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Der unpraktische Bote

Zukunftskram Hätte der Droide R2D2 aus Starwars einen tollpatschigen, minderbegabten Cousin dritten Grades: Sein Name wäre „6D88“. Für Domino’s apportiert der Lieferroboter derzeit die Pizza zum Kunden und zeigt: Der Weg in die Zukunft ist holprig.

von Anna Gröhn

Technik, die faul macht, gibt es zur Genüge. Doch da geht noch mehr: Künftig sollen Lieferroboter auch die Pizza nach Hause liefern. Für die Pizzakette Domino’s ist seit Mitte Mai Roboter 6D88 in Hamburg-Ottensen unterwegs. Er ist klein, wendig und sieht ein wenig aus wie ein Inkubator auf sechs Rädern. Entwickelt wurde er von der estnischen Firma Starship Technologies, die ihre Lieferroboter an Unternehmen weltweit vermietet und von Skype-Mitbegründer Ahti Heinla geführt wird.

Die kleinen Androiden sind in Hamburg keine Neuheit: Ende letzten Jahres war es der Paketdienst Hermes, der für einen Pilottest gemietete Lieferroboter ein halbes Jahr lang Päckchen ausliefern ließ. Nun kooperiert Starship Technologies in Hamburg mit den Lieferdiensten Foodora und Domino’s. „Es geht darum, Erfahrungen im Bereich Lebensmittel- und Fastfood-Lieferung zu sammeln“, sagt Starship-Händler Dino Dessi.

Bei Domino’s geht es wohl eher darum, ein wenig die Werbetrommel für sich zu rühren: Selbstfahrende Fahrzeuge, autonome Roboter, alles unter dem Deckmantel der Mobilität der Zukunft – darauf springt die Presse an. Karsten Freigang, Geschäftsführer von Domino’s Deutschland, drückt das bedächtig aus: „Wir erhoffen uns eine größere Aufmerksamkeit bei potenziellen Mitarbeitern und Kunden“, sagt er.

Auch ökonomische Gründe habe das Ganze: „Der Liefer­roboter ermöglicht es uns, bei hohem Bestellaufkommen zusätzliche Lieferungen durchzuführen und Wartezeiten zu vermeiden“, sagt Freigang. Noch in diesem Jahr plane das Unternehmen in weiteren Filialen in Hamburg Lieferroboter einzusetzen. Ersetzen sollen die Roboterboten die Mitarbeiter aber nicht. Man sei regelmäßig auf der Suche nach weiteren Angestellten.

Ein Blick auf die Maschinenboten zeigt: Konkurrenz für den Menschen ist noch nicht in Sicht. Ein Beispiel: Während ein Fahrer durchschnittlich drei bis vier Bestellungen pro Stunde ausliefern kann, schafft der Roboter gerade mal eine. Maximal zehn Kilogramm kann er befördern, auch sein Stauraum ist begrenzt: Etwa fünf Pizzen passen in das Paketfach, ein Bote kann je nach Transportmittel mindestens das Doppelte transportieren. Zudem decken die Roboter nicht das gesamte Liefergebiet ab. Auch reden oder gar kommunizieren können sie nicht. Dafür sehen sie recht knuffig aus. Also alles nur Spielerei?

Die Zentrale muss 6D88 über die Straße helfen

An diesem Dienstagmorgen rollt Lieferroboter 6D88 durch den Bahrenfelder Steindamm, Dino Dessi begleitet ihn auf seinem Lieferweg. Denn noch darf das 21 Kilo schwere Gefährt nur in Begleitung eines Starship-Mitarbeiters unterwegs sein. Dessi soll Passanten Fragen beantworten und auf den Miniroboter aufpassen. Auch von der Zentrale in Tallin wird der Roboter überwacht, die ihn auch steuern kann.

Seine Umwelt nimmt 6D88 mithilfe von neun installierten Kameras und sechs Sensoren wahr, ähnlich wie bei einem Parkassistenten. Er kann Dinge in einer Entfernung von rund 50 bis 80 Metern erblicken. Je nach Distanz greift er auf Stereokameras, Radar- und Ultraschallsysteme oder neuronale Netze zurück.

Mithilfe solcher Sensorik und Navigationssoftware sucht er sich seine Wege selbstständig. Fahrradwege und Straßen hat er gelernt zu umfahren. Muss er dennoch eine Straße überqueren, meldet er sich in der Firmenzentrale; ein Mitarbeiter schaltet sich in sein System ein und übernimmt die Steuerung.

„Wir zielen darauf ab, dass unser Roboter 99 Prozent autonom fährt, jedoch wird dies noch eine Weile dauern“, sagt Dino Dessi. Zwar sei geplant, den Lieferroboter in Zukunft ohne menschliche Begleitung loszuschicken, aber: „Bei schwierigen und komplexen Situationen ist es wichtig, dass sich ein Mensch online zuschalten und den Roboter unterstützen kann.“

Denn nicht nur der Straßenverkehr ist komplex, auf Gehwegen passieren Fußgänger, Fahrradfahrer, Skater, Rollstuhlfahrer den Roboter. Wer haftet dafür, wenn 6D88 mit jemandem kollidiert oder einen Unfall verursacht? Dieser Frage weicht der Starship-Mitarbeiter aus, stattdessen betont er: „Unser Roboter ist sehr, sehr vorsichtig und zurückhaltend. Sobald er etwas vor oder neben sich wahrnimmt, wird er sofort langsamer oder stoppt.“ An Orten, wo viele Leute unterwegs seien, würde der Roboter ständig anhalten. Für solche Strecken sei er nicht geeignet. – Eher unpraktisch in einer Großstadt.

6D88 rollt in Schrittgeschwindigkeit den holprigen Gehweg entlang, maximal sechs Stundenkilometer kann er erreichen. Eine Baustelle liegt im Weg, nur ein halber Meter ist bis zum Fahrradweg frei. Der kleine Roboter gerät ins Stocken, windet sich abwechselnd nach links und rechts, bis er schließlich vor den Bauzäunen stehen bleibt. Einen kurzen Moment lang überkommt einen das Gefühl, 6D88 denke intensiv über sein zu überwindendes Hindernis nach. Das erledigen jedoch die installierten Systeme.

Ein neuer Versuch: 6D88 surrt und macht einen Schlenker nach hinten, dann wendet er nach rechts und ruckelt langsam über den halben Meter zwischen Baustelle und Fahrradweg. Das geht etwa eine Minute lang gut. Eine Gruppe Erdenbewohner steht nun mitten auf dem Fußgängerweg und unterhält sich angeregt. Sie bemerken gar nicht, wie 6D88 vor ihnen stehen bleibt und sich auf der Stelle ruckartig hin- und herbewegt. Lediglich der schwarze Pinscher schaut den Roboter an, dreht sich dann aber wieder weg und betrachtet seine Herrchen.

Erste Tests zeigten, dass rund 70 Prozent der Leute gar nicht auf den Roboter reagieren, so Dino Dessi. Und wenn, dann reagierten sie durchweg positiv. Das sei eine ganz andere „experience“, als wenn ein normaler Bote vorbeikäme. In den Genuss dieser futuristischen Liefermethode kommt allerdings nicht jeder, denn die Roboter können höchstens einen 20 Zentimeter hohen Bordstein erklimmen. Wer also im vierten Stock wohnt oder aufgrund körperlicher Einschränkungen nicht vor die Tür kommen kann, dem apportiert 6D88 keine Pizza. Eine barrierefreie Roboterlieferung wäre etwa mit einer Drohne möglich, das sei momentan allerdings nicht geplant, heißt es bei Domino’s.

„Die Boten sind und bleiben deshalb das Wichtigste“, sagt Selami Özcelik, Franchise-Partner der Ottensener Domino’s Filiale. „Die Roboter sind eine Ergänzung.“ Getestet werden sie derzeit nur mit dem Einverständnis des Kunden. Da der Lieferroboter kein Wechselgeld mit sich trägt, muss die Bestellung vorher online über den Webshop bezahlt werden. Die Domino’s-Mitarbeiter bestücken den Roboter in der Filiale, ein Starship-Mitarbeiter holt ihn ab.

Sobald er losfährt, erhalten die Testkunden eine SMS. Über einen Link können sie die Tour verfolgen. Ist der Roboter vor der Haustür angekommen, benachrichtigt sie eine weitere SMS, darin ein Link zu einem elektronischen Schlüssel, mit dem das Paketfach geöffnet und wieder verschlossen werden kann.

Doch was wäre, wenn jemand versuchte die Maschine aufzubrechen? Dann gäbe sie ein Warnsignal von sich, sagt Özcelik. Ein Starship-Mitarbeiter würde sich unmittelbar einschalten. Zudem wird die Position des Roboters permanent an die Firmenzentrale übermittelt, was einen Diebstahl erschwert.

Sollte dennoch etwas geklaut werden, sei der Inhalt versichert, sagt Henry Harris-Burland, Vizepräsident von Starship Technologies. Auch Kundendaten seien sicher, versichert er. Alle Inhalte seien mit einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung geschützt. Die Firma speichere kaum Kundendaten, die meisten lägen bei den Kooperationspartnern.

Doch auch der Roboter sammelt Daten auf seinen Wegen. Die Geodaten nutzt Starship, um Karten zu erstellen. Sollte der Roboter aber mit seinen installierten Kameras auch Gesichter aufnehmen, wäre das datenschutzrechtlich problematisch. Gespeichert oder weiterverarbeitet würden die Aufnahmen daher nicht, heißt es bei Starship. Zudem werde alles, was oberhalb des Bauchnabels liege, unkenntlich gemacht. Das schließt allerdings weder Kinder noch Nummernschilder oder Autokennzeichen aus.

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