: Noch ist Tschechien nicht verloren
Wahlsieger Andrej Babiš sucht Partner für seine Regierung. Das Horrorszenario für viele Bürger: eine Koalition mit Rechtspopulisten und Kommunisten
Aus Prag Alexandra Mostyn
Einer der Ersten, dem ein triumphierender Andrej Babiš am Samstagabend für seinen Wahlsieg dankte, war sein Marketingguru. Mit den Worten „Komm schon her, Mara“ rief Babiš den gesetzten blonden Enddreißiger während der stürmischen Wahlparty auf die Bühne. Dort umarmte er ihn innig und drückte ihm einen väterlichen Kuss auf die Schläfe. Prompt kam das tschechische Internet zu einer neuen „Meme“ – einem Thema in der digitalen Welt.
Ansonsten hat Tschechien wenig zu lachen, am Tag nach der Wahl, die als eine der wichtigsten in der Geschichte des Landes galt. Wichtig deshalb, weil in ihnen mit Andrej Babiš ein Mann an die Spitze gedrängt ist, der es wie seine Firma leiten und gleichzeitig die Kontrollfunktion der Legislative beschneiden will. Immerhin jeder dritte Bürger gab der Babiš-Bewegung ANO seine Stimme, die jetzt über 82 von 200 Sitzen im Abgeordnetenhaus verfügt. Und notfalls so auch eine Minderheitenregierung bilden könnte.
Zu sagen, alle drängen sich in eine Koalition mit dem Wahlsieger, wäre übertrieben. Zwar hat Babiš gleich am Samstag alle neun Parteien, die im neuen Abgeordnetenhaus vertreten sind, zu Sondierungsgesprächen eingeladen. Doch die geben sich skeptisch. „Eine Koalition mit Babiš bedeutet den Todeskuss“, meinte der Vorsitzende der Piraten, Ivan Bartoš. Sein Partei stellt die neue Linke Tschechiens dar: Die Piraten haben es geschafft, die junge, urbane Elite zu überzeugen, zu denen die Grünen, die das katastrophale Wahlergebnis in eine Sinnkrise gestürzt hat, nie den Weg gefunden hatten – ein Grund, weshalb die Piraten nun mit knapp 11 Prozent Überraschungssieger der Wahl und drittstärkste Kraft im Parlament wurden.
Die zweite Überraschung sind die ebenfalls knapp 11 Prozent für den Populisten Tomio Okamura und seine Partei der direkten Demokratie. Der Tschecho-Japaner Okamura kommt von ganz unten. Mit der Geschichte von seiner Karriere vom stotternden Müllmann in Tokio zum millionenschwerer Reiseunternehmer in Prag tingelte er über Jahre hinweg über die tschechischen Dörfer – und brachte die Sorgen und den Duktus des Stammtischs nach Prag. Mit den Jahren sind seine Reden immer radikaler geworden. Inzwischen will er den Islam verbieten, die Grenzen zumachen und aus der EU austreten. Okamura gilt als Erster, der eine Koalitionsvereinbarung mit Babiš eingehen würde. Der Pragmatiker Babiš könnte allerdings ein Problem mit Okamuras Forderung nach einem EU-CzechOut haben. Immerhin erhielt Babiš Agrofert (die seit Beginn der Treuhand seiner Frau und zwei enger Mitarbeiter obliegt) in den vergangenen 12 Jahren über 300 Millionen Euro an EU-Subventionen.
Das Horrorszenario vieler Tschechen wäre eine Koalition zwischen ANO, Okamuras SPD und den Kommunisten. Die Piraten lavieren, allen Beteuerungen zum Trotz, nicht mit Babiš zu koalieren. Die Christdemokraten sind bekannt dafür, im Austausch für eine Regierungsbeteiligung gern ihre Prinzipien zu vergessen. Die ODS, mit 11,3 Prozent zweitstärkste Kraft im Parlament und Leuchtturm der bürgerlichen Parteien im Haus, muss erst an der Basis sondieren, ob der Wähler ihr eine Koalition verzeihen würde. Keine gute Werbung für Babiš kam von den Sozialdemokraten, die ihr katastrophales Wahlresultat von 7,4 Prozent damit begründeten, den Wahlsieger zu lange geduldet zu haben. Einfach werden die Sondierungsverhandlungen also nicht werden, zumal Babiš für eine entschlussstarke Mehrheit eine Dreierkoalition aushandeln muss.
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