piwik no script img

Jens Müller Die Couchreporter„Mindhunter“: Vor 70er-Jahre-Kakaobraun-Tapete, doch ganz auf der Höhe der Zeit

Foto: Abb.: Stephanie F. Scholz

Mindhunter, Folge 3/10, 43. Minute. Holden Ford: „Wie kann ein Soziopath Präsident der USA werden?“ Dr. Wendy Carr: „Wie kann man Präsident der USA werden, wenn man es nicht ist? Deshalb ist diese Arbeit so wichtig. Sie reicht weit über das FBI hinaus.“ Bill Tench: „Bis zum Weißen Haus.“

David Finchers „House of Cards“, die Serie um einen zu allen Schandtaten bereiten Mann auf dem Weg ins Präsidentenamt der USA, war einmal das Prestigeprodukt Nummer eins aus dem Hause Netflix. Bis Donald Trump Präsident wurde und es plötzlich hieß, die Realität habe die Serie eingeholt, überholt. Aber David Fincher/Netflix wollten sich nicht lange lumpen lassen und mit ihrem neuen Schlag offenbar wieder ganz auf der Höhe der Zeit sein. Mit einer Serie, in der sich also von vorne bis hinten alles um Psychopathen dreht. In sämtlichen Dialogen, ob beruflich oder privat. Und in der Serie werden ständig und fast ausschließlich Dia­loge geführt: in grauen Gefängniskantinen, trivialen Auto­raststätten, billigen Motels, verrauchten Sportbars, fensterlosen Kellerbüros … Immer geht es um die zentrale Frage – jetzt mal auf Englisch, bei Netflix gibt es schließlich die Möglichkeit: „How do we get ahead of crazy, if we don’t know how crazy thinks?“

Es ist das Jahr 1977, FBI-Agenten tragen mehr oder weniger schlecht sitzende Anzüge, wie Mormonen beim Missionieren, sie pflegen einen antiintellektuellen Korpsgeist und begnügen sich damit, dass Serienkiller eben einfach böse sind. Alle FBI-Agenten? Nein, der ehrgeizige, ach was, besessene junge Holden Ford (Jonathan Groff – an dessen Besetzung beim ersten Emmanuel-Macron-Biopic keiner vorbeikommen wird) mit Soziologie studierender Hippie-Freundin und sein erfahrener Partner Bill Tench (Holt McCallany) fahren fleißig durch das amerikanische Hinterland: an öde Orte wie Vacaville, Kalifornien, und Altoona, Pennsylvania. Sie halten auf der Leitung stehenden Provinz-Cops Vorträge, interviewen bereits überführte Psychokiller (der Vorspann schwelgt in herrlichen Nahaufnahmen analoger Tonbandtechnik – in Parallelmontage mit Leichenteilen) und lösen quasi im Vorbeifahren den ein oder anderen (Psycho-)Mordfall. Das ist eigentlich gar nicht so schwer – am Ende liegt es nämlich immer an der verkorksten Kindheit. Trotzdem, wenn die beiden mit der Dritten im nonkonformistischen Psycho-Bunde, der lesbischen (geht gar nicht, beim FBI, 1977) Psychologin Dr. Wendy Carr (Anna Torv) zusammen psychologisieren, klingt das immer wahnsinnig klug. So furchtbar klug … Aber diese wunderschön erst kakaobraun gefilterte, dann von Zigarettenrauch vernebelte 70er-Jahre-Welt, die kastigen Straßenkreuzer wie in den tollen alten Fernsehserien … Einfach den Ton abdrehen und „Sabotage“ von den Beastie Boys auflegen!

Apropos Musik: Keine Frage, die Macher (zu denen als Produzentin auch Charlize Theron gehört) konnten nicht umhin, den 1977er Talking-Heads-Hit zu spielen – Folge 2/10, 53. Minute: „Psycho Killer Qu’est-ce que c’est Fa-fa-fa-fa-fa-fa-fa-fa-fa-far better Run, run, run, run, run, run, run, away oh oh oh Yeah yeah yeah yeah!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen