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Kicken gegen Krieg und Terror

Fußball Am Wochenende trafen sich 24 Fußballmannschaften afghanischer Flüchtlinge aus ganz Deutschland zum Turnier in Berlin. Welches Team am Ende gewann, war gar nicht so wichtig. Denn gekickt wird vor allem gegen die Angst vor Abschiebung

Spieler aus ganz Deutschland trafen sich am Wochenende beim Fußballturnier afghanischer Flüchtlinge in Berlin Foto: Stefan Boness/Ipon

Von Mortaza Rahimi

Der Schiedsrichter pfeift, und damit beginnt am Samstagvormittag in Reinickendorf nicht nur ein Fußballspiel, sondern das erste afghanische Fußballturnier in Berlin. 24 Mannschaften, alle bestehend aus Geflüchteten aus Afghanistan, kamen dafür aus ganz Deutschland nach Berlin.

Das Motto des Turniers lautet: Sport für den Frieden. Denn die überwiegend jungen Fußballer, die hier zusammengekommen sind, sind vor Krieg und Terror nach Deutschland geflohen. Sie wollen mit ihrem sportlichen Engagement deshalb auch zeigen, dass sie gegen Krieg und Terror sind.

Die Spiele finden auf dem Vereinsgelände des BFC Alemannia 1890 statt – aus Platzmangel je zwei Spiele parallel. Veranstalter des Turniers ist der neu gegründete Sportverein Stern, entstanden aus drei afghanischen Fußballmannschaften aus Berlin: Itehad-Berlin, Azadi und Yaaran. Aufgrund der Abschiebepolitik der Bundesregierung litten viele der mehreren Tausend in Berlin lebenden Afghanen sehr unter der ständigen Angst, abgeschoben zu werden, erklärt Soltan Akbari, einer der Organisatoren: „Das Turnier hilft ihnen, zumindest ein Wochenende lang diese Angst und Sorgen vergessen zu können.“

Ahmad Jawad, der mit seiner Mannschaft aus Wolfsburg gekommen ist, bestätigt das. Fußball sei seine einzige Zuflucht vor der Angst, in das von Gewalt erschütterte Afghanistan zurückkehren zu müssen. Jawad lebt derzeit mit einer Aufenthaltsgestattung in Deutschland. Er wartet noch auf die Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flucht (Bamf) über seinen Asylantrag und damit seine Zukunft.

Tor zum deutschen Fußball

Manche der teilnehmenden Mannschaften bestehen bereits seit Jahren – wie Itehad-Berlin, die erste afghanische Mannschaft, die in der Berlinliga spielt. Itehad wurde vor vier Jahren ins Leben gerufen, Gründer und Trainer ist der 24-jährige Soltan Akbari.

Er ist vor acht Jahren nach Deutschland gekommen und lebt seitdem in Berlin. Hier besucht er die Schule und arbeitet als Dolmetscher für das Berliner Flüchtlingsamt. Wenn er im nächsten Jahr sein Abitur bestanden hat, würde er sich gern bei der Polizei bewerben, sagt Akbari. Dann bräuchte er spätestens am Ende der Ausbildung die deutsche Staatsbürgerschaft. Bislang hat Akbari nur einen drei Jahre gültigen Aufenthaltstitel.

Fußball sei „sein großes Hobby“, sagt Akbari. Seine ganze Freizeit steckt er in die Mannschaft. Das Turnier ist für ihn dabei mehr als eine Zusammenkunft afghanischer Spieler aus Deutschland: Akbari will mit dem Turnier auch Talente erkennen, denen er helfen will, in der deutschen Fußballwelt Fuß zu fassen.

Afghanische Flüchtlinge

Das Bundesamt für Asyl und Flüchtlinge hat in der ersten Hälfte des Jahres 2017 833 Asylanträge in Berlin gemeldeter Asylsuchender aus Afghanistan angenommen. 2016 waren es insgesamt 5.111, 2015 3.342 Anträge. Die Schutzquote, also die Zahl anerkannter Anträge für asylsuchende AfghanInnen, stieg in Berlin von 33,8 Prozent im Jahr 2015 auf 51,4 Prozent. Bundesweit sank die Anerkennungsquote von AfghanInnen dagegen von fast 56 Prozent 2016 auf 44 Prozent im ersten Halbjahr 2017.

Während die Bundesregierung Afghanistan für ein sicheres Herkunftsland hält, schiebt der rot-rot-grüne Senat derzeit nicht dorthin ab – aber in Drittländer, von denen aus eine Abschiebung nach Afghanistan möglich wäre.

Insgesamt hat sich die Zahl der Abschiebungen in Berlin unter R2G erhöht. Während im ersten Halbjahr dieses Jahres 1.122 Personen abgeschoben wurden, waren es im selben Zeitraum des Vorjahres unter der Großen Koalition auf Landesebene nur 1.068. In Quartalen gerechnet gehen die Abschiebungen aber zurück, wie im Koalitionsvertrag vereinbart. Von Januar bis März 2017 wurden 712 Menschen abgeschoben, von April bis Juni noch 410. (dpa, taz)

Itehad Berlin kickt beim BFC Alemannia 1890. Der Nordberliner Verein unterstützt die afghanische Mannschaft seit einem Jahr und stellt sein Spielfeld und Spielmaterial zur Verfügung. Und mittlerweile spielen auch einige ehemalige Itehad-Spieler bei deutschen Mannschaften mit: etwa der 21-jährige Mehdi Rahimi (21), der seit einem Monat bei der zweiten Mannschaft des CS Gatow kickt.

Unter den Taliban verboten

In Afghanistan ist Fußball zwar populär, aber nicht sehr verbreitet. Unter der Herrschaft der Taliban war das Spiel verboten. Mittlerweile gibt es eine afghanische Fußballnationalmannschaft und auch eine Fußballliga. Die Roshan Afghan Premier League wurde 2012 gegründet. Seitdem spielen dort jedes Jahr acht Mannschaften aus acht verschiedenen Regionen Afghanistans gegeneinander. In der Weltrangliste des internationalen Fußballverbandes Fifa steht Afghanistan auf Platz 155 – von 206.

Während das Heimatland der Spieler von gewaltsamen Konflikten zerrissen wird, die zum Teil auch religiöse und ethnische Ursprünge haben, spielen solche Unterschiede in den afghanischen Mannschaften in Deutschland keine Rolle.

In den 24 Mannschaften des Turniers spielten Flüchtlinge aus allen ethnischen Gruppen Afghanistans gemeinsam. Über soziale Medien sind die Afghanen wie viele Geflüchtete gut untereinander vernetzt, so entstand auch der Kontakt der Fußballmannschaften. Turniere wie das in Berlin gab es zuvor bereits auch in anderen Bundesländern. „Sport kann auch Frieden bringen“, sagt Akbari.

Neben dem Sport ist bei dem Turnier deshalb auch das Zusammensein wichtig. Ihr erstes Turnier in Berlin haben die afghanischen Fußballer selbst organisiert und finanziert, eine öffentliche Förderung dafür gab es nicht. Die Teilnahmegebühr von 50 Euro pro Mannschaft ist die einzige Finanzquelle.

Sich gegenseitig Kraft geben: für die Teilnehmer ebenso wichtig wie das Spiel Foto: Stefan Boness/Ipon

Die Gäste wohnen während des Turniers in privaten Wohnungen von in Berlin lebenden Spielern. Und am Rande der Spiele feiern die Sportler mit Tanz und Musik. Afghanische Trachten und Volkstänze tauchen das Spielfeld des Vereins Alemannia 1890 an diesem Wochenende in afghanische Stimmung.

Frauen dürfen zuschauen

Obwohl es in Afghanistan – wo Frauen, anders als etwa im Iran, auch den Spielen der Männer zusehen dürfen – mittlerweile eine weibliche Fußballnationalmannschaft gibt, waren die Turnierspiele in Berlin männlichen Spielern vorbehalten. Frauen gab es aber unter den rund 50 ZuschauerInnen des Turniers.

Am Ende des zweiten Turniertags am Sonntag siegte die Mannschaft des AFG Bremen. Auf dem zweiten Platz landete Persian Hamburg, Wahdat Dortmund wurde Dritter. Doch das war gar nicht so wichtig. Wichtiger war den Siegern, noch einmal gemeinsam ihr Anliegen zu formulieren: „Schluss mit Waffen, Terror, Krieg und dem Töten Unschuldiger!“, riefen die Gewinner gemeinsam zum Schluss des Turniers.

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