: Der Bauchnabel als Guckloch
Die liebevoll inszenierte Ausstellung „Alles dreht sich … und bewegt sich – Der Tanz und das Kino“ im Filmmuseum Potsdam folgt der Spur bewegter Bilder und Körper. Zu sehen sind auch einst zensierte Szenen
Von Tilman Baumgärtel
Das Kino ist die Kunst der sich bewegenden Bilder. Der Tanz ist die Kunst der sich bewegenden Körper. Kein Wunder, dass die beiden Kunstformen nach Erfindung des Films schnell zueinanderfanden.
Schon in den frühesten stummen Kurzfilmen waren regelmäßig Tanzdarbietungen zu sehen – erst als abgefilmte Bühnenshows, bald eingebettet in Geschichten, bei der Kameraperspektiven und Montage den Tanz filmisch ergänzten. Mit dem Tonfilm kam das Genre des Musicals auf, bei dem Tanzeinlagen Teil der Handlung wurden. Die Unverwüstlichkeit des Genres bewies zuletzt wieder der Erfolg von „La La Land“.
Die solide zusammengestellte und liebevoll inszenierte Ausstellung „Alles dreht sich … und bewegt sich – Der Tanz und das Kino“ im Potsdamer Filmmuseum erzählt die Geschichte des Verhältnisses der beiden Künste. Gleich am Anfang sieht man sich einer Installation gegenüber, die allein schon den Besuch der Ausstellung lohnt: eine kurze, handkolorierte Stummfilmaufnahme, die den legendären Serpentinentanz der Ausdruckstänzerin Loïe Fuller zeigt und so in eine historische Kulisse projiziert ist, dass die Drehungen und Windungen der „Schlangentänzerin“ plastisch wirken. Die Bewegungen der Tänzerin, mit denen sie ihre Schleier um sich wirbeln und dadurch immer wieder ihren Leib in einer Abstraktion aus Bewegung und bunten Formen verschwinden lässt, wirken wie 3-D ohne Stereobrille – ein verblüffender Effekt. (Ganz am Schluss kommt die Ausstellung mit einem Ausschnitt aus „Isadora“ (1968) noch einmal auf diese Art des Schleiertanzes zurück.)
So hat das Kino schon früh die Auftritte von Tänzern und Tänzerinnen festgehalten, die heute Legende sind: Josephine Baker mit ihrem „Bananentanz“ oder Valeska Gert, die „Frau im Taumel des Lasters“, deren expressionistischen Verrenkungen zwischen Veitstanz und Pogo schon den Stil von New-Wave-Sängerinen wie Siouxsie Sioux oder Bettina Köster von Malaria vorwegnahmen. Dann ist da noch Niddy Impekoven, die im Berlin der 1920er Jahre in ihren Choreografien unter anderem einen Teewärmer zum Leben erweckte. Und natürlich Leni Riefenstahl, die die Impulse der Reformtanzbewegung des frühen 20. Jahrhunderts auf die Leinwand übertrug und damit eine folgenreiche Filmkarriere begann. Von allen diesen Künstlerinnen sind in der Ausstellung Filmausschnitte zu sehen.
Freilich: Der Tanz im frühen Kino war nicht nur modernistische Choreografie und hohe Ballettkunst. Oft zuckten vor der Kamera auch leicht bekleidete oder ganze nackte Damen aus der Halbwelt und dem Tingeltangel. Stummfilme enthielten gelegentlich erotische Tanzszenen, die regelmäßig der Zensur zum Opfer fielen – heute sind diese Filmschnipsel, die von den Behörden aufbewahrt wurden, die einzigen Relikte mancher Filme. Durch ein Guckloch, das in den Bauchnabel einer praktisch nackten Tänzerin aus der Stummfilmzeit eingelassen ist, sieht man kurze erotische Tanzszenen aus der Zeit um 1900.
Doch vor allem luxuriert die Ausstellung natürlich in berühmten Filmszenen, in denen tanzende Körper, schwungvolle Kamerabewegungen und rhythmische Montage eine eigene Form des kinematografischen Tanzes schaffen – die Walzerszene aus „Krieg und Frieden“ (1956) beispielsweise, in der die Kamera zum Schluss so schwungvoll über eine Tanzfläche hinwegschwebt, dass sich so mancher Drohnenoperator der Gegenwart daran ein Beispiel nehmen könnte. Oder die atemberaubende Sequenz aus „Black Swan“ (2010), in der einer auf der Bühne wild Pirouetten drehenden Natalie Portman schwarze Schwanenflügel wachsen.
Bei deutschen Produktionen werden die Filmbeispiele ergänzt durch Kostüme, Requisiten und Storyboards aus der Sammlung des Filmmuseums. Zu den Exponaten gehören die Partyklamotten, in denen die Protagonistin aus dem Horrorfilm „Der Nachtmahr“ (2015) zu hämmerndem Techno abrockt, oder Skizzen für eine Sequenz aus dem Film „Der geteilte Himmel“ (1964), für die ein ganzer verspiegelter Ballsaal als Kulisse gebaut wurde.
Überhaupt, wir sind natürlich im ehemaligen „Filmmuseum der DDR“, wo gerade auch Defa-Klassiker wie der Kultfilm „Heißer Sommer“ (1967/68) groß in Szene gesetzt werden – und zwar gleich gegenüber und damit zum direkten Vergleich einladend mit der „West Side Story“ (1961).
„Alles dreht sich … und bewegt sich – Der Tanz und das Kino“ ist bis zum 22. April 2018 im Filmmuseum Potsdam zu sehen. Zur Ausstellung werden im Kino des Filmmuseums Tanzfilme gezeigt
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