Volle Pulle vor leeren Rängen

Fussball Im letzten EM-Gruppenspiel gegen Russland wollen die deutschen Titelverteidigerinnen endlich überzeugen. Ihre Gegnerinnen haben in erster Linie noch mit den Widerständen im eigenen Verband zu tun

Soll das deutsche Spiel schneller machen: Verteidigerin Kathrin Hendrich beim Duell gegen Italien Foto: imago

Aus Utrecht Frank Hellmann

So ein Abschlusstraining ist doch immer etwas Eigenartiges. Leere Ränge, beinahe gespenstische Stille. Und wenn eine deutsche Nationalspielerin beim üblichen Ausschießen – eines der letzten Überbleibsel aus der Ära Silvia Neid – den Ball in die Maschen drischt, sind nur klatschende Mitspielerinnen zu hören. Was die DFB-Auswahl am Montagabend im empfindlich abgekühlten Utrecht veranstaltet hat, diente nicht allein dem Beheben der Abschlussschwäche. Sondern gab auch einen Vorgeschmack aufs Ambiente, das sich zum entscheidenden EM-Gruppenspiel gegen Russland (20.45 Uhr/ZDF und Eurosport) bieten wird.

Erst 5.100 Tickets, davon 1.500 nach Deutschland, sind verkauft. Mehr als 6.000 Besucher sollen es im Stadion Galgen­waard nicht werden. Dabei bietet die Heimstätte des FC Utrecht fast viermal so viele Plätze. Doch wie schon bei den schlecht frequentierten Gruppenspielen England gegen Schottland (5.587 Zuschauer) und Frankreich gegen Österreich (4.387) werden die steilen Hintertortribünen mit orangefarbenen Stoffbahnen abgehängt, um das TV-Bild aufzuhübschen.

Steffi Jones richtet ihre Aufmerksamkeit in der derzeit angespannten Lage ohnehin auf den Rasen: „Wir wollen ganz klar gewinnen“, verlangt die Bundestrainerin und fordert zudem „spielerisch bessere Lösungen“ ein, um Zweifel am Weiterkommen mit einer überzeugenden Leistung zu zerstreuen. Und um im Viertelfinale am Samstag möglichst als Gruppenerster in Doetinchem anzutreten. Russland werde genauso spielen wie Italien, heißt es bei Jones. Körperbetont, verbissen, defensiv. Abwehrchefin Babett Peter meint sogar: „Die reißen sich ein Bein aus und geben ihr letztes Hemd.“

Das russische Nationalteam kämpft neben dem Viertelfinaleinzug auch immer noch um Anerkennung in der Heimat. Dort wird Mädchen sogar die Aufnahme in Jungs-Mannschaften verweigert, obwohl der Weltverband Fifa gemischte Mannschaften für Kinder unter zwölf Jahren empfiehlt. „In Russland hält sich niemand an diese Regel“, sagt der russische Sportmanager Wladimir Dolgi-Rapport dem FFußball-Magazin. Oft ignorieren Eltern die Wünsche ihrer Töchter, Fußball zu spielen. Folge: Die Mädchen trainieren oft heimlich.

Gegen Russland gab es zuletzt nur ungefährdete Siege

Dolgi-Rapport hat aus Eigeninitiative vor drei Jahren ein erfolgreiches Frauen-Team mitsamt einer eigenen Frauenfußballschule in Moskau gegründet („GirlPower Football Club“), das von einem deutschen Sportartikelkonzern unterstützt wird. Der russische Verband schaltet bei dem Thema immer noch gerne auf stur. Insofern sind die rund 20.000 in den Vereinen gemeldeten Spielerinnen – ein Zehntel der deutschen Basis – gewohnt, sich gegen Widerstände durchzusetzen. Dass der aktuellen „Sbornaja“ mit Elena Fomina erstmals eine Frau als Nationaltrainerin vorstehen darf – die 38-Jährige war selbst Nationalspielerin – ist schon mal ein erster Schritt.

Gleichwohl: Es wäre ein Wunder, würden die Russinnen gegen den Titelverteidiger mithalten können. In der Qualifikation gelangen Deutschland zwei ungefährdete Siege (2:0 und 4:0). „Das ist ein komplett neues Spiel. Russland wird uns alles abverlangen. Bei der EM gibt es keine leichten Spiele“, warnt Kathrin Hendrich. Der Defensivallrounderin werden Chancen auf einen Startelfeinsatz eingeräumt – sie ist in der Innenverteidigung die schnellere Lösung als Josephine Henning.

Die besten Erinnerungen ans letzte Pflichtspiel gegen Russland hat fraglos die Trainerin. Gab Jones doch vergangenen September beim 4:0-Auswärtserfolg in Khimki ihren Einstand. An der trostlosen Kulisse von 500 Zuschauern störte sie sich damals nicht. Insofern wird der äußere Rahmen heute zwar nicht optimal, aber allemal besser sein.