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Gar nicht In the Mood for Love

Bei aller Kammermusikpopartigkeit gibt Moses Sumney den Songs auf seinem Debütalbum „Aromanticism“ einen treibenden Groove. Am Sonntag tritt der Kalifornier mit ghanaischen Wurzeln im Berghain auf

Der Antiromantiker Moses Sumney Foto: Archiv

Von Stephanie Grimm

Aromantik, das ist, wenn sich ein Mensch nicht verliebt, ganz grundsätzlich nicht. Und falls doch, dann allenfalls ein bisschen. Gleichzusetzen mit Beziehungsunfähigkeit ist das nicht, enge Freundschaften haben Aromantiker durchaus. Doch das Streben nach einer romantischen Beziehung, nicht zuletzt Thema unzähliger Songs, Bücher und Filme, ist ihnen fremd – was auch die Grenze zwischen Aromantik und Asexualität markiert, schließlich werden da entsprechende Bedürfnisse oft zumindest platonisch ausgelebt.

Wie bizarr muss das nicht selten verzweifelte bis bekloppte Treiben ihrer Mitmenschen auf Aromatiker wirken? Die Auseinandersetzung mit dieser Lebensform hat Moses Sumney zum Thema seines Debütalbums gemacht und stellt fest: Es ist eine komische Welt, die wir uns da bauen.

2015 hatte der Kalifornier mit ghanaischen Wurzeln erste Stücke veröffentlicht und mit der brodelnden Intensität, die er auf die Bühne bringt, schnell prominente Freunde gefunden. Singer-Songwriter Sufjan Stevens, der es wie kaum ein anderer Folkie versteht, Schönheit mit verstörenden Widerhaken zu versehen, buchte ihn als Support. Chris Taylor, Bassist und Soundtüftler von Grizzly Bear, mischte Sumneys „Seeds“ und veröffentlichte den Song auf seinem Label. Und auf Solanges Album „ A Seat On The Table“ hat er einen Gastauftritt.

Auch in einschlägigen Blogs tauchte Sumneys Name immer wieder auf. Bald standen Vergleiche mit Arthur Russell oder Thom Yorke im Raum, und man fragte sich schon: Okay, wieso dieser Hype? Die ersten EPs klangen zwar durchaus zeitgeistig, wenn man das Sounddesign von Bon Iver, James Blake und ähnlich ätherischen Stimmen mag. Gleichzeitig aber auch verhuscht und unentschieden und damit eben beim dritten Durchgang nicht mehr ganz so spannend.

Doch Ende September erschien dann das Konzeptalbum „Aromanticism“, und angesichts seines folkig-jazzigen Electro-Pops, der beim dritten und auch zehnten Hören immer Neues offenbart, schien das aufgeregte Raunen dann doch gerechtfertigt zu sein. Sumney hat sich für das Debüt einfach die Zeit genommen, die er brauchte – bei den Halbwertszeiten des gegenwärtigen Popbetriebs keine Selbstverständlichkeit.

Bei aller Kammerpopartigkeit entwickeln seine Songs einen treibenden Groove, der sich etwa in dem tollen „Lonely Worlds“ umgehend offenbart, bei anderen Stücken langsamer, dafür umso nachhaltiger. „If lovelessness is godlessness / Will you cast me to the wayside?“, singt er in einem anderen tollen Song, „Doomed“. Offenbar macht er sich wirklich Sorgen: Gesteht einem die Menschenfamilie überhaupt einen Wert zu, wenn man sich dem Liebesnarrativ verweigert? Nun, „godlessness“ muss ja nichts Schlimmes sein, im Gegenteil. Doch als das Kind ghanaischer Pastoren, das Sumney ist, denkt man da vielleicht anders. Einsamkeit ist jedenfalls zentrale Thema auf „Aromanticism“ – aber eben mit einem anderen Dreh, als man das so kennt, denn auch die Zweisamkeit verspricht keine Erlösung.

Es ist eine komische Welt, die wir uns da bauen, stellt Moses Sumney fest

Die prägende Erfahrung, ein Außenseiter zu sein, hat Sumney gemacht, lange bevor er mit romantischen Narrativen zu hadern begann. Seine erste Lebensdekade verbrachte er in ­Kalifornien. Dann gingen seine Eltern zurück nach Ghana, wo er sechs unglückliche Jahre verbrachte, von Mitschülern wie Lehrern gemobbt, schließlich sprach er nicht mal den lokalen Dialekt. Mit Musik von US-Indie-Bands wie Vampire Weekend und den Dirty Projectors tröstete er sich. Bis er das Musikmachen für sich entdeckte, sollte es jedoch dauern, dazu kam er erst, als er Krea­tives Schrei­ben studierte.

Und so zieht sich durch dieses Album eine konsequente Selbstbefragung, die auch traurige Einsichten nicht scheut und deshalb durchaus kathartisches Potenzial hat. Man nimmt Sumney ab, wovon er singt – auch wenn bei seiner Selbstinszenierung gelegentlich etwas arg Kalkuliertes durchblitzt. Aber so ist das wohl, wenn man seine Karriere in einer Stadt wie Los Angeles beginnt und von Anfang an von Branchentypen belauert wird. Sumneys Überlegungen sind spannend genug, dass man ihnen gern folgt, egal ob nun die Aromantik sein eigenes Lebensthema ist oder doch eher ein Gedankenspiel.

In einem Interview mit dem Onlinemagazin Pitchfork erklärte Sumney, dass er gegenwärtig von der Idee fasziniert ist, so „non-human“ wie möglich zu sein. Wenn man sich anschaut, was die Menschheit so treibt, ist dieser Wunsch ja gar nicht so ­abseitig. Auf jeden Fall ist Sumney ein Album gelungen, das klingt wie nicht ganz von dieser Welt.

12. 11., 20 Uhr, Kantine Berghain

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