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Der größte Mörder des Jahrhunderts

KLINIKENPfleger Niels H. hat 117 Menschen getötet. Tätige Blindheit seiner Chefs half ihm dabei

Niels H. betrieb ­Reanimationen von Patienten wie einen Sport

BREMEN taz | Die meisten Morde des Delmenhorster Krankenpflegers Niels H. hätten verhindert werden können. Zu der Einschätzung ist die zuständige Sonderkommission Kardio nach 34 Monaten Ermittlungen im Fall des Serienmörders gekommen: Hinweise auf die Taten des 40-Jährigen waren von Krankenhausleitungen ignoriert, wenn nicht gar vertuscht worden.

Zugleich korrigierten die Ermittler die Zahl der Opfer auf mindestens 117. Damit bestätigen polizeiliche und gerichtsmedizinische Untersuchungen Angaben des bislang nur wegen zweifachen Mordes verurteilten H. selbst. Der hatte sich im Knast als größten Serien­mörder der deutschen Nachkriegsgeschichte bezeichnet. Auch vor Gericht hatte er pauschal 90 weitere Morde gestanden.

Begangen hat er sie von 1999 bis zu seiner Festnahme 2005 zunächst am Oldenburger, später am Delmenhorster Klinikum. Bereits in Oldenburg hätte er gestoppt werden müssen: „Im Klinikum Oldenburg wusste man um die Auffälligkeiten“, stellte Oldenburgs Polizeipräsident Johann Kühme am Montag klar. Tatsächlich war dort aufgefallen, dass immer, wenn H. Schicht hatte, die Zahl der Reanimationen und der Todesfälle in die Höhe schnellte.

Ursache: H. spritzte den PatientInnen ein Medikament, das Herzrhythmusstörungen auslösen kann. Trat in der Folge ein Herzstillstand ein, versuchte sich H. an der Reanimation. Die betrieb er wie einen Sport: Er verschaffte sich Publikum, rief Lernschwestern zum Zuschauen und ließ sich im Erfolgsfall feiern. Bei Misserfolg gab es einen Toten.

Schließlich hat man ihn zur Kündigung überredet und ihm den Abschied durch ein Spitzenzeugnis versüßt, das ihn als „verantwortungsbewussten und interessierten Mitarbeiter“ beschreibt. In Delmenhorst fiel man darauf herein. Und ähnlich wie in Oldenburg hat man auch dort bei allen Auffälligkeiten tapfer weggeguckt: Sechs von H.s dortigen ExkollegInnen sind bereits im Herbst angeklagt worden. In Oldenburg laufen die Ermittlungen noch.

Das Klinikum Delmenhorst hat seither eine „qualifizierte Leichenschau“ eingeführt – also dafür gesorgt, dass statt der ­behandelnden Ärzte externe, rechtsmedizinisch geschulte SpezialistInnen begutachten, ob die Kliniktoten Spuren einer nicht natürlichen Todesursache aufweisen.

Auf Landesebene verpflichtete Gesundheitsministerin Cornelia Rundt (SPD) die Krankenhäuser, PatientenfürsprecherInnen zu benennen. Zudem hat ihr Ministerium ein neues Krankenhausgesetz vorgelegt, das durch Mortalitätskonferenzen, eine schärfere Kontrolle des Arzneimittelverbrauchs sowie ein Whistleblowing-System die PatientInnensicherheit erhöhen soll. Ob es noch verabschiedet wird, ist jedoch wegen der ­Neuwahlen in Niedersachsen ungewiss. bes

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