daniel Reinhardt/dpa

Von Gernot Knödler

Die Besucher Hamburger Parks werden sich umgewöhnen müssen. Statt englischem Rasen und akkuraten Rabatten werden ihnen Wiesen begegnen, statt Tulpen in Zukunft Wildblumen, und die Wälder werden weniger aufgeräumt aussehen. Dafür werde sicher etwas Öffentlichkeitsarbeit notwendig sein, räumte Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) bei der Vorstellung des Naturschutzgroßprojekts „Natürlich Hamburg!“ ein. „Häufig erlebt man, dass naturnahe Bereiche als Verwahrlosung kommentiert werden.“

Bei dem Projekt, das sich über eine Vielzahl von Parks, Naturschutzgebieten, aber auch Ausfallstraßen erstrecken wird, soll der Naturschutz in die Stadtplanung integriert werden. „Es geht uns darum, für das Grün und die Natur etwas zu tun und gleichzeitig für die Stadt und ihre Bewohner“, sagte Kerstan.

Drei Viertel der Deutschen lebten in Großstädten und Ballungsräumen, sagte Matthias Herbert vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) im Rathaus. Deshalb fördere der Bund seit 2007 urbane Landschaften. In diesem Fall trägt das BfN aus dem Programm für Großprojekte, „Chance Natur“, drei Viertel der Kosten.

Der Naturschutzbund Nabu findet, dass die Umweltbehörde das Projekt an Land gezogen habe, sei ein echter Grund zur Freude. „Die Landwirtschaft ist das größte Problem für den Artenschutz“, sagte der Nabu-Landesvorsitzende Alexander Porschke der taz. „Deswegen ist es wichtig, die Potenziale in der Stadt zu heben.“

In der ersten Projektphase in den kommenden vier Jahren sollen Biologen und Landschaftsplaner prüfen, was getan werden könnte, um Lebensräume für gefährdete Arten zu schaffen, Moore und Bäche zu renaturieren, Wiesen anzulegen, Wälder zu verwildern und Blühstreifen mit wilden Tulpen und Klatschmohn an Ausfallstraßen anlegen.

Zugleich will die Behörde den Zugang zu den Naturschutzgebieten verbessern: im Sinne der Natur, indem Trampelpfade vermieden und Besucher kanalisiert werden; im Sinne der Besucher, indem ihnen Zugang und Beobachtungsmöglichkeiten verschafft werden. „Niemand wird ausgesperrt“, versprach Senator Kerstan.

Im Gegenzug soll auch die Natur nicht von den Parks und Grünanlagen ausgesperrt werden. „Wir haben eine gewachsene Wahrnehmung von Stadtgrün“, sagte BfN-Abteilungsleiter Herbert. Wenn die Behörde den Kontrast zwischen Grünpflege und Naturschutz mildern wolle, kommen sie um einen Dialog nicht herum.

Das Projekt

Natürlich Hamburg!“ besteht aus einer Planungsphase von 2018 bis 2021 und einer Umsetzung von 2021 bis 2032.

Es umfasst 21 Grünanlagen und Parks, 19 Naturschutzgebiete und vier Ausfallstraßen – insgesamt 6.184 Hektar.

Kosten: 23 Millionen Euro. Die Bundesförderung Naturschutz bezahlt davon drei Viertel.

Die Umweltbehörde verspricht deshalb, eng mit den Bezirken, Initiativen, Schulen und Wohnungsgenossenschaften zusammenzuarbeiten. Und die Mitarbeiter beim Management des öffentlichen Raums werden lernen müssen, um die eine oder andere Staudenflur herum zu mähen. „Wir erhoffen einen Lerneffekt für die Kollegen der Grünpflege“, sagte Klaus Hoppe von der Umweltbehörde.

Ist das BfN mit der Planung zufrieden, wird es 2021 das Geld für die Umsetzung frei geben. Weil das BfN das meiste bezahlt, werde ein künftiger Senat wohl kaum zurückrudern, sagte Kerstan.

Das freut auch den Umweltverband BUND. „Das bringt uns einen erheblichen Schritt weiter“, sagte Landesgeschäftsführer Manfred Braasch der taz. Der Senat dürfe dabei aber nicht stehen bleiben und müsse endlich den seit 2010 gesetzliche geforderten Biotopverbund einführen. Dieser soll es Tier- und Pflanzenpopulationen ermöglichen zu wandern und sich auszutauschen, um so ihre Überlebenschancen zu verbessern.

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