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Mit Koffern, Comics und Fußballturnieren

Das Bildungskonzept „Globales Lernen“ will in einer immer komplexeren und immer vernetzteren Welt Wissen vermitteln, Bewertungs- und Handlungskompetenzen stärken – und klar Position für eine „weltbürgerliche Solidarität“ beziehen. Die Fülle der vernetzten Organisationen ist riesig, die Methoden und Themen des globalen Lernens sind nahezu unerschöpflich

Von Harff-Peter Schönherr

Die weltweiten Verflechtungen nehmen schnell, herausfordernd und unumkehrbar zu. Umweltschäden machen an Ländergrenzen genauso wenig halt wie Machtansprüche, Armutsfolgen und Ideologien. Waren reisen ebenso um die halbe Welt wie Bankguthaben, Kriegsflüchtlinge, Rohstoffe, Arbeitskräfte und Nachrichtenbilder. Und mit der wachsenden, auch digitalen Vernetzung kam einst das Wort „Globales Dorf“ auf.

Aber davon spricht schon lange niemand mehr, denn Dörfer bedeuten Idylle – und damit hat der rasante globale Wandel nichts zu tun. Es ist schwer, ihn zu verstehen und auf ihn zu reagieren. Doch es gibt Orientierungshilfe: globales Lernen, ein Bildungskonzept, das ein hohes Ideal hat, nämlich „weltbürgerliche Solidarität“. Das sagt Klaus Seitz, einer der Vordenker des globalen Lernens.

Wer globales Lernen definieren will, hat es schwer. Gut, da ist die „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ der Vereinten Nationen. Aber so vielfältig sind die Themen und Methoden, dass es sinnlos ist, eine simple Formel zu suchen. Globales Lernen kämpft für eine gerechte, friedliche, ökologisch intakte, solidarische, ganzheitlich betrachtete, nachhaltige Welt. Es geht um interdisziplinäres , interkulturelles Denken, um Offenheit, Erfahrungsorientierung und Kreativität. Es geht um das Reflektieren der eigenen Identität und der Folgen, die das Tun eines jeden von uns hat. Das ist sehr viel, aber trotzdem erst der Anfang.

„Wir vermitteln Wissen und stärken die Bewertungs- und Handlungskompetenz“, sagt Marion Rolle von der Fachstelle „Globales Lernen“, Verband Entwicklungspolitik Niedersachsen (VEN) in Hannover. Und nicht nur die Weltzusammenhänge wandeln sich, auch das globale Lernen: „Früher war das ja eher eurozentristisch: Wir waren der Helfer, der globale Süden der Hilfeempfänger – das war eine Einbahnstraße.“ Da wurde dann über Kinderarbeit in Indien geredet oder über Versteppung irgendwo in Ostafrika, aber nicht darüber, dass und wie das alles mit uns selbst zusammen­hängt. „Heute haben wir ein multiperspektivisches Bild, alle Seiten sind gleichberechtigt. Denn auch wir selbst müssen uns ja ändern“, sagt Rolle.

Sie setzt dabei vor allem auf den Optimismus und Idealismus von Kindern: „Gerade viele Kinder und Jugendliche sagen sich: Resignation können wir uns nicht leisten! Die haben richtig Lust, was zu verändern, und wenn es auch nur in ihrem lokalen Umfeld ist. Denn auch das vermeintlich Kleine trägt ja zum Wandel des großen Ganzen bei.“

Der VEN ist knapp einhundert Mitgliedsorganisationen stark und nur eines von vielen entwicklungspolitischen Netzwerken im Norden. Ein anderes ist das „Eine-Welt-Landesnetzwerk Mecklenburg-Vorpommern“ in Rostock. Das führt gerade die Veranstaltungsreihe „Weltwechsel“ durch mit rund einhundert Vorträgen, Schreibwerkstätten, Kurzfilm- und Polittheaterabenden, Lesungen, Ausstellungen, und Workshops – landesweit, initiiert von 50 örtlichen Initiativen.

„Entwicklungspolitische Tage“ hieß „Weltwechsel“ bis letztes Jahr noch. Aber: „Das klang langsam ein bisschen verschrumpelt. Und zu sehr nach Nord-Süd-Gefälle“, sagt Veranstaltungskoordinatorin Andrea Kröhnert. Bis zu 6.000 Besucher nehmen am Ende teil, hofft sie. Die Botschaft? „Dass es keine einfachen Lösungen gibt. Dass, wer Lösungen finden will, aktiv nach ihnen suchen muss. Und dass jeder von uns Teil der Lösung ist, wenn es denn überhaupt eine gibt“, sagt Kröhnert. Das Ziel jedenfalls klingt kämpferisch: „Wir wollen die Gemüter der geschundenen Menschen ent-Trumpen, die Seelen Höcke-befreien und die Köpfe de-Erdoğanisieren.“

Ähnlich ausgerichtet ist das Eine-Welt-Netzwerk Hamburg, das rund 90 Mitgliedsgruppen groß ist. Eine davon ist die „Bramfelder Laterne“, ein Fair-Trade-Weltladen und Infozentrum für globales Lernen im Hamburger Osten, getragen vom Kirchenkreis. Einer ihrer Ansätze: Lernkoffer zu Regionen von Südafrika bis Papua-Neuguinea, zu Themen von Asyl bis Umwelt. Die heißen dann Ernährungs-, Geld-, Flucht-, Klima- oder Kinderrechtekoffer. Und sind bestens gebucht. Klaus Täger ist Pastor und Bereichsleiter globales Lernen im Kirchenkreis: „Das Wichtigste ist die Praxisnähe. Sonst kommt man über Allgemeinplätze nicht hinaus.“ Wer die Koffer ausleiht? „Hauptsächlich Multiplikatoren. Da sind dann auch schon mal Lehrer dabei, die denken: Prima, nehme ich mal mit, und morgen in der Schule brauche ich bloß reinzugreifen und habe eine fertige Unterrichtseinheit in der Hand. Aber das täuscht. Man muss sich die Infos schon selbst erarbeiten, aufbereiten. Das ist ja gerade der Sinn.“ Bücher finden sich in den Koffern, Filme, USB-Sticks und viele weitere Infos – bis zu zwölf Kilo schwer. Wer das stemmen will, muss stark sein.

Die „Laterne“ fordert nicht nur zur Meinungsbildung auf, sondern auch zum Handeln. „Wir sind selbst ganz klar positioniert, und das zeigen wir auch“, sagt Täger. „Die Kirche ist ja ein Tendenzbetrieb, da darf man das“, lacht er. Unterschiede zwischen kirchlichem und nicht-kirchlichem globalem Lernen gibt es laut Täger nicht. „Überhaupt nicht! Wär ja auch schlimm!“ Und dann erzählt er, dass sich die Koffer prima kombinieren lassen: „Wer den Regenwaldkoffer mitnimmt, braucht eigentlich gleich auch den Fleischkoffer. Für Futtermittelplantagen wird der Dschungel ja immer weiter abgeholzt.“

Themenkoffer, aber auch -rucksäcke, -taschen, oder -kisten gibt es auch beim „Bremer Informationszentrum für Menschenrechte und Entwicklung“ (BIZ). Das geht dann von der Fair-Trade-Tasche bis zum Spielo-Polykoffer, vom Bildungsbag Baumwolle bis zur Comic-Kiste Westsahara-Konflikt. „Nur was ich verstehe, kann ich auch ändern“, sagt BIZ-Geschäfstführerin Gertraud Gauer-Süß.

Globale Lern-Termine

„Weltwechsel“: Vorträge, Schreibwerkstätten, Lesungen und Workshops von und mit dem Eine-Welt-Landesnetzwerk Mecklenburg-Vorpommern: bis 25. 11., diverse Orte

www.eine-welt-mv.de/weltwechsel-2017/

Fachtag „Vielfalt und QualitätVernetzung für die interkulturelle Öffnung von Schule“ des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg: 9. 11., Hamburg http://li.hamburg.de/bie/4414528/artikel-interkulturelle-erziehung/

Workshop „Globale Lerngärten: Garten- und Grünanlagen als Bildungsorte für globale Nachhaltigkeit“ von Help Age Deutschland: 14. 11., Osnabrück

www.globale-lerngaerten.de

„Entwicklungspolitisches Speed-Dating“ des Bremer entwicklungspolitischen Netzwerks und des Jungen entwicklungspolitischen Forums: 15. 11., Bremen

www.ben-bremen.de

Praxistag globales Lernen 2017 des Bündnisses Eine Welt Schleswig-Holstein und der VHS Kaltenkirchen-Südholstein: 2. 12., Kaltenkirchen

www.bei-sh.org/veranstaltungen.html

Das BIZ ist eines der 30 Mitglieder des Bremer entwicklungspolitischen Netzwerks (BEN). Wenn Geschäftsführer Christopher Duis über globales Lernen spricht, spricht er auch über Fußball, genauer: das jährliche „Bremen Global Championship“. Duis: „Das machen wir mit 12 bis 16 Schulklassen. Die bekommen Länder zugelost, zu denen sie dann eine Projektarbeit erstellen.“ Thema des diesjährigen Championships ist nachhaltiger Tourismus. Am Ende spielen alle, als Vertreter ihres Projektlandes, gegeneinander ein Turnier. „Einmal waren über 800 Schüler dabei, und das war dann natürlich schon ziemlich heftig. Seitdem begrenzen wir das.“

Im Mai 2018 richtet das BEN zusammen mit dem VEN in Bremen den bundesweiten, Fachkongress „WeltWeitWissen“ aus – Motto: „Lernen für den Wandel“. Alle zwei Jahre zieht die Szene hier Bilanz, sucht neue Perspektiven und eine noch engere Vernetzung, aber eine Premiere ist es im kommenden Jahr trotzdem: In einem norddeutschen Bundesland hat der Kongress noch nie stattgefunden. Auch das „Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein“ (BEI) aus Kiel hat es dann nicht weit: Der über 80 Mitglieder starke Dachverband ist spezialisiert auf Themen wie fairer Handel, Migration und Entwicklung und nutzt noch den alten Agenda-Grundsatz der UN „Global denken – lokal handeln“. Warum auch nicht? So betagt er ist, so aktuell ist er zugleich.

Die Bandbreite des globalen Lernens reicht von der Stadtführung bis zur Performance und zu Lernangeboten für alle Altersklassen, von NGOs und Vereinen wie Help-Age, Brot für die Welt, Attac bis Amnesty International, von Fachvorträgen bis zu Live-Comic-Aktionen wie Ende Oktober in Osnabrück: Zwischen Theater und Dom hat die VEN-Fachstelle „Globales Lernen“ unter dem Motto „Kommt zuhauf und bringt euch ein!“ einen Comic zum Thema fairer Handel präsentiert.

„Auf jeden Fall ist das politische Arbeit“, sagt Marion Rolle. „Vor dem Hintergrund der Erfolge der AfD und anderer rechtspopulistischer Kräfte“, sagt sie, sei globales Lernen „doppelt wichtig“.

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