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Miniaturoase in Friedrichshain

WORKSHOPS Das Netzwerk Foreign Local Artistic Xchange hilft neu in Deutschland angekommenen Kultur-schaffenden, indem es den Austausch mit lokalen Künstlern fördert – mit Angeboten speziell für Frauen

Die „Women Academy for Beginners“ ist den Bedürfnissen von Frauen angepasst

vonJana Jannika Bach

Hinter dem Eisentor erstreckt sich ein weitläufiger Garten. In der hinteren Ecke sind zwei Tische zusammengestellt. Neben Farbwannen liegt buntes Papier im Gras: Darauf zu sehen ist das Gesicht einer Frau, das zur Hälfte von kleinen Kreisen mit globalem Wiedererkennungswert – ausgeschnittenen „Pepsi“-Logos – verdeckt wird und deren Hals eine Kette aus Brezeln schmückt. Ein anderes Bild zeigt feingliedrige Striche, die sich zu einem Ziegenkopf zusammensetzen. „Das sind Collagen, an denen wir zurzeit arbeiten“, erklärt Reem Awad. Die junge Syrerin leitet den „Fine Art“-Workshop der „FLAX Women Academy for Beginners“, die eines der jüngsten Projekte des Netzwerkes Foreign Local Artistic Xchange, kurz FLAX, ist.

An diesem lauen Augustabend sind hier im Garten Arabisch, Deutsch und Englisch zu hören. Einmal die Woche findet der „Fine Art“-Workshop auf dem Gelände des „Box Freiraums“ in Friedrichshain für Frauen von 18 bis 26 Jahren statt. Wie bei allen weiteren Klassen, in denen sich die „Women Academy“ verschiedenen Bereichen der angewandten Kunst widmet – „Participatory Film“, „Patchwork“ und „Bildende Künste“ –, gestalten stets Frauen den Unterricht für Frauen.

Ein fester Kreis trifft sich regelmäßig. Manchmal kämen dreißig, an anderen Tagen wie heute nur acht, sagt Reem Awad. Oft würden sich die Frauen spontan entscheiden. „Wir hatten auch schon Kinder hier, weil die Mütter sie kurzerhand mitgebracht haben.“ Kein Problem.

Ein Backsteinhaus flankiert die Grünfläche, der „Box Freiraum“ nutzt die einstigen Stallungen unter anderem für Ausstellungen. Seit einigen Monaten findet sich hier auch das FLAX-Büro. Die „Women Academy for Beginners“ sei speziell den Bedürfnissen von Frauen angepasst, so die Sozialunternehmerin Lanna Idriss. Wie bei allen Projekten, die FLAX initiiert, richtet sich dieses Angebot an neu bei uns angekommene Kulturschaffende und hat das Ziel, den Austausch mit lokalen Künstlern und Institutionen zu fördern. Viele Initiativen hat FLAX bereits gestemmt, seit es Ende 2015 von Idriss, der Malerin Katharina Grosse und dem bildenden Künstler Nasan Tur gegründet wurde.

Im Mai dieses Jahres etwa lud FLAX Künstler/Innen im Exil zu einem viertägigen Workshop, der „Open Academy“, und zu einer öffentlichen Podiumsdiskussion mit Norbert Bisky und Natascha Sadr Haghighian zum Thema „Culture & Populism“ in die Akademie der Künste ein. Die Konstellationen ergeben sich aus den Projekten, so Lanna Idriss. Zu den Partnern in Deutschland zählen etwa das Goethe-Institut und die Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Für die „Women Academy“, gefördert vom Paritätischen Bund, kooperiert FLAX mit #wirmachendas, Gyalpa e. V. und Kobra e. V.

Nach „Fine Art“ geht es heute mit einem Filmkurs weiter. Allerdings wurde noch nicht mit den Dreharbeiten begonnen, zunächst wird technisches Know-how vermittelt. Entstehen sollen Dokumentarfilme nach der „Participatory“-Technik, einem Verfahren, bei dem sich die Teilnehmerinnen gegenseitig interviewen. Heute will sie mit einer Free-Writing-Übung beginnen, erzählt die 31-jährige Zeina Kanawati, die Medien und englische Literatur studiert hat und sich die Leitung der Klasse mit einer Filmexpertin teilt. „Wir empfehlen den Teilnehmerinnen, ihre Alltagswelt in den Filmen zu thematisieren“, sagt Kanawati. Auch die Aufgaben sollen bald verteilt werden: „Wer macht die Kamera, wer den Ton, wer interessiert sich für Script-Writing oder die Postproduktion?“ In die Filmklasse kämen tatsächlich hauptsächlich „Beginners“, sagt Kanawati, für einige bedeute der Besuch, sich auszuprobieren, etwa darin, seine eigenen Gefühle auszudrücken, für andere die Entdeckung eines versteckten Talents und vielleicht sogar der Einstieg in die Filmbranche.

Einige Tage später: Während es regnet, ist Jazz-Musik zu hören, und die „Patchwork“-Klasse sammelt sich in einem der „Box-Freiräume“. „Wir experimentieren viel“, sagt Takkwa Ali, die Leiterin. „Wir schneiden Details aus, zum Beispiel Ornamente, und setzen sie neu zusammen.“ So entstand etwa ein vier mal zwei Meter großer „Patchwork-Teppich“. Auch werden die Stoffe mit anderen Materialien wie Papier, Keramik oder geblasenem Glas gemischt, so Ali. Sie selbst studierte in Syrien bildende Kunst, mit „Patchwork“ begann sie, als sie vor knapp zwei Jahren nach Deutschland kam und in dem Studio, in dem sie lebte und arbeitete, nicht ausreichend Platz war, um ihre Skulpturen zu fertigen. In Deutschland faszinierte sie die Vielfältigkeit der hier erhältlichen Stoffe, die sich je nach Herkunftsland und Kultur in Muster, Farbe, Stil und Griffigkeit unterschieden. Bei Ebay, über Freunde oder auf Flohmärkten findet sie ihr Material, Textiles aus Indien, Afrika oder der Türkei.

„Mich erinnert dieses Handwerk an meine Heimat“, sagt dagegen Rasha Yousef, und die 26-jährige Mayada Alkayal aus Damaskus, die bald ihr Kunststudium an der UdK fortsetzen wird, ergänzt: „In den Workshops treffe ich Freunde.“ Was ist das Besondere an einer Akademie, in der nur Frauen mitein­ander agieren? Kurzes Schweigen. Wie eine Miniaturoase sei das, sagt eine der Frauen, eine andere wirft ein: „Here we are the ones with balls.“ Alle müssen lachen. Die Zukunft ist weiblich, jedenfalls könnte sie es sein.

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