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Aufgebrochenes Rollenbild

INSTALLATION Im Ihme-Zentrum in Hannover arrangiert die Fotografin Katrin Ribbe den weiblichen Körper in einer Siebzigerjahre-Wohnung. Der ist dabei ebenso fragmentiert wie der brutalistische Architektur-Gigant

von Bettina Maria Brosowsky

Seit 2013 arbeitet Katrin Ribbe nun schon an ihrer Porträtserie „Boss“. Den Begriff aus der Männerdomäne hat die in Hannover lebende Fotografin mit weiblichen Role Models belegt: mit beruflich selbstständigen, „starken“ Frauen – die aber nicht das Klischee der zwar raren, aber durchaus existierenden Topmanagerin oder glamourösen Firmenchefin bedienen wollen. Ihre Protagonistinnen suchte Ribbe, 1974 im westfälischen Bünde geboren und nach Fotografie- und Trickfilm-Studien in London seit 1995 vor allem für deutschsprachige Bühnen tätig, in eher unspektakulären Berufen oder Milieus in ihrer Heimatstadt und dem Braunschweiger Land.

Für eine Ausstellung Anfang dieses Jahres in der sachsen-anhaltinischen Landeshauptstadt kamen noch mal sechs Magdeburgerinnen dazu: eine Hebamme, eine Änderungsschneiderin, eine Juristin oder die Inhaberin eines Schuhgeschäfts sind in ihrer jeweiligen Arbeitssituation abgebildet. Aber es gibt selbstverständlich auch eine Hausfrau und Mutter, wie Katrin Ribbe es auch selbst ist.

Passend also, dass sich Ribbe schließlich auch eines performativen Klassikers der feministischen Kunst annahm: dem 1975 entstandenen Video „The Semiotics of The Kitchen“ von Martha Rosler. Die US-Amerikanerin buchstabierte darin mit temperamentvollen Aktionen das traditionelle Inventar der Küche durch: von A wie Apron – Schürze – bis zum X, Y, Z als Formationen martialischen Bestecks. „Aufstand aus der Küche“ heißt Ribbes Reenactment, das als Performance-Reihe seit 2014 in Hannover aufgeführt wird und im nächsten Jahr im Theater Oberhausen gastiert.

Ribbe geht es in ihren freien Projekten also um Konstruktionen des Weiblichen, um stereotype Erwartungen, auf die Frauen auch heute noch häufig reduziert werden. Und indem sie sich ganz unmittelbar auf die entsprechenden Bilder und Vorurteile einlässt, an denen ja auch Frauen oft mitgewirkt haben, deckt Ribbe den schon lange nicht mehr angemessenen Status derartiger Vorstellungen umso deutlicher auf.

Mit ihrer neuen multimedialen Installation ist sie nun ins Siebzigerjahre-Ambiente im hannoverschen Ihme-Zentrum gezogen. Die gigantische Immobilie wurde bis 1975 errichtet und bot zu ihren besten Zeiten über 60.000 Quadratmeter Gewerbe- und Einzelhandelsflächen, dazu 860 Eigentumswohnungen für rund 2.500 Menschen und Apartments für etwa 450 Studenten. Konzipiert als autarke Stadt in der Stadt wollte das Ihme-Zentrum Wohnen, Arbeiten und Versorgung kompakt kombinieren. Eine durchgehende Ladenpassage gliederte die städtebauliche Megastruktur, im Süden und Norden setzen 22-stöckige Hochhäuser metropolitane Akzente. Aber die städtebauliche Utopie scheiterte.

Heute bietet sich vor Ort ein mehrteiliges Paradoxon: ein dreigeschossiger, verlassener Sockelbereich – das ehemalige Einkaufzentrum in Besitz eines zypriotischen Investors – der überall pittoreske Ruinenbilder bietet, aber unbeirrt von Radlern und Fußgängern durchquert wird – kein Angstraum, sondern eine praktische Abkürzung zur Innenstadt. Als große Mieter halten städtische Behörden und ein Energieversorger die Stellung. Aber dann gibt es eben auch die noch komplett belegten Wohnungen nebst funktionierenden Nachbarschaften.

Diese fraktale Wirklichkeit hat Ribbe in ein mehrfach gebrochenes, sehr intimes Setting im 3. Stock des Ihme-Zentrums überführt. Mit einem Team aus Szenenbildnern, Dramaturgen und Technikern sowie unterstützt von der Zwischennutzungsagentur der Landeshauptstadt hat sie das zeittypische Flair einer Wohnung um 1975 nachgestellt: Wohnen, Schlafen, Küche, ein Abstellraum, alles mit Einbauschränken, Teppichboden, Mobiliar und Nippes bis hin zu Salzstangen und Hausbar.

„Belebt“ wird diese Situation von einem nackten Frauenkörper, der in jedem Raum präsent ist. Mal liegt er, verblüffend naturalistisch, auf dem Sofa, mal bäumt er sich am Kopfende des Bettes auf, mal quellen einzelne Partien aus Schränken und Regalen. Dieser Körper ist weich und irgendwie verführerisch – aber zerlegt: die Körperpartien sind auf Kissen abgebildet. In einem langen Prozess – Fotografieren, die Motive zu Drucksequenzen ausarbeiten, sie auf Textil bringen, dann zu Kissen nähen und diese wiederum zu stimmigen Installationen arrangieren – ist der weibliche Körper transformiert worden: zu einem x-beliebigen Einrichtungsgegenstand unter vielen anderen.

„Body of Work“ nennt Katrin Ribbe diese Installation. Ein Titel, den man einerseits mit Gesamtwerk oder Œuvre übersetzen kann, der aber auch an die körperlichen Arbeiten und Liebesdienste von Frauen anspielt. Vielleicht ein letztes Mal versuchte ja die Ideologie der Siebzigerjahre – auch mithilfe von Wohnmaschinen wie dem Ihme-Zentrum – die Frau, ihren Körper und ihre Selbstbestimmung zu domestizieren. Ribbe hofft nun, dass während der öffentlichen Begehungen sich alle aufgefordert fühlen, die vorgefundene Anordnung gehörig durcheinanderzubringen: die Eindeutigkeit des weiblichen Rollenbildes also physisch wie symbolisch aufzubrechen.

Emanzipierte Besucher liefert vielleicht auch die ebenfalls derzeit in der Kultur­etage der Agentur für kreative Zwischenraumnutzung zu sehende Ausstellung „Brut“ von 18 Meisterschüler*innen der Braunschweiger Kunsthochschule, die dort Asyl fanden – auf der Flucht vor der restriktiven heimischen Hausordnung.

„Body of Work“: bis 26. 8., tägl. 17–22 Uhr, Kulturetage der Agentur für kreative Zwischenraumnutzung, Ihmepassage 7

„Brut“: bis 2. 9., ebenda

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