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Süße Fantasien von einer großen Saison

Bundesliga Nach dem fulminanten Saisonstart und dem 6:1 über Gladbach träumt Borussia Dortmund von einer Rückkehr auf Augenhöhe zum FC Bayern. Allerdings war der BVB auch erschreckend konteranfällig

Gemeinsam und schön synchron: Philipp und Aubameyang nach dem Dortmunder Sieg Foto: Foto:dpa

Aus Dortmund Daniel Theweleit

Peter Bosz blieb erstaunlich nüchtern inmitten der emotionalen Wallungen, von denen die Menschen im Dortmunder Westfalenstadion am Ende dieses hinreißenden Fußballabends ergriffen wurden. Das von Glückshormonen berauschte Publikum überschüttete die Spieler mit tiefer Zuneigung, die Leute hüpften und schmetterten einen Klassiker, der schon viele Jahre nicht mehr so überzeugend geklungen hatte wie nach diesem 6:1 gegen Borussia Mönchengladbach. „Wer wird Deutscher Meister? BVB Borussia!“, der holländische Trainer aber behauptete, er habe „keine Ahnung, was die Fans da singen“.

Mit dem Liedgut des Anhangs muss Bosz sich offenkundig noch vertraut machen, jenseits solcher Marginalien ist er aber schon erstaunlich gut hineingewachsen in diesen spe­ziel­len Fußballverein. Bosz mag nicht so emotional sein wie seine Vorgänger Jürgen Klopp und Thomas Tuchel, aber sein Fußball passt ganz wunderbar hierher, so viel lässt sich nach sechs Spieltagen mit großer Gewissheit festhalten. Der BVB hat den Gast vom Niederrhein regelrecht aus dem Stadion gefegt, der Pokalsieger steht allein an der Tabellenspitze, feiert den besten Saisonstart der Klubhistorie und vor allem die mitreißende Spielweise der runderneuerten Mannschaft, in der zu Beginn vier, später fünf Neuzugänge standen. „Wahnsinn! Abendspiel! 6:1-Sieg gegen einen guten Gegner. Besser geht’s kaum“, stammelte der überwältigte Neuzugang Jeremy Toljan.

Und natürlich wachsen auf diesem Nährboden süße Fantasien von einer ganz großen Saison, von der Möglichkeit, vielleicht wirklich wieder zu einem aussichtsreichen Konkurrenten im Meisterschaftsrennen zu avancieren. Ernsthafter eingehen mochte keiner der Verantwortlichen auf solche Überlegungen, „wir denken extrem von Spiel zu Spiel“, floskelte Sportdirektor Michael Zorc, als er auf das Tableau und die Schwierigkeiten des FC Bayern angesprochen wurde. Aber so langsam hat das Tabellenbild schon eine gewisse Aussagekraft. Zumal der ganze Klub einen befreiten Eindruck macht nach dem konfliktreichen Frühjahr mit dem Sprengstoffanschlag auf den Mannschaftsbus und dem Ärger um Ex­trainer Thomas Tuchel.

Nun ist der BVB so harmonisch wie seit Jahren nicht, „gut fühlt sich das an“, sagte Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke zufrieden. Wobei die Herren natürlich recht haben, wenn sie inmitten der Euphorie vorsichtig bleiben. Denn zum einen haben die Spielplangestalter von der Deutschen Fußball-Liga dem BVB ein recht einfaches Auftaktprogramm vorgesetzt, und zum anderen hat der neue BVB-Fußball auch seine Schattenseite. Mönchengladbachs Trainer Dieter Hecking übertrieb nicht, als er sagte, „auch wir hätten heute fünf Tore schießen können“, denn die Dortmunder waren erschreckend konteranfällig. Diese Schwäche ist schon die Hauptursache für die 1:3-Niederlage bei Tottenham Hotspur in der Champions League gewesen, nun liefen die Gladbacher trotz fundamentaler Unterlegenheit vier-, fünfmal unbedrängt auf das Dortmunder Tor zu. „Das hätte Real Madrid anders bestraft, das muss man ganz klar sagen“, räumte Sportdirektor Michael Zorc in Anspielung auf den Besuch der spanischen Fußballgroßmeister ein.

„Klar, es ist riskant, aber es lohnt sich bisher“, kommentierte Maximilian Philipp die Spielweise, nachdem er die ersten beiden Treffer erzielt und den dritten vorbereitet hatte. Aber lohnt es sich auch gegen die ganz großen Kaliber? Tatsächlich könnte die Fähigkeit, die Risikobereitschaft zu variieren, entscheidend sein auf dem Weg zurück auf Augenhöhe mit dem FC Bayern.

Bisher hat Bosz sich aber erstaunlich wenig an den Gegnern orientiert. Er wechselt zwar das Personal: Zum Gladbach-Spiel tauschte er sein komplettes Mittelfeld, in Hamburg hatte er Nuri Sahin, Shinji Kagawa und Gonzalo Castro aufgestellt, nun brillierten Julian Weigl, Mario Götze und Mahmoud Dahoud. Aber sein 4-3-3-System und die extrem offensive Verteidigungsstrategie zieht er konsequent durch. „Wir stehen als Team generell höher, und dadurch sind wir vorne sehr gefährlich“, sagte Weigl, der das Festival der Torschönheiten mit seinem ersten Bundesligatreffer krönte.

Der große Held der Partie war aber mal wieder der unglaubliche Pierre-Emerick Aubame­yang, dem drei Tore gelangen, der überdies dreimal den Pfosten traf und Philipps 3:0 vorbereitet hatte. Acht Tore hat der Stürmer nun schon nach sechs Spieltagen geschossen.

Ihm ist auch egal, wer seine Nebenleute sind: Philipp, Christian Pulisic, Marco Reus, der inzwischen verkaufte Ousmane Dembéle oder der an diesem Tag nicht eingesetzte Andrej Yarmolenko. Der BVB scheint eine Menge richtig gemacht zu haben im Vorfeld von dieser Saison.

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