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Gegen Hegel, für den Kontinent

Zwischen Abuja und London arbeitet die nigerianische Verlegerin Bibi Bakare-Yusuf an einer Vision. Mit Literatur will sie Afrika zum Teil des globalen Gedankenguts machen

Die Zukunft Afrikas im Blick: Bibi Bakare-Yusuf in ihrem Büro in London

Text und Foto Daniel Zylbersztajn

Von ihrem Schreibtisch in ihrem Südlondoner Büro blickt Bibi Bakare-Yusuf auf eine junge Frau mit Afro-Haarschnitt und riesiger Sonnenbrille. Es handelt sich um ein Gemälde im Pop-Art-Stil des kenianischen Künstlers Michael Soi. „Mir gefällt das Selbstbewusste daran“, sagt die 47-jährige Bakare-Yusuf. Ein Selbstbewusstsein, das sie auch stark als Verlegerin prägt.

Vor elf Jahren gründete Bakare-Yusuf, zusammen mit Jeremy Weate, Cassava Republic Press, eines der jüngsten Verlagshäuser Nigerias. Heute stehen 52 Titel von insgesamt 34 SchriftstellerInnen im Sortiment. Veröffentlichungssprache ist Englisch, die meisten der AutorInnen sind nigerianischer Abstammung. Doch finden sich im Programm beispielsweise auch Petina Gappah aus Simbabwe oder Doreen Baingana aus Uganda. „Ihr Schreibstil richtet sich nach ihren eigenen persönlichen Maßstäben. Dies und die Relevanz des Themas sind mir wichtig – nicht ob ich ein Buch selber mag“, sagt Bakare-Yusuf, die für alle Titel und Autoren ihres Verlags verantwortlich ist.

Der Hauptsitz von Cassava Republic ist in Nigerias Hauptstadt Abuja, nicht in Lagos, dem kulturellen Zentrum des Landes. Ein ungewöhnlicher Ort für einen Verlag „Es heißt, Geschichten entstünden in Lagos; in Abuja lägen sie herum und würden getilgt“, sagt Bakare-Yusuf. Aber sie lebte damals eben in Abuja.

Unentbehrlich sei allerdings auch die Präsenz mit mehreren Verlagsangestellten in Großbritannien. Rund 60 Jahre nach Erreichen der Unabhängigkeit weiter Teile Afrikas spielt das frühere impe­riale Zentrum London noch immer eine bedeutende Rolle in der anglofonen afrikanischen Literatur – etwa durch die Buchreihe „African Writers Series“ des Londoner Heinemann-Verlags, in der seit 1962 Werke von AutorInnen wie Chinua Achebe, Steve Biko und Nadine Gordimer verlegt wurden. Dazu kämen wichtige Literaturpreise wie der Man Booker Prize.

London ist aber auch die Stadt, in der sich Bibi Bakare-Yusuf am ehesten zu Hause fühlt: „Hier hat sich meine politische Meinung entwickelt, hier treffe ich stets auf Leute, die ich kenne“, sagt sie, die heute ihren Lebensmittelpunkt zu gleichen Teilen in Abuja und der britischen Hauptstadt hat.

Bereits im Alter von zwölf Jahren wurde Bakare-Yusuf mit ihren beiden Schwestern in ein Schulinternat nach London geschickt – eine Idee ihrer Großtante Alhaja Jarin, die Bakare-Yusuf als ihr größtes Idol bezeichnet. In der Tradition westafrikanischer Großfamilien hatte Jarin als erfolgreiche Textilhändlerin die Obhut über sie und ihre Geschwister. „Sie glaubte, dass es in England die beste Schulerziehung der Welt gebe“, sagt Bakare-Yusuf.

Im Internat gab es nur eine Handvoll afrikanischer SchülerInnen, und so wurde Bakare-Yusuf bald mit Rassismus und Ignoranz konfrontiert. Sie machte sich nichts daraus: „Wir kamen mit einer bereits stark geprägten politischen und kulturellen Identität aus Nigeria.“

Dazu gehört auch ihre Liebe zu Geschichten. Die entwickelte Bakare-Yusuf nicht anhand von Büchern, sondern wenn Leute aus der Nachbarschaft die Kinder des Viertels um sich versammelten und erzählten. Das erste Buch, das Bakare-Yusuf verzauberte – Amos Tutuolas Roman „The Palm-Wine Drinkard“ –, kam erst später.

Als Bakare-Yusuf an der britischen Warwick University in Frauen- und Geschlechterstudien promovierte und ­dafür in Nigeria das Verständnis von Liebe und Eros unter Frauen aus der Volksgruppe der Yoruba erforschte, fiel ihr auf, dass „westliche romantische ­Romane dieses Verständnis kolonialisiert hatten“. Auch bemerkte sie in vielen Bücherregalen einen Mangel an breit gefächerter Literatur, stattdessen „Flughafenliteratur“: John-Grisham-Bestseller, Selbsthilfeführer und Diätratgeber.

„Man hätte glauben können, dass Hegel recht hatte, als er behauptete, Afri­ka fehle sowohl Geschichte als auch Relevanz“, sagt Bakare-Yusuf erbost. In ihr wuchs der Drang, etwas dagegen zu tun. Mit der Gründung ihres Verlags verbindet sie eine Vision: „Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen Nigerias, wie etwa die Yoruba, Ibo, Hausa, kommunizieren nur wenig untereinander. Wir wollen einen Diskurs anstoßen, in Nigeria und auch mit Menschen aus anderen afrikanischen Ländern – indem wir in eine selbst für AfrikanerInnen versteckte Welt erleuchten.“

Bakare-Yusuf will AfrikanerInnen neue Zuversicht geben. Dabei orientiert sie sich nicht nur an der Buchwelt. Der Erfolg der nigerianischen Film- und Musikszene ist ein Vorbild für die Literatur, sagt sie: „Beide glauben ungeniert an sich selber und wenden sich ganz direkt an die eigene Bevölkerung. Die afrikanische Literatur orientiert sich immer noch zu stark am Westen oder wurde von westlichen Verlegern entsprechend ausgewählt.“

Auch deshalb müssten Verlage wie Cassava Republic von AfrikanerInnen gesteuert werden: um Literatur, die innerhalb der afrikanischen Gemeinschaft entstanden ist, zu fördern. Es geht Bakare-Yusuf um die Anerkennung der Existenz Afrikas überhaupt.

Zur Verbreitung ihrer Botschaft beteiligt sie sich an Literaturfesten, in Lagos, aber auch in Johannesburg oder Nairobi. Vor allem Kinder und Jugendliche werden hierzu eingeladen, um damit der afrikanischen Literatur eine Zukunft zu eröffnen.

Das Resultat all dessen seien AutorInnen wie die deutsch-nigerianische Autorin Olumide Popoola, deren neuer Roman, „When We Speak of Nothing“, erschienen bei Cassaca Republic, sich mit der Queer-Community auseinandersetzt. Vor Kurzem stand „Popoola“ sogar auf dem Titel des nigerianischen Guardian, einer der wichtigsten Tageszeitungen des Landes. Und das, obwohl Homosexualität in Nigeria illegal ist.

Bakare-Yusuf blickt triumphierend auf: „Wissen Sie, ich glaube die Literatur und die Menschen sind der Politik um einiges voraus!“ Eines der nächsten Bücher von Cassava Republic soll letzte Zweifel tilgen: „Some Girls Want Wives. Nigerian Queer Women in Conversation“ soll es heißen. Dabei, sagt Bakare-Yusuf, gehe es ihr nicht nur um die Queer-Community, sondern gleichermaßen um den literarischen Wert: „Die besten Arbeiten entstehen aus der Konfrontation mit Gewalt oder Qual- und Angstsituationen.“

Als Frau im Verlagsgeschäft sei sie in London wie in Nigeria die Ausnahme, sagt Bibi Bakare-Yusuf. In Nigeria gebe es zudem eine weitere Hürde: „Dort hat, wer älter ist, das Wort. Meine mehr als vierzig Jahre sind da gar nichts.“

Ein normaler Tag beginnt für sie bereits um fünf Uhr früh. Auf Morgenübungen folgt die Beantwortung von E-Mails, den Rest des Tages verbringt sie mit Manuskripten und Arbeitstreffen. Der finanzielle Gewinn sei dabei nicht groß – der soziale umso größer. Bakare-Yusuf versichert, dass sie Spaß an ihrer Arbeit hat.

Das schwierigste seien ohnehin nicht die langen Arbeitszeiten, es sei vielmehr das qualitative Niveau vieler AutorInnen: „Ich muss sie oft auffordern, mehr zu lesen.“ Auch für Kurse für SchriftstellerInnen fühlt sie sich verantwortlich und sucht stets Fördermittel dafür. Inzwischen gibt es auch einige andere Verlage in Nigeria mit ähnlichen Zielen, wie den Kachifo-Verlag, der Chimamanda Ngozi Adichies Buch „Blauer Hibiskus“ herausbrachte. Genug seien es aber immer noch nicht, findet Bakare-Yusuf, denn Potenzial und Bedarf seien groß.

„Ich stelle mir bei der Arbeit immer ein Archiv der Zukunft vor, das später auf diese Zeit zurückblickt“, sagt Bibi Bakare-Yusuf. Afrika soll Teil des globalen Gedankenguts werden, fordert sie, und es hört sich an wie eine persönliche Antwort an Hegel.

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