Teilhabe für Menschen mit Behinderung: Kultur geht auch inklusiv

In Berlin fand eine internationale Tagung statt, die Zugänglichkeit von Kultur verbessern will. Menschen mit und ohne Behinderung tauschten sich dort aus.

Ein Schlagzeuger, ein Sänger und ein Tänzer auf einer Bühne

Die australische Indie-Rockband „Rudely Interrupted“ tritt bei der Tagung auf Foto: taz/Andi Weiland

Ein Mann steht an der Kasse eines Museums. Er fragt nach einem Ticket und will wissen, wo der Eingang ist. Um sein Anliegen zu erklären, gestikuliert er mit Händen und Armen, nutzt seine ausdrucksstarke Mimik. Doch er wird nicht verstanden. Stattdessen erntet er Blicke, die darauf schließen lassen, er werde für einen Verrückten gehalten. Dann geht er dazu über, sein Anliegen aufzuschreiben.

Patrick Marx ist taub. Er spielt diese Szene pantomimisch auf der Bühne des Podewills in Berlin vor. Etwa 120 Teilnehmende des mehrtägigen Festivals „Australia & Berlin Arts Exchange“ gucken ihm dabei zu. KünstlerInnen und MitarbeiterInnen von Kultureinrichtungen haben sich zu dieser Konferenz zusammengefunden, um sich über Teilhabe von Menschen mit Behinderung in Kunst und Kultur auszutauschen.

Zahlreiche Workshops und Performances sollen einen Austausch zwischen australischen und Berliner KünstlerInnen mit und ohne Behinderung ermöglichen. Die Tagung ist fünfsprachig: Englisch und Deutsch, britische sowie deutsche Gebärdensprache und teilweise auch Leichte Sprache. „Es ist das erste Mal, dass in Berlin eine so komplexe Veranstaltung mit all diesen Spracharten stattfindet“, sagt eine Moderatorin der Tagung.

Eine Frau macht ein Selfie mit Sarah Houbolt

Eine Teilnehmerin der Tagung macht ein Selfie mit der Künstlerin und Aktivistin Sarah Houbolt Foto: taz/Andi Weiland

Für Patrick Marx endet während seiner pantomimischen Performance die Ausgegrenzung nicht an der Museumskasse. In den meisten Museen in Deutschland gebe es in Videos keine Untertitel, wird Marxs Gebärdensprache übersetzt. Außerdem seien die Beschreibungen neben den Exponaten häufig in sehr kleiner Schrift und kompliziert geschrieben. Um das zu ändern, engagiert sich Marx bei nuevaBerlin. Die Organisation befragt Menschen mit Behinderung zum Stand der Barrierefreiheit in Kultureinrichtungen.

„Man kann von Menschen mit Behinderung viel lernen, wenn man sie nach Feedback zur Zugänglichkeit von Veranstaltungen fragt“, sagt Sarah Houbolt. Sie ist Zirkusartistin aus Australien und engagiert sich schon lange für inklusive Kultur. In Australien sei es Pflicht für staatliche Kultureinrichtungen, einen Inklusionsplan zu haben. „Wer diverse Besucher bei Kulturveranstaltungen will, muss hinter den Kulissen anfangen. Warum sollte ich zu einer Veranstaltung gehen, bei der ich mich nicht repräsentiert fühle?“ In Australien funktioniere das schon recht gut, OrganisatorInnen von Kulturveranstaltungen seien öfter selbst behindert.

Noch viel zu tun

In Berlin hingegen klappt das mit der Barrierefreiheit noch nicht so gut. Stefanie Wiens versucht das mit dem Projekt „Platz da“ zu ändern. Sie organisiert zum Beispiel Workshops, in denen BesucherInnen blinden Menschen Kunstwerke beschreiben. „In den letzten drei Jahren hat sich wirklich viel zum Positiven geändert. Aber alles ganz langsam, Schritt für Schritt“, sagt Wiens. Berührungsängste und Vorurteile bauen sich nur langsam ab.

Zur Zeit arbeitet sie mit daran, das Deutsche Technik Museum in Berlin inklusiv zu gestalten. Es gebe aber auch negative Rückmeldungen zu den Projekten. „Manche DirektorInnen stehen nicht dahinter. Die Ansicht, Kunst und Kultur solle Dinge bewahren und höchst exklusiv sein, ist schon noch vorhanden“, berichtet Wiens.

Zu dem Fazit kommen auch Teilnehmende des Workshops „Wir sind nur behindert“. Es ist ein Ort, wie es ihn nur selten gibt. Ausschließlich Menschen, die behindert werden, tauschen sich hier aus. Nach dem Workshop berichtet der Kunstpädagoge Dirk Sorge den anderen Tagungs-Teilnehmerinnen von den Ergebnissen: Die Teilnehmenden, die oft selbst Ausgrenzung erfahren, reflektierten ihre eigenen Privilegien. Bei dem Workshop seien fast nur AkademikerInnen und Weiße. Für vielfältige Kulturveranstaltungen braucht es Diversität auf vielen Ebenen.

Ein weiterer Tenor sei, dass endlich die Rolle der Bittsteller vorbei sein müsse. Es müsse normal werden, dass Menschen mit Behinderung dabei sind. Viele berichteten auch über negative Reaktionen ihnen gegenüber. Nicht nur während Kulturveranstaltungen würden ihnen grimmige Blicke von anderen BesucherInnen zugeworfen werden.

In Australien wird die Idee der Inklusion bereits auf Kunstwerke selbst angewandt. Oft dürfen Kunstobjekte wie Skulpturen nicht angefasst werden. Deshalb gibt es Projekte, bei denen KünstlerInnen diese zusätzlich im Miniaturformat anfertigen. Kunst wird so auch für Nicht-Blinde besser erfahrbar gemacht. Auch mit 3D-Druckern wurde schon experimentiert, um Fotos zum Anfassen zu erstellen. Es gibt viel Potenzial, das noch zu entdecken ist.

Die Stimmung ist am Ende des Tages ausgelassen. Die Anspannung fällt von den Vortragenden ab. Patrick Marx etwa atmet nach seinem Bühnenauftritt hörbar aus. „Die Veranstaltung ist sehr ermutigend und inspirierend“, sagt eine Teilnehmerin. Vorbei ist die Tagung noch nicht: Die Rockband Rudely Interrupted aus Australien gibt ein Konzert. Manche tanzen, auch Anna Seymour, eine taube Tänzerin, die vorher in einem Vortrag sagte: „Man braucht keine Musik hören, um zu Tanzen.“

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