Europa traut sich was beim Klima

Lange Zeit kam die EU beim Emissionshandel nicht voran. Jetzt haben sich die Unterhändler auf einen Kompromiss geeinigt. Die Reform könnte den Durchbruch für mehr Klimaschutz bringen

Das Ende naht: Greenpeace- Proteste gegen Klimakiller beim G-20-Gipfel in Hamburg Foto: Hannibal Hanschke/reuters

Von Bernhard Pötter

Die EU macht beim Klimaschutz ein bisschen Ernst. Mit einem Kompromiss im „Trilog“-Verfahren haben die Vertreter von Europäischem Parlament, EU-Kommission und den Mitgliedsstaaten jetzt die Zukunft des europäischen Emissionshandels festgelegt. Demnach soll das Angebot an CO2-Lizenzen zwischen 2021 und 2030 schneller verknappt werden als geplant. Überschüssige Lizenzen sollen teilweise stillgelegt werden, um den Preis zu stabilisieren. Diese Fortschritte zur Wiederbelebung des Emissionshandels werden erkauft mit weiteren Subventionen für Kohlekraftwerke, vor allem im Osten Europas.

„Der Emissionshandel muss reformiert werden, um zu wirken und zu unseren Klimazielen beizutragen“, heißt es in einer Erklärung der estnischen EU-Ratspräsidentschaft. „Wir glauben, dass unsere vorläufige Einigung das garantiert.“ Während Umweltschützer das „nächste verlorene Jahrzehnt“ befürchten, sehen andere Kritiker Chancen für eine Verbesserung im System.

Was bisher geschah

Die erste Woche der UN-Klimakonferenz in Bonn ist fast vorbei. Vor allem mit technischen Details zur Umsetzung des Pariser Abkommens haben sich die Unterhändler der Staatengemeinschaft bisher beschäftigt. Bis auf die USA haben alle Nationen zugesagt, das Abkommen zu unterzeichnen. Syrien kündigte zu Beginn der Woche an, dem Vertrag beizutreten.

Wer kommt In der kommenden Woche steht das Schaulaufen der Staats- und Regierungschefs im Mittelpunkt. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich angekündigt. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron will nach Bonn kommen.

Was noch passieren muss

Umweltschützer und Vertreter von Entwicklungsorganisationen appellierten an die Staaten, bei der Anpassung an den Klimawandel stärker die Belange armer Staaten in den Blick zu nehmen. Sie sind besonders von Klimafolgen wie Dürren, Überschwemmungen oder Stürmen betroffen. Die Bundesregierung hatte Millionen an zusätz­lichen Hilfen für diese Staaten versprochen.

Unter dem Emissionshandel, der 45 Prozent der europäischen CO2-Abgase abdeckt, müssen 11.000 Unternehmen für jede Tonne CO2eine Lizenz erwerben. Weil die Staaten unter dem Druck der Industrie zu viele Lizenzen ausgeben und weil die Wirtschaftskrise die Nachfrage schwächte, kostet eine Tonne CO2derzeit nur 6 bis 7 Euro. Nötig wäre aber laut Experten ein Preis von etwa 30 Euro, um Energiesparen und den Umstieg auf Öko-Energien attraktiv zu machen. Um den Markt von Zertifikaten zu beleben und damit den CO2-Ausstoß der EU so zu senken, dass die Ziele des Pariser Abkommens erreicht werden, hat die EU lange um die Zukunft des Emissionshandels gerungen. Die informelle Lösung muss von den Staaten gebilligt werden.

Im Kern geht es darum, wie man Zertifikate vom aufgeblähten Markt nehmen kann. Der Kompromiss: Zwischen 2021 und 2030 werden jährlich 2,2 Prozent der Zertifikate gelöscht. Bisher waren das nur 1,7 Prozent. Ungenutzte Lizenzen, die bisher in einer „Stabili­täts­reserve“ geparkt wurden, sollen ab 2023 stillgelegt werden. Nun können einzelne Staaten selbst Zertifikate löschen, wenn sie ihre Emissionen senken, etwa durch einen Kohleausstieg. Das ist wichtig für den Klimanutzen der deutschen Energiewende – denn bisher kann jede in Deutschland vermiedene Tonne CO2 anderswo in der EU emittiert werden.

Auch die Industrie hat ihre Pfründen gesichert: Firmen, die viel Energie verbrauchen und im internationalen Wettbewerb stehen, bekommen weiter ihre Zertifikate umsonst zugeteilt. Nach EU-Schätzungen sind das indirekte Subventionen von mindestens 60 Milliarden Euro zwischen 2021 und 2030. Durchgesetzt haben sich auch die Kohlestaaten aus Osteuropa. Ihre Industrien bekommen aus EU-Töpfen etwa 5 Milliarden Euro für die Modernisierung ihrer Anlagen. Die Länder dürfen ihre Kohlekraftwerke mit Gratislizenzen im Wert von etwa 10 Milliarden Euro am Leben halten.

Umweltschutzgruppen im Climate Action Network kritisieren, die EU bringe statt echter Anstrengung nur eine Reform zustande, die „ihren Kohlenstoffmarkt für ein weiteres Jahrzehnt wirkungslos belässt. Das verfehlt dramatisch die Ziele des Pariser Abkommens.“ dagegen sieht der Energieexperte der grünen Fraktion im Europa-Parlament, Claude Turmes, Chancen in der Einigung: „Das ist keine große Verbesserung für die nächsten fünf bis acht Jahre, aber ein systemischer Durchbruch.“ Weil die Länder nun auf eigene Faust CO2-Lizenzen stilllegen könnten, rechnet er mit deutlich höheren Preisen im Emissionshandel zum Ende der 2020er Jahre. Jetzt müssten Länder wie Deutschland, Frankreich oder die Benelux-Staaten mit eigenen CO2-Mindestpreisen den Markt früher stabilisieren. „Dann zahlen sich der Zubau von Erneuerbaren, die Abschaltung von Kohlekraftwerken und Energiesparen endlich auch aus, indem die Emissionen sinken.“

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