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Wie gemacht für den Frühherbst

KONZERT Almost Charlie machen soliden Folk-Sound. Nun stellten sie ihr neues Werk, „ A Different Kind Of Here“, im b-flat vor

Höheren Nostalgiefaktor hat sie schon, die klassische Jugendkeller-Bandgründung, bei der die Musiker gemeinsam aufwachsen und zusammen die Schulbank drücken. Wie etwa bei den Beatles, die aus der Schülerband The Quarrymen hervorgingen.

Wie anders klingen da moderne Bandgründungsgeschichten: Die der Folkband Almost Charlie beginnt weder in einer gemeinsamen Stadt noch auf einem Kontinent. Auch haben sich die beiden Hauptakteure bis dato noch nie persönlich gesehen. Eine Internetanzeige führt im Sommer 2003 zur Kollaboration des Berliner Sängers Dirk Homuth und des New Yorker Lyrikers Charlie Mason.

Mason, der für Stars wie Miley Cyrus Songtexte schrieb. Er suchte damals für eigene Texte einen Musiker, der diese vertont. Homuth stößt zufällig auf die Annonce und verleiht Almost Charlie inzwischen seit 14 Jahren durch seine feinen akustisch Vertonungen und seiner warmen Stimme Masons melancholisch-poetischen Texten Strahlkraft.

In der Jazzkneipe b-flat in Berlin-Mitte schnappt sich Dirk Homuth am Montagabend eine seiner drei Gitarren und verschwindet noch mal Backstage zum Stimmen. In dem kleinen Kellerraum befinden sich gerade eine Handvoll Leute. Auf mehr als 25 Zuhörer soll es die vierköpfige Folk-Band an diesem Abend auch nicht bringen: „Ein sehr intimer Abend, aber immerhin – ihr seid da“, sagt Homuth und kündigt an, dass sie im ersten Set das komplette neue Album, „ A Different Kind Of Here“, spielen – sie benötigten noch Filmaufnahmen. Auf die Streicher, die etwa in einem der stärksten Songs des Albums „Ambivalent“ zu hören sind, oder das Trompetensolo, das ein Highlight im instrumentalen Teil des letzten Albumsongs „I Still Be Missing You“ bildet, muss man im b-flat verzichten.

Doch der Sound von Almost Charlie lädt zum Zurücklehnen und Augenschließen ein. Visuell verpasst man dabei auf der Bühne nichts, die vier Musiker wirken beim Spielen ihrer Songs ähnlich versunken wie ihre Zuhörer.

Kommunikation über Mails

Komplettiert werden Dirk Homuth und seine Gitarren von Pianist Oded Kaydar, der Bassistin Delphine Maillard und dem Schlagzeuger Gregor Steinbrecher. In dieser Konstellation spielt Almost Charlie seit 2015. Die bisherigen Alben der Band entstanden mit wechselnden Musikern – die einzigen Konstanten sind Frontmann Homuth und eben das Mitglied, das nie bei Liveauftritten zugegen ist: Regelmäßig schickt Charlie Mason dem Berliner Gitarristen neue Texte. Was Homuth inspiriert, wird vertont. Ihre Kommunikation läuft weiterhin über Mails. Auf vier Alben können Homuth und Mason mit ihrer erfolgreichen Zusammenarbeit übers Internet bereits zurückblicken.

2006 veröffentlichen sie „Loving Counterclockwise“, 2009 folgt dann „The Plural of Yes“. Ihr drittes Album, „Tomorrow’s Yesterday“, erscheint 2012. Jetzt also ihr viertes Studioalbum. „A Different Kind Of Here“ hat zwölf Songs, beginnend mit dem melancholischen Song „Shadow Boy“ über den poppigeren Song mit dem Titel „The Sadness Of The Snow That Falls In May“ bis hin zu berührenden Liedern wie „Defective“: eine gute Mischung aus Melancholie und beschwingten, abwechslungsreichen Rhythmen.

Die Beatles wurden einleitend auch mit voller Absicht als Referenz genannt. Unweigerlich kommen der Hörerin auch bei diesem Album von Almost Charlie der Sound der Fab Four in den Sinn. Manches ähnelt auch Simon & Garfunkel, und deutlich hörbar ist auch die Inspiration von Elliott Smith – der US-Songwriter ist für Homuth ein Vorbild.

Doch vor allem kann man sich dank Songs wie „Gold“ problemlos gedanklich von einem kleinen Berliner Kellerjazzclub in einen Pub nach Liverpool beamen. Die sanfte Stimme Homuths und der entspannte Sound der Band begleiten an diesem Montagabend hinaus in die kühle, feuchte Berliner Nacht. Zu den Klängen Almost Charlies passt das, und man vergisst darüber hinaus fast, dass eigentlich gerade Hochsommer wäre. Linda Gerner

Almost Charlie: „A Different Kind Of Here“ (Words On Music/Broken Silence)

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