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Pflegefall Pflege?

Theoretisch passt die neue Pflegeausbildung perfekt zum anthroposophischen Menschenbild. Die Praxis wirft Fragen auf

Auf die Zusammenhänge zwischen seelischem und körper­lichem Befinden kommt es an Foto: Bernd Jonkmanns/laif

Von Cordula Rode

Krankenpflege, Kinderkrankenpflege oder doch Altenpflege? Diese Frage mussten sich Auszubildende in pflegerischen Berufen bisher bereits vor Beginn der Ausbildung stellen. Und verbindlich beantworten, denn jeder dieser Berufe hat einen eigenen Ausbildungsgang. Den nächsten Generationen bleibt diese Wahl erspart: Die Reform, die der Deutsche Bundestag im Juni dieses Jahres beschlossen hat, sieht eine Vereinheitlichung der Ausbildung vor. In dieser neuen generalistischen Pflegeausbildung mit dem Berufsabschluss „Pflegefachfrau/Pflegefachmann“ werden in den ersten beiden Jahren gemeinsame Lerninhalte vermittelt. Im dritten Jahr können die Auszubildenden dann auf Wunsch die generalistische Ausbildung fortsetzen oder sich zwischen Kinderkranken- oder Altenpflege entscheiden. Wer nach zwei Jahren aufhören möchte, erlangt, auch dies ist neu, den Abschluss „Pflegeassistenz“, der flexible berufliche Einsatzmöglichkeiten eröffnet. Durch diese Maßnahmen sollen der Pflegeberuf aufgewertet und die Einsatz- und Aufstiegsmöglichkeiten der Fachkräfte erhöht werden.

Für das Pflege-Bildungszentrum (PBZ) an der anthroposophisch geführten Filderklinik bei Stuttgart ist dieser Ansatz längst nicht mehr neu – bereits 2006 startete das PBZ ein vom Sozialministerium genehmigtes Modellprojekt, um die generalistische Ausbildung einzuführen und zu entwickeln. Welche Erfahrungen hat man dort mit dem Ansatz gemacht? Monika Kneer, stellvertretende Leiterin des PBZ, muss nicht lange überlegen: „Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht. Die generalistische Ausbildung passt perfekt zum anthroposophischen Menschenbild.“ Die Anthroposophie richtet den Blick immer auf den ganzen Menschen. Dieser wird als Entwicklungswesen gesehen, deshalb zählt nicht das jeweilige Lebensalter, sondern der Lebenszyklus als Ganzer: „Der Mensch braucht in allen Phasen seines Lebens Pflege, das beginnt schon im Mutterleib.“ Die anthroposophische Pflege erfordert hohes fachliches Niveau, setzt aber andere Schwerpunkte als die konventionelle: Neben den körperlichen stehen ebenso die seelischen und spirituellen Bedürfnisse des zu Pflegenden im Mittelpunkt. Die Unterstützung von Selbstheilungskräften, die Vermittlung positiver Sinneseindrücke und der Blick auf Zusammenhänge zwischen seelischem und körperlichem Befinden sind ein wichtiger Bestandteil. Konkreten Ausdruck finden diese Bestrebungen zum Beispiel in rhythmischen Einreibungen und therapeutischen Waschungen.

Doch nicht nur der Patient erfährt in der Anthroposophie diese besondere Achtsamkeit: „Die Persönlichkeitsentwicklung unserer Schüler ist uns ein großes Anliegen“, erklärt Monika Kneer. „Im Spannungsfeld zwischen Idealismus und Realität dürfen die Pflegenden nicht zerbrechen.“ Dazu dient unter anderem der künstlerische Unterricht. Die Wahrnehmung wird dort geschärft, die Differenz zwischen Anspruch und realem Ergebnis zeigt die eigenen Grenzen auf, die man akzeptieren muss.

Monika Kneer sieht die generalistische Ausbildung, ob anthroposophisch oder konventionell, als große Chance für eine Generation, die sich gern ausprobiert: „So erlebt jeder Auszubildende alle Pflegesettings, kommt auch mit anderen Generationen in engen Kontakt – was in der heutigen Gesellschaft ja nicht mehr selbstverständlich ist.“

Wegweiser

Der Verband für Anthroposophische Pflege (www.vfap.de) informiert über Ausbildungen sowie Ausbildungsstätten und listet Experten auf. Darüber hinaus findet man dort einen Stellenmarkt, Literaturtipps und hilfreiche Links. Über die Seite kommt man auch zur Akademie für Pflegeberufe in der Filderklinik.

Heine, Rolf (Hrsg.), Anthroposophische Pflegepraxis: Grundlagen und Anregungen für alltägliches Handeln. Salumed-Verlag; Auflage 4 (2017).

So positiv sehen das allerdings nicht alle. Das Nikodemus-Werk, Träger der anthroposophischen Altenpflege, stellt sich klar gegen die Reform. Man befürchtet dort, dass der Fachkräftemangel in der Altenpflege durch den generalistischen Ansatz noch verschärft wird, da diese im Vergleich zur Krankenpflege ohnehin als unattraktiv empfunden und der Wechsel in einen anderen Pflegebereich nun sehr viel leichter sein wird. Außerdem fürchtet man durch die Verschärfung der Zugangsbeschränkung eine „Akademisierung“ der Pflege, bei der Hauptschüler auf der Strecke bleiben.

„Die Reform ist mit der heißen Nadel gestrickt, es gibt noch keine Ausbildungs- und Prüfungsverordnung“, sagt Gabriele Weber. Sie leitet das Dörthe-Krause-Institut, die Krankenpflegeschule am anthroposophischen Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke. Die Bedenken des Nikodemus-Werkes teilt sie und hat auch bereits von anderer Seite Kritik an der Reform gehört: „Viele Kinderärzte halten es für keine gute Idee, das eigenständige Berufsbild der Kinderkrankenpflege zu kippen.“

Monika Kneer vom PBZ kennt diese Unsicherheiten und hat Verständnis dafür, aber für sie steht fest: „Es wird auch wechselseitigen Gewinn geben, zum Beispiel durch die Verschränkung von Alten- und Krankenpflege – immer mehr ältere Menschen leiden an Krankheiten, die intensive Pflege erfordern.“

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