: Gegner des linken Rassismus
PREIS Der marxistische Denker Étienne Balibar erhält den Hannah-Arendt-Preis – weil er ganz in ihrer Tradition ein intervenierendes Denken pflegt
Étienne Balibar erhält den diesjährigen Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken. Die Auszeichnung wird von der Stadt Bremen, der Heinrich-Böll-Stiftung und einem eigenen Trägerverein verliehen. Sie ist mit 10.000 Euro dotiert. Mit Balibar würdigt sie einen Denker und politischen Menschen der marxistischen Tradition, der laut der Juryvorsitzenden Antonia Grunenberg „ein intervenierendes Denken in der Tradition Hannah Arendts“ pflegt – und zwar „in seinen Büchern und im öffentlichen Auftreten“. Denn wirklich hat das auch vom Umfang her beeindruckende Werk des 1942 als Sohn eines Mathematikers und einer Literaturwissenschaftlerin geborenen Balibar sich nie auf den akademischen Diskurs beschränkt.
Am deutlichsten wird das in einem Ereignis von 1981, als er im Essay „De Charonne à Vitry“ nach der Rolle und nach der Bestimmung der kommunistischen Bewegung in einer ganzen Serie fremdenfeindlicher Aktionen fragt. Deren emblematischste: die „Bulldozer-Affäre“ von Vitry sur Seine. Der heute zurecht vergessene PCF-Bürgermeister der Schlafstadt zehn Kilometer südöstlich von Paris war an der Spitze einer Demo gegen einen Wohnblock gezogen, in dem 300 Arbeiter aus dem Mali einquartiert worden waren. Die Wasserleitungen wurden demoliert, die Stromversorgung gekappt und mit Bulldozern wurden Erdhaufen vor die Eingänge des Gebäudes geschoben. In seinem Essay „De Charonne à Vitry“ legte Balibar offen, dass diese Aktionen von der Parteiführung nicht nur gedeckt, sondern sogar gefordert würden, als „Symbole ihrer Politik“: Denn damit versuche sie aus den Ängsten der damaligen Krise Profit zu schlagen in Form von Wählerstimmen. Die PCF hat den Schüler Louis Althussers – er gehört zu den wichtigsten Mitarbeitern an dessen die französische Marx-Rezeption stark prägenden Werk „Das Kapital lesen“ (1965) – selbstredend umgehend rausgeworfen.
Doch dessen Einspruch gegen eine Linke, die der Versuchung der Angst und des Rassismus nachgibt und damit ihre Geschichte und ihr Ziel verrät und verliert, ist zu einem Leitmotiv seines Werks geworden. Ihre tatsächliche Aufgabe wäre es dagegen, Europas „véritable apartheid“, seine Grenzen als ebenso undemokratische Institution wie Polizei und Armeen zu beseitigen: eine zutiefst pro-europäische, zutiefst EU-kritische Utopie. Der Preis wird am 1. Dezember im Bremer Rathaus übergeben. bes
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