: Die Lautsprecher des Libanon
Heavy Metal unter 18 Religionsgemeinschaf-ten: In Beirut sorgt eine kleine Gruppe Musiker für Durchzug in den Ohren und die Frage, ob sie Satan verehren würden. Politik ist diesen Außenseitern eigentlich egal. Aber jetzt langt’s einigen
Aus BeirutJulia Neumann
Ziad Baydoun dreht die Lautsprecher auf, „Bang, bang, Feuer frei“ schreit Rammstein, der Wind weht durchs offene Fenster in Ziads dunkle Locken, mühsam kämpft sich sein Auto den Berg hinauf, hoch ragen die Türme der Sankt Saba Kathedrale in den Himmel. Am Ortseingang streckt die weiße Statue des maronitischen Mönchs Charbel Makhlouf zum Empfang ihre Arme aus, „ein heißer Schrei“ singt Ziad.
Der Mann ist Libanese, Metalfan und Gitarrist in der Thrash Metal Band Madjera. An Straßenecken finden sich Vitrinen mit Heiligenstatuen, am Rand der Schnellstraße bietet ein Geschäft überlebensgroße Marienstatuen an. Ziad fährt mit offenem Fenster und dröhnenden Gitarrenriffs daran vorbei, weiter durch das Qadischa Tal im Nordlibanon, bekannt für seine vielen Klöster.
Ekstase, mystische und antireligiöse Texte, das ist das Konzept von Metal. Wie passt das zu einem Land mit 18 Religionsgemeinschaften, in dem man ohne Religion im Pass erst gar nicht wählen darf?
Ein anderer Mann könnte die Antwort kennen. Bassem Deaïbess ist 1977 geboren, hat Theologie studiert und ist seit den Neunzigern Metalhead. In der Zeit nach dem Bürgerkrieg läuft im Radio Metallicas „The Black Album“ und Iron Maidens „Fear of the Dark“. Bassem Deaïbess fühlt sich angezogen von dem verdrehten Sound, die E-Gitarren transportieren seine Gefühle so, wie es arabische Popmusik nicht schafft. 1995 covert er mit seinem Nachbarn Nirwana und The Offspring, ein Gitarrist und ein Drummer kommen dazu, sie nennen sich Blaakyum. Bassem Deaïbess ist klein, aber groß in der Szene: 2007 spielte Blaakyum in London, 2015 als erste und einzige Metalband auf Wacken, nun üben sie wieder für London. Blaakyum ist die älteste Metalband im Libanon – wegen ihm. Drummer und E-Gitarristen wechselten, Deaïbess ist geblieben. Sein Alter sieht man ihm nicht an, Schnauzer zu langem Bart, schwarze Turnschuhe und eine dunkle Stimme. Wie passt Heavy Metal zum Libanon? „Gar nicht!“, ruft er. „Heavy Metal passt gar nicht, es ist die Musik der Außenseiter, derer, die niemals passen.“
Vor allem passte Heavy Metal nicht in die Gesellschaft des Libanons. „Die Kirche hat mit der Hexenjagd angefangen.“1994 verbindet der französisch-christliche Sender Télé lumière den Suizid eines Generalsohns mit dem Tode des US-amerikanischen Nirwana-Sängers Kurt Cobain, so erzählt es Deaïbess. „Sie behaupteten Heavy Metal tötet unsere Kinder, sprachen von teuflischer Musik, die in unsere Gesellschaft eindringt, geschickt vom Westen.“
1996 wird Metal im Libanon durch die Regierung verboten. Anfang der 2000er lebt die Szene auf, internationale Bands wie Nightwish, Scorpions und Epica spielen auf Festivals. Dann verfolgt die Regierung die vermeintlichen Satansverehrer erneut. 2011 wird Bassem Deaïbess verhaftet. „Die Polizei hat mich zwei Tage in Gewahrsam genommen, weil ich lange Haare habe und Metallica höre. Sie dachten Nirwana sei ein Musikgenre und haben blöde Fragen gestellt, wie: Was machst du, wenn du eine schwarze Katze siehst? Ein Freund wurde sogar gefragt: Trinkst du Blut und welche Blutgruppe?“ Er unterschreibt ein Papier und versichert, dass er kein Satansverehrer ist.
Bassem Deaïbess macht weiter. Ohne Studios, die Heavy Metal aufnehmen können oder wollen, ohne große Auftritte. Seine Band spielt Gigs in Untergrundclubs, sie kleben Poster an Straßenwände, erzählen im Freundeskreis von Auftritten.
Bassem Deaibess, Gruppe Blaakyum
2011 trifft er einen Soundingenieur, der ACDC hört. Im Heimstudio nimmt Blaakyum die erste CD auf, auch wenn die Qualität nicht perfekt ist, erstmals kann er die Schreie und Gitarrenriffs aufgenommen hören. Über das Internet kontaktiert Deaïbess Studios in Europa, das zweite Album nimmt er 2016 in Italien auf – 21 Jahre nach der Gründung seiner Band.
Heute bereitet Bassem Deaïbess Mikro und Mixer im libanesischen Studio vor. Die schalldichte Wand hat eine Holzoptik, nebenan klimpert ein Pianoschüler, eine Sängerin übt ihre Zeilen. „Run away, because your freedom is goneLakad fashila alrabih el arabiLakad fashila alrabih el arabiLakad fashila alrabih el arabi“, schreit Deaïbess ins Mikro, der Darbouka Spieler haut dazu arabische Rythmen auf seine Trommel. Der Song „Freedom denied“ handelt von den gescheiterten Protesten 2011. Blaakyum ist nun eine sozialpolitische Band. Statt zu covern, textet Blaakyum eigene Songs. Der Aktionismus der Regierung hat nachgelassen, die Freiheiten sind gewachsen. „Ich glaube nicht, dass wir nochmal solch krasse Restriktionen erleben“, sagt Bassem Deaïbess.
Doch die Szene scheint klein zu sein, zumindest dem Straßenbild nach. Metaler sind gut zu identifizieren, lange Haare, Bart, Gesichtspiercing, schwarze T-Shirts mit Iron Maiden oder Metallica-Logo. Vor der Bar mit dem billigsten Bier im hippen Viertel Mar Mikhael steht Mohammad Hossari und zumindest zwei Merkmale treffen zu: langes lockiges Haar, Metallica Shirt zu Wrangler Jeans. „Du schreibst über Heavy Metal?“, fragt er und klingt erstaunt. Mohammad lacht. „Die Szene ist doch halb tot!“ Etwas fehl am Platz ist da die Frage, ob er keine Angst habe, das Shirt zu tragen. „Die Vorverurteilung hat abgenommen und Metal ist auch gar nicht mehr im Trend“, sagt er. Zwar tragen hier viele Feierlustige schwarz, doch das sind eher körperbetonte Tops mit Rückenausschnitt. Sein Shirt mit Metallica-Logo scheint höchstens die Fashion-Polizei zu jucken.
Auch Ziad Baydoun hat kaum Probleme auf der Straße Metal zu hören. „Die Leute gucken schon komisch, wenn ein Typ mit langen Haaren an ihnen vorbei fährt und Heavy Metal hört“, sagt Ziad – aber mehr als komisch ist es nicht.
Metalheads wie Bassem Deaïbess haben dafür gearbeitet, dass Ziad und Mohammad lange Haare und Metallica T-Shirts offen tragen können, dass mehr Menschen verstehen, wie Metal hilft, Aggression abzubauen – in einem Land in dem Strom knapp, die Müllabfuhr ineffizient und das Internet lahm ist. „Es ist das Internet mit all seinen Schattenseiten, das uns geholfen hat“, sagt Bassem. „Über die sozialen Medien konnten wir uns mit Leuten verbinden, treffen, sozialisieren. Vorher waren wir abgetrennt.“ Während Metalheads in den 90ern mit Drogen und Totenschädeln verbunden wurden, schert sich heute kaum noch jemand um Plakate von Metalbands an Straßenecken oder Werbeeinblendungen für Heavy - Metal-Events im Fernsehen.
Die Werbung dafür schaltet Elia Mssawir. Er ist Bandmanager und Organisator von Metalevents im Libanon. Elia sieht aus wie in den Videos von seinen Fernsehauftritten, in denen er versichert, dass Metalheads keine Atheisten sind: gepflegte Korkenzieherlocken, Mittelscheitel, silbernes Kinnpiercing. Im angesagten Radio Beirut in Mar Mikhael bestellt er sich ein Bier, „mein Frühstück“, sagt er, es ist 12 Uhr mittags, die Bar ist leer. Ist die Szene so ausgestorben wie diese Bar am Morgen? „Wir sind gerade in einer unsicheren Phase“, sagt Mssawir. Seit zehn Jahren versucht er, die Szene wiederzubeleben. Statt gegen Satan-Vorurteile kämpft Elia um Fans. „Früher kamen 3.000, 5.000 auf Konzerte. Wenn heute 400 Leute kommen, dann ist das schon wow.“
2006 begann der Krieg zwischen Israel und dem Libanon, viele Metalheads verließen das Land, internationale Bands fühlten sich unsicher. 2008 bis 2011 wurde elektronische Musik Trend, mit härteren Beats und Raves – der Fall für Metal. „2010 veranstalteten wir eine große Show – das sollte es zumindest werden.“ Elia lud Moonspell ein, eine große portugiesische Band, doch es kamen nur 800 Leute. „Wir dachten: Das war’s jetzt, die Szene gibt es nicht mehr.“ Doch er gibt nicht auf. „Wir sind nicht mehr im Untergrund. Wir posten auf Facebook und machen Werbung im Fernsehen. Im September haben wir ein großes Festival veranstaltet und neue Bands sind erfolgreich.“ Elia zieht sein graues T-Shirt glatt, in schwarz steht darauf „Phenomy“. „Die solltest du mal auschecken, die haben gerade eine große Osteuropatour hinter sich, die sind das nächste große Ding.“
Phenomy probt im Bach Studio direkt nach Blaakyum. Durch die offene Tür dringt melodischer Thrash Metal nach außen. Ihre Texte handeln von sozialer Korruption, Freiheit und Revolution, aber auch von Mythen, Albträumen und dem Sensenmann. Frontgitarrist Loïc El Haddad hat die Band 2014 gegründet. Er ist 25, schiebt seine Lockenmähne aus dem Gesicht, antwortet kurz und zurückhaltend auf Fragen. Gerade sind Loïc und seine vier Bandmitglieder zurück von der ersten Europatour: 20 Tage durch Serbien, Kroatien, Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Loïc ist an der Elfenbeinküste aufgewachsen, die Musik dort inspiriert ihn. „Wir experimentieren mit anderen ethnischen Einflüssen, nutzen Rhythmen und Melodien keltischer und afrikanischer Musik. Wir versuchen, unser eigenes Ding zu machen, das ist neu in der Metalszene.“
„Aus dem Libanon zu kommen,ist ein Vorteil“, sagt Loïc El Haddad
Phenomy ist damit international erfolgreich. Sie haben bereits einen Plattenvertrag und zwei Alben draußen. „Wir dachten, die Szene sei größer in Europa, aber das stimmt nicht. Die Szene hier ist gut und aus dem Libanon zu kommen, ist ein Vorteil, denn es gibt hier nicht viele Bands. Wir sind dadurch einzigartig in der Metalszene außerhalb.“ Loïc lacht zufrieden. Er sieht eine gute Zukunft für seine Band: „Im Libanon gab es noch nie international so erfolgreiche Bands wie heute. Wir arbeiten daran, die Szene wiederzubeleben – und ich denke, das klappt ganz gut.“
Auch Bassem Deaïbess arbeitet daran. Auf einer Protestaktion gegen die Müllkrise im Land traf er 2015 Sherry Bechara und Lilas Mayassi. Beide spielten E-Gitarre. „Warum macht ihr nicht mal was zusammen?“ fragte Deaïbess und schlug vor: „gründet doch eine Band!“. So erzählt es Lilas Mayassi. Mittlerweile ist sie Lead-Gitarristin bei Slave to Sirens. Fünf Mitglieder hat sie, alle sind sie Frauen – die erste weibliche Heavy Metal Band im Nahen Osten. „Sherry und ich haben mit einer Bassistin gesprochen und dann bei einer Plug-and-play-Nacht gespielt, bei der Bands ihr Talent zeigen konnten. Das war der Anfang der Band.“ Die beiden kontaktierten nur Frauen. „Wir haben viele Männer Metalbands hier, und Frauen die Death Metal spielen, das ist sicher etwas Neues. Aber darauf fokussieren wir uns nicht, wir vervollständigen die Männer nicht einfach, sondern machen unser eigenes Ding.“
Texte über “die Essenz des Bösen, die in allen von uns liegt“
Slave to Sirens spielen Death und Thrash Metal, bauen Black Metal in ihre Songs ein. „We kick asses“, sagt Mayassi und alle fünf lachen. Sie sitzen im Kreis auf dem Boden, machen bei Bier und Energiedrinks eine Pause. Es ist ein besonderer Tag, sie nehmen ihr erstes Mini-Album auf.
Gittarist Loïc El Haddad, Band Phenomy
Es ist eng, zwischen Schlagzeug, Mikrofonhalterungen und E-Gitarrenverstärkern bietet der Boden des Tonstudios kaum Platz. Der quadratische Raum heißt Dreamcatcher und ist ein Tonstudio, das unscheinbar in einem Wohnblock des Beiruter Vororts Ant Elias liegt. Außen der Aufdruck eines Traumfängers an der Eingangstür, innen eine zartlila gestrichene Wand die sich mit Mayassis neongrüner Elektrogitarre beißt. Ob die Nachbarn wohl etwas mitbekommen? Der graue Filz an der Wand soll vor dem Schall schützen. Frontsängerin Maya Khairallah löst ihr oxidrotes Haar aus dem Zopfgummi, dann verengen sich Teile ihres Kehlkopfs, sie schreit mit tiefer Stimme ins Mikrofon: „Cold hearted and low/you are dead inside/ridden of emotions/A serpant in disguise.“
„Die Menschen verbinden Metal noch immer mit Lärm“, sagt Khairallah. „Meine Mutter macht sich etwas über mich lustig.“ „Für unsere Eltern ist es nur Spaß, eine Phase, wir werden schon wieder drüber hinweg kommen“, sagt die Gitarristin Mayassi. „Sie verstehen nicht, dass wir etwas Großes aus der Band machen wollen“, sagt die Drummerin Tatyana Boughaba. „Aber nein“, Khairallah lacht. „Ich hoffe, wir ermutigen mehr Leute und besonders Frauen. Kick asses!“
Bechara und Mayassi stellen sich Rücken an Rücken, stemmen jeweils ein Bein auf die Verstärker, dann bringen sie die Saiten ihrer E-Gitarren zum Schwingen.
Slave to Sirens singen über „die Essenz des Bösen, die in allen von uns liegt“ oder „die Dekadenz der Menschen.“ Mit ihrer Musik wollen sie Geschichten erzählen; die Gesellschaft verändern. „Heavy Metal und Kunst können Veränderung bewirken. Und unsere Musik ist definitiv Kunst“, meint dazu Loïc El Haddad von der Gruppe Phenomy.
Wie politisch ist diese Kunst heute? In einer Zeit, in der Premierminister Saad Hariri erst in Saudi-Arabien seinen Rücktritt bekannt gibt, „um sein Land vor Gefahr zu schützen“, der saudische Kronprinz mit dem Säbel rasselt, Hariri später in Beirut von seinem Rücktritt wieder zurücktritt und der Libanon sich vor einem Stellvertreterkrieg fürchtet?
Elias Mssawir, Bandmanager
Phenomy schreiben in ihren Texten über Politik, Krieg, wie Habgier und Manipulation Menschen voneinander entfernt, spaltet. Die Band diskutiert nicht über aktuelle Politik. „Wir finden Politik langweilig. Unsere Musik ist aggressiv, aber wir machen sie, um alles andere vergessen zu können.“
Blaaykum diskutiert viel über den Einfluss des Irans und Saudi-Arabiens. Drummer Hassan Alkhedher ist Saudi, hat den Aufruf seines Landes bekommen, den Libanon zu verlassen. Bassem fürchtet, er könne nicht weiter in der Band spielen. „Ich bin sauer, es ist doch offensichtlich, dass Saudi-Arabien einen zivilen Konflikt im Libanon anzetteln wollte.“ Die Metalszene, so sagt er, ist Teil der libanesischen Gesellschaft und ihrer Unterschied. „Aber die Metalszene ist auch unangepasst: In unserer Musik lassen wir unsere politischen und religiösen Ideologien draußen. Nur wenige Bands behandeln politische Themen direkt, oder zumindest unsere Innenpolitik. Wir fokussieren uns mehr auf sozialpolitische Themen –das Resultat der politischen Korruption.“
Doch die aktuelle Politik macht sie wütend. So wütend, dass Blaakyum ihren nächsten Song darüber schreiben. „Ein Song über den Einfluss eines Landes, das die dunklen Zeiten noch nicht verlassen hat“, sagt Deaïbess. Mehr kann er nicht sagen, zum Schutz der Bandmitglieder. „Am Ende können sich Künstler über Kunst ausdrücken. Aber wir erwarten nicht von unserer Kunst, große Kraft im Wandel zu sein.“
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