Deutsch-polnische Städtekonferenz: Posen unter dem Regenbogen

Jacek Jaśkowiak ist der Shooting Star unter den Stadtpräsidenten in Polen. Am Montag kommt der liberale Politiker zu einer Konferenz ins Berliner Rote Rathaus.

Jacek Jaśkowiak mit der polnischen Regisseurin Agnieszka Holland beim „Marsch der Gleichheit“ in Posen Foto: Andrzej Nowicki/Agencja Gazeta

Was sich Jacek Jaśkowiak wohl bei dieser Tirade des polnischen Außenministers Witold Waszczykowski gedacht hat? Vor zwei Jahren hatte der gegen den Westen gewettert und vor einer „Welt aus Radfahrern und Vegetariern“ gewarnt, „die nur noch auf erneuerbare Energien setzen und gegen jede Form der Religion kämpfen.“ Das, so Waszczykowski weiter, „hat mit traditionellen, polnischen Werten nichts mehr zu tun“.

Am Montag kommt mit Jacek Jaśkowiak nun ausgerechnet der Stadtpräsident von Posen/Poznań ins Rote Rathaus, der seiner Stadt neue Radspuren verschafft und als erstes Stadtoberhaupt Polens an einem Schwulen- und Lesbenmarsch teilgenommen hat. Ob Polens Botschafter, der Statthalter Warschaus in Berlin, der ebenfalls dabei ist, da diplomatische Ruhe bewahren kann?

Berlin und Posen liegen 270 Kilometer auseinander. Der Eurocity schafft die Strecke in drei Stunden. Ebenso lange ist man mit dem Auto unterwegs.

Posens monumentalstes Bauwerk ist das letzte Schloss der Hohenzollern, in dem sich heute ein Kulturzentrum befindet. Posen ist das Zentrum der Autoindustrie in Polen, vor allem VW produziert dort.

Zur Konferenz im Roten Rathaus werden am Montag auch Vertreter aus Warschau und Krakau erwartet sowie Polens Botschafter Andrzej Przyłębski. (taz)

„Städte als Innovationsorte der Zukunft“ heißt das Thema der deutsch-polnischen Städtepartnerschaftskonferenz, und Jaśkowiak wird das Eröffnungsreferat halten. Aus gutem Grund: Als Stadtoberhaupt der 540.000 Einwohner zählenden Stadt hat Jaśkowiak nicht nur den Wirtschaftsstandort gestärkt, sondern auch die Bürgerbeteiligung. Er baut den öffentlichen Nahverkehr aus, während der Autoverkehr peu à peu aus der Innenstadt verbannt wird. In Polen, so schimpfen viele Politiker der strammrechten PiS-Partei, seien die Städte nicht nur „Innovationsorte der Zukunft“, sondern auch Bollwerke gegen die nationalkonservative Wende.

Jaśkowiak, Hobbyboxer, Langstreckenläufer, Unternehmer und als Student Stipendiat in Bielefeld, hat viele Spitznahmen. Einen von ihnen, „Regenbogen-Jacuś“, hat er bekommen, weil er 2015 als erstes polnisches Stadtoberhaupt an der Spitze einer Schwulen- und Lesbenparade ging. „Wir zeigen unsere Identität, Freiheit, Gleichheit. Als Posener wollen wir in dem Teil Europas sein, in dem das wichtigste die Demokratie ist“, rief der Stadtpräsident den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu. Auch in diesem Jahr marschierte Jaśkowiak wieder mit beim „Marsz Równości“, dem Gleichheitsmarsch. Viele der 3.000 Demonstranten hatten T-Shirts mit der Aufschrift „Freie Stadt Posen“ übergezogen. Aber auch die Gegner dieser für polnische Verhältnisse ostentativ zur Schau getragenen Toleranz machten mobil. Auf den Zaun vor Jaśkowiaks Wohnhaus pinselten sie die Parolen „Verräter“ und „Pädo“.

2014 wurde Jacek Jaśkowiak zum Stadtpräsidenten gewählt. Seitdem weht ein anderer Wind durch die altehrwürdige Stadt an der Warthe. Selbst mit der katholischen Kirche legt sich der 53-jährige an. Auf dem zentralen Adam-Mickiewicz-Platz verhinderte er die Aufstellung einer fünf Meter hohen Christusfigur. Darüber hinaus stellte er der Kirche die Nutzung öffentlicher Gebäude in Rechnung. Gleichzeitig engagiert sich Jaśkowiak für die Aufnahme von Flüchtlingen und das Recht auf Abtreibung. „Dżej dżej“, nennen ihn Włodzimierz Nowak und Violetta Szostak von der liberalen Tageszeitung Gazeta Wyborcza, also bei seinen Namensinitialen „J.J“. Dass der Stadtpräsident ausgerechnet diesen Journalisten das Einverständnis für ein Interviewbuch gab, sagt viel aus in Polen. Für Jarosław Kaczynski und seine PiS-Partei ist die Gazeta Wyborcza der Inbegriff eines feindlichen Mediums. Der PiS-Abgeordnete Andrzej Melak verlangt sogar ein Verkaufsverbot für das Blatt an den Tankstellen des Staatskonzerns Orlen.

Wenn Jacek Jaśkowiak am Montag im Roten Rathaus ist, stehen auch Gespräche über eine Intensivierung der Zusammenarbeit beider Städte an. Kooperationen gab es zum Beispiel im Sommer, als das Gorki eine Theater- und Gesprächsreihe unter dem Titel „Berlin-Poznań-Warszawa“ startete. Das Gorki-Theater selbst kooperiert mit dem noch immer unabhängigen Teatr Polski.

Doch auch das liberale Posen ist vor Kulturkämpfen nicht gefeit. Weil die Stadt beim jährlichen Malta-Festival an dem umstrittenen Theaterregisseur Oliver Frljić als Kurator festhielt, strich das Kulturministerium in Warschau die Gelder. Posen organisierte daraufhin eine Crowdfunding-Kampagne, das Festival konnte stattfinden.

Jacek Jaśkowiak

„Wir zeigen unsere Identität, Freiheit, Gleichheit.“

Für Dorota Danielewicz hat die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Posen noch viel Luft nach oben. „Obwohl beide Städte nicht weit voneinander entfernt sind, gibt es viel zu wenig Austausch auf offizieller Ebene“, meint die Publizistin und Schriftstellerin, die in Posen geboren ist und in Berlin lebt. Vielleicht liegt das auch daran, dass Posen wegen seines wirtschaftlichen Erfolgs lange Zeit nur als Messestandort und Stadt der Autoindustrie wahrgenommen wurde. Auch Danielewicz spricht von Posen in einem Essay für das deutsch-polnische Magazin Dialog von einer „Metropole des Pragmatismus“. Doch Posen ist eben beides – eine wirtschaftlich brummende Stadt und ein Ort der Kultur und des zivilgesellschaftlichen Engagements. So erzählt Danielewicz unter anderem von Joanna Stankiewicz, einer Aktivistin der Frauenbewegung und Kulturwissenschaftlerin, die zuletzt Geld für die Flüchtlinge im griechischen Auffanglager „Nea Kavala“ gesammelt hatte. „From Poznan with love“ hieß die Aktion.

Auch der Stadtpräsident verbindet mit seiner Person wirtschaftliches Denken und künstlerischen Impetus. „Freiheit, Demokratie und Offenheit machen auch Gespräche mit Investoren einfacher“, bekannte er in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Polityka. Gleichzeitig ist er stolz darauf, mit der 2004 verstorbenen Liedermacherlegende Jacek Kaczmarski befreundet gewesen zu sein. „Als sein Manager“, weiß Dorota Danielewicz, „soll er sogar die Veränderung seines Repertoires vom politischen in ein eher philosophisches beeinflusst haben“.

Um zwischen beiden Städten ein engeres Netz zu knüpfen, findet im Frühjahr erstmals ein Runder Tisch Berlin-Posen statt, der von der Stiftung Zukunft Berlin organisiert wird. „Beim Treffen in Posen werden wir über eine Kooperation der Posener mit der Deutschen Oper sprechen und auch über eine Zusammenarbeit zwischen der Alten Nationalgalerie und dem Posener Nationalmuseum“, freut sich Reinhard Schweppe, einst deutscher Botschafter in Warschau und nun Leiter der AG Polen bei der Stiftung. Dafür, so Schweppe, gebe es auch in der Posener Stadtverwaltung „eine große Offenheit“.

Ob das so bleibt? Mit seiner Kritik an Vegetariern und Radfahrern hatte Polens Außenminister nicht nur den Westen attackiert, sondern auch jene, die in Polen für den westlichen Lebensstil stehen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die PiS alles daran setzt, bei den Kommunalwahlen nächstes Jahr die Rathäuser der liberalen Städte zu erobern. Derzeit stellen die Nationalkonservativen kein einziges Stadtoberhaupt in einer Großstadt.

In Posen freilich dürfte das nicht so einfach sein. Laut einer neuesten Umfrage kann „Dżej dżej“ damit rechnen, auch nach der Wahl Präsident zu bleiben.

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