: Jazz auf Papier
AUSSTELLUNG Die Schau „Wir geben den Ton an. Bilder der Musik von Mantegna bis Matisse“ im Kupferstich-kabinett zeigt, wie Musik in der bildenden Kunst dargestellt werden kann – eine Einladung zum Weitergrübeln
von Lorina Speder
Musik und bildende Kunst sind wie Geschwister – nur während Letztere in Formen, im Materiellen zum Leben und zur Geltung kommt, bleibt die Musik als Klang meist unsichtbar. Aber beide künstlerischen Formen beeinflussen sich gegenseitig. Die Grenzen zwischen bildender Kunst und Musik verschwimmen, viele Künstler fühlen sich in beiden Formen wohl.
Das Kupferstichkabinett im Berliner Kulturforum wirft einen genaueren Blick auf die Beziehung von Musik und Kunst auf dem Papier. In der Ausstellung „Wir geben den Ton an. Bilder der Musik von Mantegna bis Matisse“ zeigt das Museum noch bis zum 5. November, wie Musik in der Kunst dargestellt wird. Themengebiete wie „Notenschlüssel“, „Etüden“ oder „Mythen und Melodien“ kategorisieren im großen Raum des Museums die Zeichnungen und Gemälde.
Die „Ouvertüre“ des Rundgangs setzt sich mit den frühen Märchen und Sagen aus dem Mittelalter auseinander. In Liedform wurden damals Erzählungen über Generationen weitergetragen. Eine Darstellung in zwei Rahmen bildet das Musizieren und die Mythologie ab: Im Kupferstich der neun Musen von Wolfgang Kilian aus dem Jahr 1612 dirigiert mit Klio, der Muse der Dichtung und Geschichtsschreibung, eine Frau. Überhaupt sieht man auf den Papieren in der Ausstellung viele Frauen an den Instrumenten. In Edvard Munchs „Geigenkonzert“ von 1903 fängt der Maler eine Pause der Solistin ein. Sie hält die Geige dicht an ihrem Körper; der Kopf ist leicht zur Klavierspielerin neben ihr geneigt. Die Konzentration und Emotionalität auf ihrem Gesicht bleibt jedoch bestehen – manchmal sagen Pausen mehr als Töne.
Doch nicht nur das Musizieren an sich wird in den Kunstwerken dargestellt. Die Ausstellung zeigt mit Arbeiten von Wassily Kandinsky und Henri Matisse auch Künstler, die sich abstrakter mit Musik und ihrer Darstellung beschäftigt haben. Kandinskys „Drei Reiter in Rot, Blau und Schwarz“ aus dem Jahr 1911 waren Bestandteil seines Buchs „Klänge“. Mit der Künstlervereinigung Der Blaue Reiter schuf er ein ganz eigenes System, welches das Auslösen eines inneren Erlebnisses durch das Visuelle anstrebte. In seinen Gemälden benutzte er Farbkombinationen, die er mit musikalischen Begriffen belegte. Farben ordnete er Harmonien zu und spielte mit den Worten „Farbklang“ oder „Farbsymphonie“. Er verband damit das Hören von Farben und das Sehen von Klängen. Auf einem Bild, das vor Kandinskys bekannten geometrischen und farbigen Kompositionen entstand, malte er die Reiter mit exakten, schwarzen Pinselstrichen. Sie springen fast aus dem Bild – die dazugehörige Musik müsste wohl dynamisch sein.
Auch Matisse assoziierte seine Werke mit Musik. Sein erfolgreiches Künstlerbuch „Jazz“ beinhaltet neben Texten auch seine berühmten Scherenschnitte. Der Siebdruck auf Papier von „Der Messerwerfer“ aus dem Jahr 1947 liegt in einer Vitrine im Museum. Auf dem Bild wird sofort deutlich, welches figurative Element der Messerwerfende ist. Die spitzen Ecken und schwungvollen Rundungen der pinken Gestalt fallen sofort ins Auge. Dabei erinnert der Rhythmus der Bildkomposition an Musik und die Improvisationselemente des Jazz.
Die modernen Interpretationen von Musik fehlen in der Ausstellung auch nicht. In Damien Hirsts „My Way“ (2002) werden seine vielen Kreise um einen Mittelpunkt zur abstrakten Iris eines Auges. Über die eingefärbten Kreislinien krakelte der britische Künstler: „MY WAY“ – das wirkt eher größenwahnsinnig als Frank-Sinatra-stolz. Beeindruckend ist daneben die bedrohlich wirkende Radierung mit blutroten Details in Acryl des verstorbenen deutschen Malers Dieter Krieg. Sein Bild ohne Titel aus dem Jahr 1997 könnte eine abstrakte Vinylplatte darstellen, auf der mit roten Lettern das Wort „Ton“ geschrieben steht. Lebendigkeit und Schwere findet sich zugleich in dem Bild.
Die vielen Gegenüberstellungen von Bildern, die alle irgendwie mit Musik in Verbindung gebracht werden können, sind interessant und abwechslungsreich. Sie sind quasi eine Einladung, selbst zu grübeln, wie man Musik auf dem Papier darstellen würde. Welches eigene Gemälde entstünde zum Beispiel, wenn man die von Nat King Cole gesungenen Zeilen „The Melody haunts my Reverie“ aus seinem Hit „Stardust“ hört? Würde man den Klassiker so plakativ wie Roy Lichtenstein mit einer schmachtenden blonden Schönheit am Mikrofon abbilden?
„Wir geben den Ton an. Bilder der Musik von Mantegna bis Matisse“, bis 5. November, Kupferstichkabinett, Matthäikirchplatz
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