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der rote faden Der neue Heulsusensound der Konservativen

durch die woche mit

Robert Misik

Mentalitätswandel

Sind es nur konservativ gewordene Linke, die behaupten, dass die Unterscheidung zwischen links und rechts obsolet geworden ist, fragte unlängst jemand auf Twitter. Ich würde die Rechten, die rechts geblieben sind, auch noch dazuzählen. Normale Rechte wollen ja nicht rechts sein, rechts wollen ja nur irre Rechte sein. Generell kann ich mit Konservatismus ja wenig anfangen, was ich politisch begründen könnte, aber wahrscheinlich hat das sogar eher psychopolitische Gründe. Ich interessiere mich nun einmal für das Neue, finde die Zukunft eher spannend als angsteinflößend und bin zuversichtlich, dass wir trotz der Kompliziertheiten der Welt die Dinge schon irgendwie zufriedenstellend geregelt kriegen werden. Vorausgesetzt, die Rechten machen nicht mal wieder alles kaputt.

Einen Konservatismus gibt es allenfalls, dessen Grundgedanken ich bedenkenswert finde: den, wie ihn etwa Kaiser Franz Josef in der vor hundert Jahren untergegangenen Habsburgermonarchie verkörperte. Der Mann war kein verbohrter Ewiggestriger, sondern ein vorsichtiger Mensch, der durchaus verstand, dass sich die Welt ändert. Er wollte, dass das mit den Änderungen nicht allzu schnell ginge, weil er Angst hatte, dies könnte die Leute überfordern. Änderungen, die zu schnell passieren, können zu Chaos führen, und dann fliegen einem die Trümmer um die Ohren, und vom Fortschritt hat erst recht niemand etwas.

Geländer

Da ist was dran. Selbst ein progressiver Reformer wie Bruno Kreisky, der legendäre österreichische Bundeskanzler, hat das gewusst und seine rasante Modernisierung der österreichischen Gesellschaft in einer Art gebremster Moderatheit betrieben – mit der ausgesprochenen Begründung, dass man die Menschen nie überfordern darf.

Vielleicht ist gerade das ein Grund für die gesellschaftlichen Pathologien unserer Zeit: die offenkundige Rasanz des Wandels. Stabilität geht in Instabilität über, Sicherheit in Unsicherheit, und alle Sektoren und Kapillaren der Gesellschaft sind von diesem Unsicherheitsgefühl angesteckt. Nur wenige Menschen leben real in Unsicherheit, aber sehr viel mehr leben mental in Unsicherheit. Und nicht etwa deswegen, weil sie Paranoiker sind, sondern weil sie wissen (oder zu wissen glauben), dass die Taktschläge der Veränderung immer schneller werden, weshalb man überhaupt nicht mehr weiß, was die Zukunft bringt. Auf was soll man sich einstellen? Was wird übermorgen sein, was in fünf Jahren? Haben mich die Roboter ersetzt, gibt es überhaupt noch Jobs, was ist mit der Digitalisierung, was mit den Lebenswelten? Kann man sich noch auf irgendwas verlassen, mit irgendwas kalkulieren?

Mimimi

Viele Menschen haben das durchaus begründbare Gefühl, dass man das eben nicht kann. Irgendwie kommt alles ins Trudeln, ins Rutschen und in Bewegung, und es gibt nicht einmal ein Geländer, an dem man sich festhalten kann.

Herrenreiterton

Dennoch ist Konservatismus erkennbar ungesund. Gerade der politische Konservatismus scheint ja nicht nur mit einer politischen Haltung einherzugehen, sondern mit einer bestimmten Mentalität, und so ist der Wandel der Überzeugungen offenbar auch mit einem Mentalitätswandel verbunden. An sich positiv gesinnte Leute, die konservativ werden, geraten in den Sog eigentümlicher mentaler Veränderungen. Man kann das an den vielen ehemals linken oder liberalen Kolumnisten sehen, die, kaum dass sie sich konservativ verorten, von einer kaum mehr auszuhaltenden Weinerlichkeit geprägt werden. Von der Art: Man darf nur links sein, kaum ist man unlinks, wird man verfolgt, Mimimi.

Eine der herausragendsten Figuren dieser neuen Kunstform der Heulsusenkolumnistik ist Zeit-Autor Harald Martenstein. Er jammert eigentlich in jeder seiner Kolumnen, und in der dieswöchigen erklärte er: „Ich scheibe das nicht, um mein Los zu beklagen“, während er im wesentlich nichts anderes tat, als, nun ja, sein Los zu beklagen. „Jeder, der sich in Deutschland auch nur in einem Punkt, auch nur auf so harmlose Weise wie ich von einem Mainstream entfernt, den im Wesentlichen die Linke definiert, muss mit Drohungen, Verleumdungen und Attacken aus dem Dunkeln leben.“

Ehrlich: Ich kann mit konservativen Meinungen leben, und ich mag Martensteins Schreibstil. Aber dieser Jammerton ist nicht auszuhalten. Was ist nur aus dem arroganten Herrenreiterton des deutschen Konservatismus geworden? Heute wird er von Leuten dominiert, die dauernd in Tränen ausbrechen, weil angeblich alle gegen sie seien. Ich lese da im Zweifel Carl Schmitt. Der würde sich im Grab umdrehen angesichts des Sounds seiner Epigonen.

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