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Die Gönner im Norden

Kiel Die Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein wurde unter Schmerzen geboren – dafür funktioniert sie inzwischen umso besser. Das Erfolgsrezept sei, den anderen auch mal was zu gönnen, sagt Ministerpräsident Daniel Günther von der CDU

von Esther Geißlinger und Sven-Michael Veit

Noch nicht einmal 100 Tage ist die Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein im Amt und schon sind die Beteiligten bundesweit gefragt: „Wie habt ihr das hinbekommen? Wie funktioniert das?“, wollen die Bundesspitzen von CDU, FDP und Grünen von den ParteifreundInnen im hohen Norden wissen. Und die antworten unisono: „Mit Respekt“.

Die Basis eines solchen Bündnisses sei, dass alle Partner ihre wichtigsten Punkte umsetzen dürfen: „Man muss auch gönnen können“, meint CDU-Ministerpräsident Daniel Günther. Und das war bereits kurzfristig erfolgreich: Bei der Bundestagswahl am vorigen Sonntag lagen die Koalitionäre in Schleswig-Holstein klar über dem Bundesergebnis ihrer Partei: die CDU um 1,1 Prozentpunkte, die FDP um 1,9, die Grünen gar um 3,1. Das nennt man gute Argumente.

Eins zu eins übertragen lässt sich das Modell Schleswig-Holstein weder auf den Bund noch auf Niedersachsen. Und auch im hohen Norden brauchte es einige Zeit, bis sich das Jamaika-Bündnis eingroovte – wie viele der Fingerhakeleien zwischen Grünen und Gelben, die um den zweiten Rang in der Koalitionshierarchie rangeln, dem Bundestagswahlkampf geschuldet waren, wird sich zeigen. „Grußworte und Machtworte des Ministerpräsidenten, ansonsten Chaos in der Koalition“, fasste Ralf Stegner, SPD-Oppositionsführer im Landtag, die Streitereien unter den Juniorpartnern zusammen. Beispiel war eine Debatte darüber, ob das Land weiter die Vergabe öffentlicher Aufträge daran knüpfen sollte, ob Unternehmen einen Mindestlohn von 9,99 Euro pro Stunde zahlen. FDP-Wirtschaftsminister Bernd Buchholz hatte das infrage gestellt, die Grünen reagierten verärgert.

Doch die Irritation dauerte nur kurz, die FDP wies ihren Minister in die Schranken: Da nichts anderes verhandelt sei, bliebe der Mindestlohn, sagte Christopher Vogt für die Fraktion. So konnte der CDU-Abgeordnete Lukas Kilian in Richtung SPD ätzen: Wenn das der einzige Kritikpunkt sei, „haben wir ja einen guten Start gehabt“. Der Minister sei ins kalte Wasser gesprungen – „schwimmen kann er, übers Synchronschwimmen sprechen wir nochmal“. Denn auch in einem zweiten Punkt sorgte Buchholz für Koalitionsstreit, als er vorschlug, Häuslekäufer bis zu einem Kaufpreis von 500.000 Euro von der Grunderwerbssteuer freizustellen. Finanzministerin Heinold stellte klar, dass sie eine solche Einmischung in ihr Ressort nicht dulde: „Wird es mit uns definitiv nicht geben.“

Ansonsten will die Günther-Regierung Tempo vorlegen: 33 Punkte umfasst das 100-Tage-Programm, das bis zum 6. Oktober abgearbeitet sein will. Dazu zählt eine Änderung des Schulgesetzes, dank der Gymnasien wieder in neun Jahren zum Abitur führen, was die Gemeinschaftsschulen schwächt. Beschlossen wurden auch neue Regeln für die Straßenausbaugebühren, mit denen Kosten von Hausbesitzern auf die Allgemeinheit abgewälzt werden können.

Doch ist Jamaika ein „Bündnis der Besserverdiener“? Eben diese Sorge der Grünen, „als bürgerliches Öko-Anhängsel von CDU und Anwälten zu verschwinden und keine eigene Politik mehr zu machen“, hatte Robert Habeck im Mai formuliert – und gefordert, die Grünen müssten „linker“ werden.

Für Lars Harms von der Minderheitenpartei SSW ist davon bisher nichts zu sehen: „Man merkt, dass der neoliberale Geist sich Stück für Stück durchsetzt.“ Etwa beim Vorschlag seiner Fraktion, nach einer Vergabe öffentlicher Bahnlinien den neuen Betreiber zu verpflichten, das Personal zu übernehmen. Im Wirtschaftsausschuss scheiterte der Entwurf, die Grünen stimmten mit CDU und FDP. In anderen Bereichen haben allerdings auch CDU und FDP zurückgesteckt, etwa bei der Flüchtlingspolitik, deren Leitlinien sogar vom Flüchtlingsrat vorsichtiges Lob erhalten.

Ein Selbstläufer indes war die Bildung dieses Bündnisses nicht. Anfang Juni hatte die Sache drei Tage lang mächtig gewackelt, im Streit über Verkehrs- und Wirtschaftspolitik gab es Auszeiten, getrennte Verhandlungen hinter verschlossenen Türen, interne Papiere wurden an die Presse lanciert und zwischen den Verhandlungspartnern fielen harte Worte. Grüne und FDP warfen sich gegenseitig „Vertrauensbruch“ und „Täuschung“ vor, FDP-Chef Heiner Garg sprach von „fundamentalem Dissens in manchen Punkten“, FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki gab Jamaika nur noch eine Chance von 20 Prozent. Eine eintägige Unterbrechung begann mit dem Rat des Chefgrünen Robert Habeck, „den Tag sollten alle nutzen, um in die Tüte zu atmen“, endete mit der Ankündigung der grünen Spitzenkandidatin Monika Heinold, „mit mir ist heute nicht gut Kirschen essen“ – und führte letztlich zur Fortsetzung der Verhandlungen und zur Erkenntnis von Heiner Garg: „Man muss lernen, entspannter miteinander umzugehen.“

Es brauchte einige Zeit, bis sich das Jamaika-Bündnis eingroovte

Aber wenig später gerieten Kubicki und Habeck sich erneut heftig an die Köpfe. Der FDP-Haudegen hatte im Hinblick auf die Bundestagswahl Jamaika als „unvorstellbar“ bezeichnet: „Die moralische Impertinenz von Katrin Göring-Eckardt geht mir wirklich auf den Senkel“, moserte er, und mit den Fraktionslinken Jürgen Trittin und Anton Hofreiter „eine vernünftige Basis finden, übersteigt zumindest momentan meine Vorstellungskraft“.

„Diese Herabsetzung von Menschen vergiftet die Atmosphäre – auch in der Koalition in Kiel“, kofferte Habeck zurück. Ministerpräsident Günther, der sich aus allen Scharmützeln auffällig heraushält, sprach später davon, dass es in einer Koalition „mit solchen Alphatieren“ niemals langweilig werde.

Eben das jedoch könnte nun in Schleswig-Holstein doch passieren. Kubicki wechselt nach Berlin als Fraktionschef oder Bundesminister, Habeck zählt zum Verhandlungskomitee der Grünen in den Gesprächen mit CDU und FDP, wird als neuer Parteivorsitzender gehandelt und eventuell gleich noch als Bundesumweltminister – ein Job, von dem Habeck schon lange träumt. Der Weggang der beiden Schwergewichte brächte die Statik der Kieler Koalition ins Wanken. Ginge nur einer, verschöbe sich die Machtbalance im Bündnis zuungunsten seiner Partei.

Und so bewahrheitete sich vielleicht doch noch die düstere Prognose des Grünen Rasmus Andresen, der Jamaika im Juni ein „Arbeitsbündnis“ für zwei bis drei Jahre nannte: „Vertrauen in fünf gute und gemeinsame Regierungsjahre habe ich nicht.“ Und das wäre dann kein gutes Modell für Berlin und Hannover.

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