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Seele suchen

Er ist ein spieltriebiger Soundtüftler, der nun auch noch fast gezwungenermaßen selber singt: Am Sonntag stellt Gitarrist Frank Schültge alias F. S. Blumm sein neues Album „Welcome“ vor

Letztlich bleibt für Frank Schültge alias F. S. Blumm immer der Griff zur Gitarre Foto: Orange Ear

Von Andreas Hartmann

Frank Schültge streckt einem ein klobiges Etwas entgegen, ein buntes Ding mit drei Rädchen. „Damit kann ich mich stundenlang beschäftigen“, sagt er und dreht an den Rädchen herum, was leise scheppernde Bling-Töne hervorruft. Ein zwölf Monate altes Baby könnte kaum mehr Freude an dem Kinderspielzeug haben als Schültge, der eine ganze Sammlung derartiger Gerätschaften besitzt, die für ihn seriöse Musikinstrumente sind.

Schültge ist eigentlich Gitarrist, er ist aber auch Geräuschemacher, jemand, der nur mit dem Löffel in einer Tasse Kaffee herumzurühren braucht, um aus dem dabei entstehenden Quietschen Musik zu machen.

In einem der Booklets seiner inzwischen schon drei Alben, die Schültge gemeinsam mit dem in Berlin lebenden Superstar der immer populärer werdenden Neoklassikszene, Nils Frahm, aufgenommen hat, bekommt man grob beschrieben, was er in seiner sehr speziellen Art und Weise zum Gelingen dieser Zusammenarbeit beigetragen hat – außer auf den Gitarrensaiten zu zupfen. Zu Frahms Spiel auf dem Piano hat er beispielsweise ein Papier zerknüllt, einen Tischtennisball in einem Wok hüpfen und ein Spielzeugkarussell drehen lassen. Humor, so viel ist sicher, spielt immer eine Rolle, wenn Schültge Musik macht.

Seit 20 Jahren veröffentlicht der nach einem Lehramtsstudium von Bremen nach Berlin gezogene Schültge, der demnächst 50 wird, unter seinem Alias F. S. Blumm und unter immer wieder neuen Projektnamen Platten. Darunter Werke aus dem Bereich Postrock, wie er ihn im Duo Kinn oder gemeinsam mit dem amerikanischen Gitarristen David Grubbs eingespielt hat. Aber auch mit reduziertem Singer-Songwriter-Pop als Bobby & Blumm gemeinsam mit der Sängerin Bobby Baby. Und in der Dub-Band Quasi Dub Development, die immerhin den großen Lee Perry dazu bringen konnte, bei einem ihrer Stücke zu singen, spielt er außerdem Bass.

Dub und Reggae sind sowieso seine großen Leidenschaften. In Schültges Plattensammlung findet sich Indierock genauso wie der wunderbare Kreischkrach der japanischen Noiseband Bore­doms, aber „eigentlich“, so lässt er verlauten, „höre ich inzwischen nur noch Reggae.“

Dafür, dass F. S. Blumm in Berlin immer noch als Nischenmusiker wahrgenommen wird, wenngleich sich das auch dank der regelmäßigen Zusammenarbeit mit dem weltbekannten Nils Frahm langsam ändert, hat er doch ein ganz schön beachtliches Werk vorzuweisen, über das er offensichtlich selbst langsam den Überblick zu verlieren droht. „Ich habe meinem 17-jährigen Sohn mal einen Koffer eingerichtet, mit dem Versprechen, in diesen jede meiner Veröffentlichungen zu legen“, sagt er beim Besuch in seiner Wohnung in Friedrichshain. „Neulich habe ich mal nachgezählt und war selbst überrascht, dass bereits 32 CDs in dem Koffer lagen.“

Die zig Beiträge für Compilations oder Singles sind dabei noch nicht mal mit eingerechnet. „Aber“, fügt Schültge hinzu, „was soll ich auch sonst machen den ganzen Tag außer Musik.“

Schaut man sich all diese Platten genauer an, fällt auf, dass Frank Schültge um einiges produktiver als Kollaborateur mit anderen denn mit seinen Alleingängen ist. Das liegt auch daran, dass Schültge sehr gerne mit Gesang arbeitet, aber lieber andere vor das Mikro lässt. Nun sind ihm jedoch über die letzten Jahre gleich drei Sängerinnen abhandengekommen, mit denen er unterschiedliche Projekte unterhielt, sie sind zurück nach Schweden gezogen oder raus aus Berlin auf eine Ostseeinsel, jedenfalls sind alle weg und „da dachte ich mir eben, meine Stimme ist ja immer da und dann mach ich das mit dem Gesang jetzt halt selbst“, so Schültge.

Somit kollaboriert nun sozusagen F. S. Blumm auf seiner neuen Platte mit sich selbst, der Gitarrist Blumm mit dem Sänger Blumm, den es so vorher noch nie gab. Dafür macht auf „Welcome“, seinem eben erschienenen neuen Album, der Geräuschemacher Blumm, der mit den ganzen Spielzeuginstrumenten und dem zerknüllten Papier, erst einmal Pause. Im Wesentlichen singt Frank Schültge, abgesehen vom gelegentlichen Einsetzen eines Schlagzeugs, nun zur Gitarre und das war’s. „Welcome“ zu F. S. Blumm, wie er sich so bisher noch nie präsentiert hat.

Handelsüblicher Indiepop ist das dennoch nicht, was Schültge nun macht, dafür ist er dann trotz seiner derzeitigen Beschäftigung mit dem Songformat doch zu sehr Soundtüftler. Und dafür ist er sicherlich inzwischen auch zu sehr geprägt von Reggae und Dub. Lee Perry, der ja eigentlich weniger als Sänger denn als Produzent die jamaikanische Musik revolutioniert hat, soll bei seinen Studiohexereien die Bänder, die er bearbeitete, sogar mit dem Rauch seiner Spliffs eingehüllt haben, im Glauben, die Magie der Musik damit steigern zu können. Und auch Schültge sagt: „Ich suche den Spirit.“

Deswegen hat er für „Welcome“ seine Stimme durch den Gitarrenverstärker gejagt, um sie zu verzerren und geheimnisvoller klingen zu lassen, draußen in der Schorfheide, 50 Kilometer außerhalb Berlins, wo er ein kleines Haus besitzt, in dem noch mit Holzofen geheizt wird. Er hat mit einem Kassettenrekorder aufgenommen und einem einfachen Achtspur-Rekorder, um seine Aufnahmen nun so wunderbar rauschig und analog klingen zu lassen. Sein Ziel sei es, sagt er, der Musik eine „Seele“ zu geben, die „Produktionsmittel sollen sprechen“.

Man denke sich das Gegenteil von glattgebügelter Chartsware, dann landet man ungefähr bei F. S. Blumm, der Fehler geradezu sucht und Perfektion vermeidet. Persönlich soll seine Musik klingen, sagt Schültge, intim, und „man soll sich fragen: Wer ist die Person dahinter?“

F. S. Blumm „Welcome“: Record-Release-Konzert mit Gästen am Sonntag, 21 Uhr. Kugelbahn Wedding, Grüntaler Straße 51

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