Shuttle zum Volksfeind

Die Politik der regierenden Partei PiS sorgt für Verwerfungen in Polens Kulturlandschaft. In Krakau inszeniert Jan Klata noch am Theater, als Intendant ist er gekündigt

Läuft noch bis Ende des Jahres am Stary Teatr in Krakau, Jan Klatas „Wesele“-Inszenierung Foto: Magda­lena Hueckel

Von Iwona Uberman

Dieses Theater kennt in Polen jeder: Narodowy Stary ­Teatr. Es ist die zweitälteste polnische Spielstätte und darf sich seit 1991 auch „Nationaltheater“ nennen, obwohl es sich nicht in der Hauptstadt, sondern in Krakau befindet. Im Herbst gab es am Stary Teatr, Deutsch für „Altes Theater“, einen Intendantenwechsel und genau wie in Breslau ging das polnische Kulturministerium dabei erneut inkompetent und chaotisch vor.

Im Januar 2013 übernahm der Regisseur Jan Klata die Leitung, der auch in Deutschland kein Unbekannter ist. Seine letzte Inszenierung am Bochumer Schauspielhaus, „Verbrechen und Strafe“ nach Dostojewski schaffte es auf die Longlist des diesjährigen Theatertreffens. Klatas Intendanz am Stary begann zwar mit Schwierigkeiten, er traf aber bald mit seiner Auswahl den richtigen Nerv und gewann unterschiedliche Publikumsgruppen für sich. Das lag auch an der Balance, die er intui­tiv gefunden hat. Zu sehen waren viele polnische Stoffe und innovativ aufbereitete ältere Klassik, provozierende Inszenierungen blieben aus.

Seitdem die PiS-Partei 2015 in Polen die Regierung übernahm, wurde es still um das Stary, die Leitung wurde von der Politik geduldet und weitgehend ignoriert. So schien es zumindest, denn es gab weder inhaltliche Auseinandersetzungen über Stoff noch Anzeichen für einen beabsichtigten Intendantenwechsel. Ende März kündigte das Ministerium jedoch die Neuausschreibung für den Posten des Intendanten an. Auch Klata bewarb sich, unter seinen Konkurrenten befanden sich keine prominenten Namen, was Spekulationen hervorrief, dass die Sache positiv für ihn ausgehen könnte.

Es kam jedoch anders: Die Stelle am Stary bekam der Bewerber, mit dem man am wenigsten gerechnet hatte: Marek Mikos arbeitete einige Jahre als Kulturjournalist, später fürs Fernsehen. Der Trumpf von Mikos war der Theaterregisseur Michal Gieleta, den er als künstlerischen Leiter vorgeschlagen hatte und dessen Konzept die Neuaufnahme von Klassikern wie Sophokles, Shakespeare, Schiller sowie Beckett, Pinter und Brecht vorsah. Der in Großbritannien ansässige Gieleta wurde vom Minister Gliński rasch als „der weltweit bedeutendste polnische Regisseur“ bezeichnet. Fieberhafte Recherchen von Theaterexperten konnten dies kaum bestätigen, über seine Inszenierungen im Ausland ist wenig verbrieft. Einwände der Stary-Schauspieler wurden vom Minister „pragmatisch“ und ernüchternd abgetan: „Geben Sie dem Neuen eine Chance. Wenn er sich nicht bewährt, wird er entlassen und wir finden jemanden anderen.“

Kaum war der ab dem 1. September geltende Vertrag unterschrieben, platzte eine unerwartete Nachricht: Der neue Intendant hatte entschieden, Gieleta nicht als künstlerischen Leiter des Theaters zu beschäftigen. Der Minister ist verärgert, kann aber kaum etwas dagegen unternehmen – Gieletas Anstellung steht nicht im Intendantenvertrag. Es gibt weitere Aufreger: Für die erste Veranstaltung Anfang September, einer landesweiten Lesung von „Wesele“ („Die Hochzeit“) von Wyspiański, die als Eröffnung der neuen Spielzeit gelten sollte, waren keine Stary-Schauspieler engagiert. Mikos sprach von Terminschwierigkeiten seiner Ensemblemitglieder, die wiederum von seinen Plänen gar nichts wussten. Pikant ist, dass „Wesele“ Klatas letzte Premiere am Stary war. Die Inszenierung gilt beim jungen und alten Publikum sowie bei der Kritik als großartig, man könnte den Zuspruch vielleicht mit dem Erfolg von Castorfs „Faust“ in Deutschland vergleichen.

Das polnische Kulturministerium nimmt zunehmend Einfluss auf Posten und Programme von Theatern und Festivals

Klatas „Wesele“ wird nun planmäßig bis Ende des Jahr gespielt, die Vorstellungen sind längst ausverkauft. Auch andere Produktionen aus seiner Ära sind bis dahin im Stary zu sehen. Die weiteren Vorhaben von Mikos sind sehr vage. Offensichtlich wurde Gieletas Konzept verworfen, stattdessen nannte der Intendant einige Dramatiker, die nicht mal den polnischen Theaterkritikern geläufig sind, sowie Projekte, die bereits anderswo realisiert werden. Regisseure, die er als Mitarbeiter erwähnte, dementierten sofort jede geplante Zusammenarbeit.

Weiter auf dem Plan stehen Events zur Feier von Polens 100-jähriger Unabhängigkeit. Alles deutet darauf hin, dass sich das Szenario von Breslau wiederholen könnte – auch diesmal scheint der „gute Wechsel“ in die Hose zu gehen.

Eine weitere schlechte Nachricht ist, dass das Ministerium zunehmend Einfluss auf Programme polnischer Theaterfestivals nimmt. Dem internationalen Festival Dialog – Wrocław, das seit 14. Oktober läuft, wurden 18 Tage vor der Eröffnung fest zugesagte staatliche Fördergelder gestrichen, weil die als anstößig empfundene Inszenierung „Der Fluch“ von Oliver ­Frljić gezeigt werden soll. Nur dank Unterstützung privater Spender, internationaler Solidarität der Kunstszene und Kreativität der Veranstalter kann das Programm wie geplant präsentiert werden. Zu Klatas gefährdeter Aufführung von Ibsens „Volksfeind“ wird man allerdings mit einem Shuttle zum Stary Teatr nach Krakau gebracht, um so die Kosten eines Gastspiels in Breslau zu vermeiden.