: Ein feines Förderinstrument
Eine unausgereifte Preisverleihung und eine gute Entscheidung: Der Preis der Nationalgalerie für junge Kunst ging an Agnieszka Polska
Von Sophie Jung
Der ganze Abend war so unentschieden zwischen Champagner aus dem Kelchglas und Bier aus der Flasche, High Heels und Sneakers, Vorfahren in der BMW-Limousine und Herbeihetzen auf dem Fahrrad. Wolfgang Tillmans (Bier, Sneakers, Rennrad) ist kurz vorbeigeschneit, Monika Grütters (Champagner, …, …) hat eine Rede gehalten. Der Preis der Nationalgalerie für junge Kunst wurde am letzten Freitagabend verliehen und auch der Förderpreis für Filmkunst. Gut fünfhundert Gäste fanden sich in der historischen Ankunftshalle des Hamburger Bahnhofs ein.
Der Schriftzug des Preises schaute in überdimensionierten Lettern auf das Publikum herab, eine Musikkapelle stand bereit. Und doch wurde der Tusch verpasst, als Udo Kittelmann, Direktor der Nationalgalerie, die Gewinnerin des Kunstpreises aufrief. Agnieszka Polska hat die Auszeichnung für ihre nachdenkliche Videoarbeit erhalten. Den Filmpreis erhielt Sandra Wollner. Auf ihren Film „Das Unmögliche Bild“ wurde schon die Laudatio gehalten, ehe ihr Name überhaupt aufgerufen war.
Die Kulisse war perfekt, die Darbietung unausgereift. Niemand konnte die Unstetigkeit der Veranstaltung besser aufgreifen als Musikerin und Schauspielerin Meret Becker. Singend, sprechend und tänzelnd moderierte Becker durch den Abend. Als stünde sie in der Manege eines kleinen Wanderzirkus, summte sie ihre Lieder versunken in sich hinein, sie vollführte einen akrobatischen Eiertanz mit Beinen aus Pappmaché. Den „verehrten Direktor Kittelmann“ bat sie mit einer derart untertänigen Verbeugung auf die Bühne, als habe sie zuvor eine arge Unart begangen.
Dieses Schwanken zwischen großer Geste und Ungeschicklichkeiten war eigentlich sehr sympathisch. Besonders in der zeitgenössischen Kunst, deren Szene so stark von Einzelpersonen, etwa von Privatsammlern, Galeristen und Künstlerpersona abhängt, können derartige Veranstaltungen in ein Schaulaufen der Stars ausarten. Das kann man in diesem Jahr dem Preis der Nationalgalerie nicht vorwerfen. Die vier nominierten Künstlerinnen, bis Januar in einer sehenswerten Ausstellung präsentiert, sind international recht unbekannt: Sol Calero, Iman Issa, Agnieszka Polska und Jumana Manna.
Während die GewinnerIn früher ein Preisgeld erhielt, investiert man die Summe seit einigen Jahren in eine Einzelausstellung in der Nationalgalerie. Anne Imhof ist der vielbeklatschte Beweis für diesen Kurswechsel: Sie erhielt den Preis 2015, 2016 folgte die Einzelausstellung im Hamburger Bahnhof, 2017 bespielte sie alleine den Deutschen Pavillon in Venedig, dann kam der Goldene Löwe – höher geht es nicht.
Klar wird an diesem Abend immerhin eines: In der Geschichte seit seiner Gründung 2000 entwickelte sich der Preis der Nationalgalerie immer mehr zu einem Förderinstrument für junge Kunst. Dass diese in Zukunft weiblich ist, dessen sind sich alle Redner angesichts der erstmals vier nominierten Frauen sicher. So einheitlich beteuerten sie die Selbstverständlichkeit von vier Künstlerinnen an der Spitze, dass man schon daran zu zweifeln beginnt, leider.
Anne Imhoff, die mit ihrer unbewegt rotzigen Miene auch auf der Bühne stand, schien von der herbeigeschworenen weiblichen Zukunft jedenfalls unbeeindruckt. Sie trug übrigens Sneakers.
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