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Das alles und noch viel mehr

Ausstellung In Darmstadt läuft mit „Planet 9“ eine Schau, in der es um die ganz großen Themen der Gegenwart gehen soll – den Durchblick hat dabei ein Kolumbianer

von Radek Krolczyk

Auf dem Platz vor dem minimalen zweistöckigen Bau aus den fünfziger Jahren, in dem die Darmstädter Kunsthalle untergebracht ist, steht eine riesige Holzkonstruktion. Ihre Außenwände sind geöffnet, sodass man ins Innere sehen kann. Wenn es nicht gerade regnet und die Planke rutschig ist, kann man sie sogar betreten – dieses zwischen Schiff und Haus changierende Gebilde. Sowohl seine unfertig wirkende Gestalt als auch allerlei Sicherheitsvorkehrungen lassen an einen Abenteuerspielplatz denken. „The Shore where we can reach“ nennt der chinesische Künstler Xiang Yang seine Holzskulptur. Und wirklich kombiniert der 1967 geborene Künstler hier zwei traditionelle chinesische Fischerbarken mit einem Zen-Haus. Klar, das ist symbolisch schwer aufgeladen. Taoismus, Buddhismus und die altägyptische Kultur kennt das Boot als Mittler zwischen den Welten. Einen dicken Dank an all die fremden Mythologien – aber auch rein säkular erschließt sich der Mittlercharakter eines Bootes. Der heute in den USA lebende Xiang Yang floh selbst als Kind mit seiner gesamten Familie auf einer solchen chinesischen Fischerbarke.

Mit diesem Bau beginnt die reichlich programmatische Grup­pen­ausstellung „Planet 9“. Gezeigt werden Arbeiten von insgesamt 27 internationalen Künstlerinnen und Künstlern. Viele sind noch recht jung und kommen aus so unterschiedlichen Ländern wie Syrien, Südkorea, Israel und Kanada. Innerhalb des knapp 13-monatigen Ausstellungszeitraums werden die meisten Werke ausgetauscht. Es gibt also immer wieder einen Grund, nach Darmstadt zu fahren. „Planet 9“ macht dabei ein wenig auf documenta. Das ist bei all dem Aufwand nicht zu übersehen. Mehr als die Hälfte der ausgestellten Werke sind eigens für „Planet 9“ entstanden. Tatsächlich ist es nicht weit von Kassel nach Darmstadt.

Das jedoch dürfte für die wenigsten Grund für einen Umweg sein, selbst oder gerade weil „Planet 9“ ein wenig großspurig daherkommt. „Es geht um große Themen“, heißt es gleich im Ankündigungsheft, um „Gerechtigkeit und Gleichgewicht, Utopie und Dystopie, Realität und Fiktion“ – in riesigen Lettern, versteht sich. Es geht also um ziemlich viel, beinahe um alles. Ähnlich wie auf der diesjährigen documenta. Aber ist diese Art Wollen überhaupt sinnvoll und kann eine Ausstellung so etwas leisten? Die Frage drängt sich auf, denn die kuratorische Haltung bei „Planet 9“ ist vollkommen ernst, von Ironie keine Spur. Alles ist sehr politisch und schwer international. Quasi die Probleme der ganzen Welt sollen in dieser Ausstellung Platz haben und ihre Behandlung erfahren. Wie aber sieht die Kunst aus, die unter dieser Rüstung steckt und von der man all das erwartet?

Bereits der Titel ist eine zwar überaus poetische und schöne, aber auch fürchterlich allumfassende Metapher. Er geht zurück auf die astrologische Annahme eines hypothetischen Planeten in unserem Sonnensystem, der zwar nicht sichtbar ist, dessen Gravitationskraft sich allerdings massiv auf das interplanetarische Geschehen auswirkt. Nimmt man diese Metapher politisch, was die Ausstellung ja nahelegt, landet man schnell bei Spekulation bis hin zu Verschwörungstheorien. Denn nur allzu obskur ist heute das, was bei Brecht noch eine materialistische Basis hatte – der Fokus auf die im Dunkeln, die man nicht sieht.

Eine der aufwendigsten Arbeiten, die für „Planet 9“ produziert wurden, ist die Videoinstallation „This Red Red Stuff“ der israelischen Künstlerin Nira Pereg. In ihrer 5-Kanal-Arbeit widmet sich die 1969 in Tel Aviv geborene Pereg einer obskuren politisch-religiösen Bewegung – allerdings auf eine selbst recht obskure Art. Im Mittelpunkt ihrer Bemühung steht die fixe Idee orthodoxer Juden, auf dem Tempelberg an die Stelle der Al-aksa-Moschee den dritten jüdischen Tempel zu errichten – in direkter Folge der von den Babyloniern (587 v. Chr.) und Römern (70 n. Chr.) zerstörten ersten beiden. Auf den flachen Gräbern nachempfundenen Screens sind irre Szenen zusehen: am Strand von Tel Aviv rennt ein Paar Orthodoxer herum, zu deren Alltag es zu gehören scheint, den Namen des Erlösers vor sich her zu rufen.

Ist diese Art Wollen sinnvoll und kann eine Ausstellung so etwas leisten?

Daneben kann man dem Casting einer roten Kuh beiwohnen – sie soll das Zeichen für den richtigen Zeitpunkt zum Aufbau des dritten Tempels sein. Das Tier muss einer ganzen Reihe von Anforderungen entsprechen, und so fällt letztlich eine jede Kandidatin durch den Test. Was noch ganz lustig sein mag, bis die Arbeit dann selbst obskurantisch wird, sobald sie ihre eigenen Fantasien über die Bewegung formuliert: Frauen als Gebärkanonen für den Kampf um den Tempelberg.

Der Bleistift, die Waffe des Rationalismus

Große Freude immerhin bereitet die Arbeit des 1993 im kolumbianischen Medellín geborenen Juan Osmoro. In seiner Serie „Sightings“ hat er historische Ortsaufnahmen nachgezeichnet und in ihnen ganz winzig Raumschiffe aus ­Science-Fiction und Fantasy untergebracht. Ergänzt werden diese Zeichnungen durch weitere größere Zeichnungen der Flugkörper, darunter der Special Forces Tie Fighter und der Todesstern aus „Star Wars“. Als drittes Element stellt er eine historische, exakt datierte Beschreibung der Sichtung eines Ufos dazu. „Trotz Hunderter gesichteter Ufos auf der ganzen Welt hat sich keine dieser Sichtungen bestätigt“, so Osorno im Ausstellungstext. „Mit dem wachsenden technischen Fortschritt scheinen wir der Antwort näher zu kommen“, stellt er in Aussicht. Der Bleistift kann da ein wunderbares, rationales Mittel sein.

Bis zum 27. August, Kunsthalle Darmstadt, www.kunsthalle-darmstadt.de

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