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Wie ein Verein vereinnahmt wird

50+1-REGEL Mit allerhand Winkelzügen versucht Martin Kind, der Chef von Hannover 96, den Klub zu schlucken

AUS HANNOVER David Joram und Andrea Scharpen

Montagabend, Brennpunkt Fußballarena: Der Aufsichtsrat des Hannover 96 e. V. berät sich hinter einem hohen Gitterzaun. Eine Handvoll Polizisten und Sicherheitsleute stehen da. Die Arena im Rücken blicken sie auf rund 300 Demonstranten, die sich vorm Tor am Osteingang versammelt haben. Darunter viele junge Männer, einige haben sich das Wort „Ultra“ auf die Oberarme tätowiert. Ihr Protest richtet sich gegen Vereinschef Martin Kind, der die sogenannte 50+1-Regel abschaffen will, damit die Geldgeber im Klub das Sagen haben – und nicht mehr die Mitgliederversammlung des eingetragenen Vereins (e. V.).

Vom Protest aber hat Kind kaum Notiz genommen. Deshalb fährt die vereinsinterne Opposition nun schwerere Geschütze auf. Am Mittwoch reichten Mitglieder des e. V. eine einstweilige Verfügung beim Landgericht Hannover ein. Sie liegt der taz vor und soll Kind untersagen, bei der Deutschen Fußball-Liga (DFL) die Auflösung von 50+1 zu beantragen. Anders als bislang fälschlich vermeldet, hat Kind lediglich vom Aufsichtsrat Grünes Licht dafür bekommen, 51 Prozent der e.-V.-Tochtergesellschaft (Management GmbH) aufkaufen zu können. Allerdings ist dieser Verkauf an eine Bedingung geknüpft. Nämlich: Der Verkauf wird erst wirksam, wenn die DFL Kinds Übernahmeantrag bewilligt. Aufschiebende Bedingung nennen Juristen dies.

Hallo, DFL!

Kind plant, „in den nächsten drei bis vier Wochen“ den Antrag bei der DFL einzureichen. Aber: Die DFL-Richtlinien verbieten das. Der Ligaverband hat am 12. Dezember 2014 den Profiklubs mitgeteilt, dass „ein Zeitraum von 20 Jahren bei Antragsstellung abgelaufen sein muss“. Kind wurde am 26. September 1997 zum e.-V.-Präsidenten gewählt, entsprechend könnte er erst am 26. September 2017 bei der DFL anklopfen.

Dies ist insofern wichtig, als der Ehrenrat des e. V. – das vereinsinterne Schiedsgericht – die Vorgänge bei 96 untersucht, ebenfalls mit Hilfe eines externen Anwalts. Auf taz-Anfrage kündigt er eine Rückmeldung an den Ehrenrat bis Mitte August an, die einen empfehlenden Charakter habe. Das Gremium dürfte anschließend wohl zeitnah entscheiden, ob es die Mitgliederversammlung als höchstes beschließendes Organ des Vereins schützt – oder Kind freie Bahn lässt. Die Frage ist aber nur relevant, wenn die Mitgliederversammlung dann noch über den DFL-Antrag entscheiden kann. Dass sie über den DFL-Antrag mit abstimmen muss, hat sie am 27. April ohnehin mehrheitlich beschlossen. Lediglich eine dauerhafte Verankerung der 50+1-Regel in der e.-V.-Satzung wurde abgelehnt, weil statt der benötigten Zweidrittelmehrheit nur 60 Prozent dafür stimmten.

Martin Kind aber wischt den Antrag der Mitgliederversammlung bislang weg wie eine lästige Schmeißfliege. Er verweist auf die nicht erfolgte Satzungsänderung. Ein hohes Maß an Brisanz birgt der zweite Antrag, der damals gestellt wurde. Der e. V. solle die Namens- und Markenrechte – sie werden auf 75 Millionen Euro geschätzt – sofort zurückkaufen, bestimmten die Mitglieder. Die waren 1997 für 2,7 Millionen Mark an Martin Kind verkauft worden, der e. V. sicherte sich aber eine Rückkaufoption zum Verkaufspreis. Kind hat diese Rechte, die einst dem Verein gehörten, mittlerweile in die Sales & Service GmbH (S&S) eingebracht. Das ist die Dienstleistungsgesellschaft, die den Profibetrieb der Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) verwaltet – und die an der KGaA 100 Prozent der Anteile besitzt.

Doch zurück zur letzten Mitgliederversammlung im April. Als die Frage nach den Markenrechten und der Kaufoption aufkam, meinte Kind dazu: Wenn der e. V. das Geld bringe, könnten die Rechte zurückgekauft werden. Das Vorkaufsrecht bestehe, er sehe aber nicht ein, für etwas zu bezahlen, das er auch kostenlos nutzen könne. Geschehen ist bislang – trotz Mitgliederbeschluss – nichts. Warum nicht?

Der Verkauf wird erst wirksam, wenn die DFL Kinds Übernahmeantrag bewilligt. Aufschiebende Bedingung nennen Juristen dies

Alles, was Recht ist

Die Antwort lautet: Weil der e. V. die Option, anders als von Kind suggeriert, offenbar nicht mehr besitzt. Noch interessanter ist der Weg, den diese Rückkaufoption – die den Zugriff auf Rechte im Wert von aktuell 75 Millionen Euro bedeutet – genommen hat: Als 1999 der e. V. seine Profifußballer in eine KGaA ausgliederte, wurde diese Rückkaufoption übertragen. An der KGaA hielt der e. V. anfangs 49 Prozent des Kapitals, die S&S 51 Prozent; heute besitzt S&S aber 100 Prozent der Anteile.

Uwe Krause, Kinds e.-V.-Vorstandskollege, bestätigt der taz: „Die Option, das Namens- und Markenrecht zurückzukaufen, wurde im Rahmen des Ausgliederungsvertrages auf die KGaA übertragen.“ Nur: In den Bilanzen der KGaA taucht diese Rückkaufoption, die mindestens einen Buchwert von 1,3 Millionen Euro besitzen müsste, nirgends auf. Es werden turbulente Wochen bei den 96ern.

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