: Staatsanwälte verfolgen Cum-Ex-Deals
Strafrechtliche Aufarbeitung der Milliarden-Gaunereien: Anklage wegen schwerer Steuerhinterziehung
Von Hannes Koch
Bis zu 16 Milliarden Euro soll diese Art der Steuerhinterziehung den deutschen Staat gekostet haben – bislang ohne strafrechtliche Konsequenzen. Nun aber hat die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main erstmals Anklage wegen der sogenannten Cum-Ex-Geschäfte erhoben.
Der Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall würden der in der Schweiz lebende Rechtsanwalt Hanno Berger und mehrere ehemalige Aktienhändler der Münchener Hypo-Vereinsbank beschuldigt, berichten Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR. Berger gilt als einer derjenigen, die das umstrittene Modell austüftelten. Die Staatsanwaltschaft wollte sich „aus formalen Gründen“ nicht äußern. Die Anklage lag den Beschuldigten offenbar noch nicht vor.
Der Begriff „Cum-Ex“ bezeichnet eine Steuersparstrategie, die Banken, Berater und Investoren in den 1990er Jahren entwickelten. Dabei wurden Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividendenanspruch gehandelt. Die BesitzerInnen der Aktien zahlten beispielsweise einmal Kapitalertragssteuer für die erhaltene Gewinnausschüttung, ließen sich die Steuer aber mehrfach vom Finanzamt zurückerstatten. Möglich wurden die lukrativen Tricks, indem Investoren ihre Anteilscheine im Umkreis des Termins der Dividendenzahlung schnell hin und her verkauften. Rechtlich waren dadurch zum gleichen Zeitpunkt mehrere Leute im Besitz derselben Aktie.
Das Landgericht Wiesbaden muss nun entscheiden, ob es die Anklage zulässt. Die rechtliche Lage ist unklar. Bis zu einer Gesetzesänderung im Jahr 2011 seien die Geschäfte grundsätzlich legal gewesen, argumentieren Beteiligte. Sollte es zum Verfahren kommen, könnten viele weitere folgen. Die Staatsanwaltschaften in Düsseldorf, Frankfurt am Main, Köln, München und Stuttgart ermitteln gegen mehr als 100 Verdächtige, auch gegen Geldinstitute wie JPMorgan, Barclays, BNP Paribas und die UBS. Die Hypo-Vereinsbank hat mittlerweile rund 200 Millionen Euro an die Finanzämter zurückgezahlt. Die meisten anderen Banken sperren sich gegen eine Rückzahlung.
In der vergangenen Legislaturperiode hat ein Untersuchungsausschuss im Bundestag den Skandal aufgearbeitet. Damit dürfte das Thema politisch aber noch nicht abgeschlossen sein. Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick sagte, er wolle über Konsequenzen bei den Verhandlungen zu einer möglichen Jamaika-Koalition mit Union und FDP sprechen.
Die Grünen fordern ein Gesetz, das Tippgeber aus dem Finanzbereich besser schützt. „Wenn wir dort Kriminalität aufklären wollen, sind wir auf die Hinweise von Whistleblowern angewiesen“, erklärte Finanzexpertin Lisa Paus. Außerdem plädierte sie für eine Anzeigepflicht für Steuergestaltungsmodelle, wie sie in Großbritannien praktiziert werde, und für ein Spezialfinanzamt auf Bundesebene für große Konzerne, Banken und Einkommensmillionäre.
Die Cum-Ex-Geschichte enthält zudem eine politische Verwicklung. Laut Wirtschaftswoche berät Wolfgang Kubicki, einer der führenden FDP-Politiker, als Rechtsanwalt eben den Hanno Berger, gegen den die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main nun Anklage erhebt. Schick findet das „pikant“. Er sieht einen „potenziellen Interessenkonflikt“ zwischen Kubickis politischer Rolle – er ist als Bundesfinanzminister im Gespräch – und der Funktion des Verteidigers. Kubicki erklärte in der Wirtschaftswoche, Mandat und Ministertätigkeit schlössen sich aus.
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