piwik no script img

Die Tracklist eines Künstlerlebens

Morgen kann alles vorbei sein, drum mach jetzt, was du wirklich willst. Seit BRKN nach diesem Motto lebt, steckt er alle Kraft in die Musik. Morgen stellt er sein neues Album vor

Von Andreas Holzapfel

BRKN wartet auf sein Urteil. Wie ein Boxer hockt er da, breitbeinig, die Ellenbogen auf die Oberschenkel gestützt. Er starrt zu Boden, lugt hin und wieder zu der jungen Frau neben ihm. Ihre Augen sind leicht zusammengekniffen, ihre Gesichtszüge angespannt. Sie dreht sich zu BRKN, nimmt die Kopfhörer ab, reißt die Augen auf. „Das ist von dir?“, fragt sie ungläubig. „Das bin ich!“ BRKN reckt die Faust, als hätte er einen Kampf gewonnen.

Die Szene stammt aus einem Video, mit dem der Kreuzberger Musiker BRKN sein neues Album „Einzimmervilla“ und seine derzeit laufende Tour auf Facebook bewirbt. BRKN zieht dort mit seinen Jungs durch Berlin und stülpt Passanten Kopfhörer über. Alle lachen, alle tanzen.

BRKN heißt eigentlich Andac Berkan Akbiyik und macht deutschen R’n’B. Sein Studio ist ein ehemaliger Partyraum im Keller des Kindergartens, in den BRKN früher gegangen ist. Drums, Mischpult und eine Hammond quetschen sich in den Raum. Neben der Tür steht ein grünes Biedermeiersofa, an der Wand hängt ein Poster von Bruce Lee. Hin und wieder macht er hier ein Nickerchen. Einen Großteil seiner Zeit arbeitet er im Studio. Nur auf die Mittagspause des Kindergartens muss er achten.

BRKN schreibt, komponiert und produziert seine Songs selbst, spielt Gitarre, Saxofon und Klavier. Die Musik ist sein Leben. An so manchen Tagen lässt ihn das aber nicht schlafen. Entweder, weil er sowieso noch im Tonstudio ist. Oder aber, weil er sich fragt, wie er bis Ende des Monats über die Runden kommen soll. Er lebt für die Musik. Nicht von ihr.

Dabei kam sein erstes Album „Kauft meine Liebe“ im vergangenen Jahr unter den Kritikern gut weg. Seine Texte sind lässig, manchmal ungehobelt, aber nie abgedroschen. In seiner eigenen Bühnenshow „BRKN, Dicker!“ hat er mit bekannten Rappern wie Alligatoah und Nico von K.I.Z musiziert und geflachst. Mit Alligatoah war er sogar zusammen auf Tour, spielte vor insgesamt 60.000 Menschen.

Einzimmerwohnung

Noch aber sitzt er tagsüber am Empfang eines Marketingunternehmen. Noch wohnt er mit seiner Freundin in seiner „Einzimmervilla“. Nicht lange ist es her, da sei das Portemonnaie am Monatsende deutlich zu schmal für die verbliebenen Tage gewesen. „Dann gab’s viel zu oft Döner für 2,50 oder Yum-Yum-Nudeln vom Späti.“ Große Sprünge sind immer noch nicht drin. Erst vor Kurzem ist er mit seiner Freundin umgezogen. Von einer Einzimmerwohnung in die nächste. Statt 28 Quadratmeter sind es nun 35. BRKN wartet darauf, dass sein Traum endlich losgeht.

Er ist, wie er in seinem Werbevideo wirkt: authentisch, locker, geerdet. Ein Kreuzberger Original. Wenn er jubelt, weil jemandem seine Musik gefällt, scheint das von Herzen zu kommen. Das Video verrät aber noch etwas anderes über ihn. Sein Dilemma. Viele Leute sind überrascht, wenn sie seine Songs hören: Das ist wirklich von dir? Sie kennen ihn nicht.

Seine Videos auf YouTube sehen hunderttausend Leute, wenn es gut läuft. Auf Facebook hat er knapp 14.000 Fans, bei Twitter 19.000. Zum Vergleich: Sein Kollege Alligatoah hat allein auf Facebook 762.000 Fans, sein bekanntestes Lied wurde 42 Millionen Mal geklickt. Der hat zwar auch schon zwei Goldene und eine Platin-Schallplatte an der Wand. Aber selbst ein Hahn namens Mike hat etwas, was BRKN nicht hat: einen Wikipedia-Eintrag. Um fair zu bleiben: Angeblich hat Mike „the headless chicken“ noch 18 Monate gelebt, nachdem ihm der Kopf abgeschlagen wurde.

Kopflos ist BRKN ganz und gar nicht. Er antwortet fast nie einsilbig mit Ja oder Nein. Er macht sich Gedanken, über das Leben, über sich selbst. Nicht immer wollte er mit Musik Geld machen. Nach dem Abi studierte er Architektur, weil er schon immer gern gezeichnet hat, vor allem Comics. Seinen Eltern, beide Akademiker, wollten, dass ihr Sohn etwas Solides macht. Sein Vater sagte immer: „Mach deinen Doktor und dann mach, was du willst.“ BRKN aber wollte nicht warten.

Nach dem Bachelor hatte er genug von Entwürfen und Gebäudeplänen. „Architekt war keine Option mehr. Ich weiß nicht mal, wo das Zeugnis liegt.“ Schon zwischen den Vorlesungen produzierte BRKN Songs für Rapper wie Said und Mach One, Freunde von Freunden. Nach dem Studium sollte die Musik dann kein Hobby mehr bleiben. Der Entscheidung haftet etwas Schicksalhaftes an. BRKN traf sie, als innerhalb kurzer Zeit zwei Personen in seinem Umfeld plötzlich verstarben. „Ich dachte mir: Morgen kann echt alles vorbei sein. Bis dahin will ich machen, was ich wirklich machen will.“

Seither ist die Musik praktisch ein Vollzeitjob für ihn. Nur leben kann er davon nicht. Deshalb arbeitet er weiter in der Werbeagentur. Deshalb geht er noch immer erst nach Feierabend ins Studio und nach Hause, wenn andere schon längst den Fernseher ausgemacht haben. „Man darf halt nicht faul sein.“

36 Tode bis zum Ziel

Am liebsten würde er in den Hörer schreien, „Dicker, diese Zeit ist so verschwendet“

Auf der Arbeit muss BRKN freundlich sein, am liebsten aber würde er in den Hörer schreien. „Ich sitz auf Arbeit und denke: Dicker, diese Zeit ist so verschwendet. Ich könnte jetzt im Studio sitzen und Musik machen.“ Aber gute Beats und lässige Texte machen noch keinen Erfolg. Wer Aufmerksamkeit will, muss extrem sein. „Entweder man hat sein Abi mit 1.0 gemacht oder ist Intensivtäter. Alles, was alltäglich ist, interessiert niemanden.“ Ganz unrecht hat er damit nicht. In „Promo“ macht er sich darüber lustig: „Kriegen wir dich in Abschiebehaft? Würdest du dich anschießen lassen? Gab’s mal ’n trauriges Ereignis? Gute Mucke allein reicht nicht.“

Vor einiger Zeit lag BRKN nachts wach: Pack ich das wirklich? Oder versage ich vielleicht? Heute lässt er keine Zweifel mehr zu. „Ich mach das hier, bis die Goldene an der Wand hängt.“ Es wirkt nicht großkotzig, wenn er das sagt, mehr wie Zweckoptimismus. Er muss daran glauben. Er will daran glauben. Und er scheint daran zu glauben. In vielen Songs sprudelt die Zuversicht aus ihm. Nicht immer so düster wie in „Atemmaske“: „Glaub mir, alles wird gut, aber davor wird‘s übertrieben scheiße. Ich sterbe sechsunddreißig Tode, bevor ich mein Ziel erreiche.“

Sein Leben spiegelt sich in seinen Liedern. Es geht um die Existenz als Künstler, noch vor dem Durchbruch. Seine Tracklist verrät: Er bewohnt noch immer nur „Ein Zimmer“, tritt „Auf Der Stelle“ und hofft auf eine „Glückssträhne“. Der Fokus liegt genau da, wo er beim letzten Album schon lag. Es schwingt allerdings mehr Melancholie mit. „Wenn man ’ne Kackzeit durchlebt, das Lied aber gut ist, dann kann man es auch auf die Platte packen.“ Grundsätzlich schreibe er traurige Songs nicht gern. „Das kann zwar auch Therapie sein. Aber ich will nicht in diesem Gefühl baden.“ Deshalb drückt sich auch diesmal sein fröhliches Naturell durch. Seine Texte sind locker und angenehm selbstironisch.

BRKN schwingt, oder besser: swingt gekonnt von Genre zu Genre. „Ich mach das, was sich richtig anfühlt, für mich. Einfach mein Ding. BRKN kann schließlich keiner besser als BRKN selbst.“ Seine Musik ist irgendwas zwischen HipHop, Jazz, Funk und Soul. Nur schwer lässt sich ihr ein Etikett aufdrücken. Den BRKN beherrscht er nun mal ganz gut.

Geld solle auf seinem nächsten Album nicht schon wieder das Thema sein. „Da muss ich mir dann vielleicht was überlegen.“ Vielleicht aber auch nicht. Gut möglich, dass es ihn dann nicht mehr so beschäftigt. Wenn er nämlich seinen Kampf gewonnen hat. Endlich seinen 36. Tod gestorben ist.

Am Donnerstag spielt BRKN ab 20 Uhr im Bi Nuu

„Einzimmervilla“ (Beste (Groove Attack))

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen