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Damals,so schön?

Rückschau Das Museum für Hamburgische Geschichte zeigt mit einer Ausstellung historischer Stadtansichten, dass dem Alten immer auch ein Hauch von Romantik anhaftet. Das Museum will diese Erfahrung in die Zukunft verlängern, indem es zum Fotografieren anstiftet

von Hajo Schiff

In der eigenen Nachbarschaft macht sich jede Veränderung unter Baulärm langsam bemerkbar. Aber geht man selten mal in andere Stadtteile, ist es schon überraschend, dass manches plötzlich ganz anders aussieht, dass eine gut erinnerte Ecke ganz anders ausschaut, weil ein gebauter Kasten durch einen neueren ersetzt wurde.

Allerdings ist das nichts im Vergleich dazu, wie sich die Eltern, Großeltern und Urgroßeltern in viel stärkerem Maße an eine völlig neue Stadt gewöhnen mussten. Und nebenbei werden ursprünglich ganz private Schnappschüsse im Laufe der Zeit nun zu historischen Dokumenten der Stadtentwicklung. Denn Städte, die nicht in touristischer, disneygleicher Postkartenromantik erstarren, sind eher sich lebendig verändernde Organismen als auf Dauer gestellte Kulturtradition.

Wie vollständig solche Veränderungen sein können, zeigt eine Ausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte: „Alt-Hamburg – Ecke Neustadt“ zeigt Bilder der Stadt um 1900, bei denen eine Ähnlichkeit mit der heutigen Erscheinung Hamburgs kaum zu erkennen ist.

Denn durch Katastrophen ebenso wie bewussten Umbau hat sich Hamburg in den vergangenen 175 Jahren stärker gewandelt als andere vergleichbare Städte: Nach der ersten raumgreifenden Zerstörung im „Großen Brand“ von 1842 haben der inzwischen selbst wieder Kulturerbe gewordene Bau der Speicherstadt und des Kontorhausviertels, dann das Flächenbombardement des Zweiten Weltkriegs und dazu noch der Wiederaufbau der 1950er- Jahre mit der Zuschüttung etlicher Fleete die Stadt derartig verändert, dass die gut 500 gezeigten alten Ansichten nicht nur erwartungsgemäß eine Zeitreise bieten, sondern einen ganz anderen Ort zu zeigen scheinen. Doch anhand eines in der Ausstellung verteilten Innenstadtplanes ist klar zu erkennen: Es ist tatsächlich Hamburg.

Der Abriss derBebauung vonWandrahm und Kehrwieder weckte in der Bürgerschicht romantische Gefühle

Die Hängung der im Raum an Stahlfäden verspannten Zeichnungen, Gouachen, Künstlerdrucke, Pastelle und wenigen Ölbilder ist nach neun auf dem Plan ausgewiesenen Stadtrundgängen ausgerichtet. Es wäre möglich, diese Rundgänge auch in der heutigen Welt draußen zu machen und zu schauen, was von alledem übrig geblieben ist. Solche Rundgänge bietet das Museum auch an. Allerdings bräuchte man dafür ein ungewöhnlich geschultes visuelles Erinnerungsvermögen, denn der Katalog ist noch in Arbeit.

Der wird dann auch eine komplette Bestandserfassung der „Hamburgensien“ des Hauses von etwa 1850 bis 1913 werden. Diese sind keineswegs zufällig hier versammelt, sondern wurden gezielt vom damaligen Leiter des Museums für Kunst und Gewerbe, Justus Brinckmann, zusammengetragen. Er beauftragte auch Fotografen, das im Schwinden begriffene historische Erscheinungsbild der Stadt zu dokumentieren.

Das hatte auch damals schon einen nostalgischen Aspekt. Denn der für die Speicherstadt ab 1883 begonnene völlige Abriss der historischen engen Bebauung von Wandrahm und Kehrwieder weckte in der Bürgerschicht romantische Gefühle für das malerische Stadtbild der engen, für die Bewohner allerdings eher unangenehm beschränkten, unpraktischen und krankheitsfördernden Bebauung auf dem alten mittelalterlichen Grundriss. Immerhin 20.000 Menschen, hauptsächlich Arbeiter und Handwerker, wohnten bis dahin auf den beiden Elbinseln.

So wurden Alt-Hamburger Ansichten über die Dokumentation hinaus zu einem Motiv, das sich auf dem Kunstmarkt etablieren konnte und das ironisch „Freie und Abriss-Stadt“ genannte Hamburg wurde zum drittgrößten Hafen Europas.

Auf den alten Ansichten voller Fachwerk und Backstein können die – wiederaufgebauten – Türme der Kirchen als gewisse Anhaltspunkte dienen, die immer wieder abgebildeten Gängeviertel mit den verwinkelten Dächern, angebauten Buden, schiefen Treppen und dunklen Kellereingängen sind doch weitgehend verschwunden. Der Rödingsmarkt beispielsweise war eine einen Fleet säumende Straße – Markt nur insoweit, als dass von Booten aus frisches Gemüse aus den Vierlanden verkauft wurde.

Auffällig bei vielen Straßenszenen ist, wie viel Schrift schon damals im Stadtraum präsent war: Nicht nur überall Ladenschilder über den kleinen Fenstern, Werbung überzieht auch die Brandwände und Fassaden. Auch die erst 1883 geräumten namengebenden Seilereieinrichtungen auf der Reeperbahn sind hier noch zu sehen und die Neubebauung auf dem Spielbudenplatz.

Nur der nasse Vorzeigeplatz der Stadt, die einzigartige Binnenalster, zeigt sich kaum verändert immer mit Booten und stets etwas festlich anmutend. Auch den Dom als Vergnügungspark gab es auf dem Heiligengeistfeld schon seit 1893, in einer lavierten Federzeichnung ist eine damals sicher erstaunende Festarchitektur in überlebensgroßer Elefantenform festgehalten.

Anfang des 20. Jahrhunderts ermunterten Justus Brinckmann und Kunsthallenleiter Alfred Lichtwark auch Laien, Bilder und Fotos von Hamburg, seinen Bauwerken und seiner Stadtlandschaft anzufertigen. Ganz in solcher Tradition will das Museum im Rahmen dieser Ausstellung auch wissen, wie 100 Jahre später Hamburger Motive in Fotografien inszeniert werden. Das wird nun selbstverständlich elektronisch abgewickelt, via Instagram mit #hamburgscapes oder per Mail an aktion@hamburgmuseum.de kann das Publikum seine Bilder schicken – aber keine Selfies, bitte. Eine Auswahl der Fotos wird in der Ausstellung oder auf der Website gezeigt.

Eine schöne Vorstellung, dass auch diese aktuellen Ansichten und Interpretationen der Stadt in weiteren hundert Jahren Verwunderung auslösen …, sofern denn überhaupt etwas von ihnen erhalten sein wird.

„Alt-Hamburg – Ecke Neustadt. Ansichten einer Stadt um 1900“: bis 5. November, Museum für Hamburgische Geschichte, Holstenwall 24

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