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Sie wollen den Strom
einfach mal im Dorf lassen

PHotovoltaik Die Firmen buzzn und BürgerInnen-Energie-Genossenschaft Remstal wollen die Energiewende vorantreiben, indem sie die Stromverteilung dezentral organisieren

Und der deutsche Solarpreis geht an … Foto: Paul Langrock/Agentur Zenit

Von Annette Jensen

BERLIN taz | Das Bild erinnert an Mengenlehre: Auf dem Monitor bewegen sich viele kleine lila Blasen in einem großen roten Kreis. Jede steht für eine Wohnung oder Firma in der Gerberstraße 1 in Schorndorf östlich von Stuttgart. Am Rand des roten Kreises lässt sich ablesen, wie viel Strom in dem Mehrparteienhaus gerade produziert wird: 7,5 Kilowatt (kW) liefert das Blockheizkraftwerk, 21 kW kommen von der Photovoltaikanlage vom Dach – die erzeugte Menge reicht im Moment aus, um alle Mieter zu versorgen.

Plötzlich aber bläht sich ein lila Kreis auf und dehnt sich über den roten Rand hinaus auf. „Hier hat gerade jemand den Aufzug angefordert“, vermutet Philipp Oßwald vom Münchner Unternehmen buzzn, das das Mess- und Visualisierungssystem für das Haus betreibt. Ein Teil des Stroms, den das Treppenhaus und die Haushalte jetzt gerade benötigen, muss aus dem allgemeinen Stromnetz bezogen werden. „Bilanziell aber handelt es sich um ein Plusenergiehaus: Zusammengerechnet speisen wir im Jahr mehr Strom ins allgemeine Netz ein, als im Haus verbraucht wird“, so Rüdiger Mattauch von der BürgerInnen-Energie-Genossenschaft Remstal (BEG), die das Gebäude mit Elektrizität versorgt.

Im Keller hängen die buzzn-Zählerkästen mit der Aufschrift „People Power“. Mit ihrer Hilfe lässt sich fast sekundengenau feststellen, welcher Strom gerade fließt. In einem anderen Metallschrank ist der Lithium-Ionen-Speicher untergebracht – ein postpaketgroßer Stapel türkisfarbener Briketts. Die Batterie hilft, den durch Photovoltaik und Blockheizkraftwerk ohnehin schon hohen Autarkie­grad des Hauses weiter zu erhöhen, indem Überschussstrom für späteren hauseigenen Verbrauch zwischengespeichert wird. Auch bei einem allgemeinen Stromausfall gehen in der Gerberstraße 1 die Lichter und Kühlschränke nicht aus.

Weil die meisten Immobi­lieneigentümer oder Energiegenossenschaften mit der technischen Umsetzung und der laufenden Verwaltung von „Mieterstrom“-Projekten wie dem der BEG Remstal überfordert sind, übernehmen Unternehmen wie buzzn die anfangs notwendigen Verhandlungen mit dem örtlichen Netzbetreiber, installieren anschließend digitale Stromzähler und erstellen im laufenden Betrieb alljährlich differenzierte Stromrechnungen für die Bewohner des Hauses. „Dank unserer Kenntnisse über die Energiewirtschaft und die Gesetzeslage können wir im Auftrag unserer Nutzer auf Augenhöhe mit den Netzbetreibern und den angestammten Versorgern verhandeln, die solche Projekte meist verhindern wollen“, beschreibt Philipp Osswald von buzzn die eigene Rolle. Das Geschäftsfeld seines Unternehmens ist der Zusammenschluss von kleinen Produzenten und Konsumenten zu einer Versorgungsgemeinschaft.

Gemeinsam wollen die BEG Remstal und buzzn die Energiewende von unten weiter vor­antreiben. Längst gehe es nicht mehr nur darum, immer mehr Strom durch Photovoltaik und Windräder zu erzeugen. Darin sind sie sich einig. „Wir müssen die Energiewende vom Ende her denken“, so Mattauch. Entscheidend sei deshalb die Frage, wie möglichst viel Elektrizität, aber auch der energetische Aufwand für Wärme und Mobilität gespart werden könne. Jeder Bewohner in der Gerberstraße 1 hat heute schon die Möglichkeit, seinen aktuellen Stromverbrauch auf dem Computer zu ermitteln und die Abnahmekurven für die Vergangenheit anzuschauen; so lassen sich Energiefresser leicht identifizieren und abstellen.

Darüber hinaus gelte es, die Energieverteilung möglichst ressourcensparend und umweltschonend zu gestalten. „Jede Übertragung und Wandlung von Elektrizität führt zu Verlusten“, erläutert Mattauch. Umgekehrt gilt: Je näher Erzeuger und Verbraucher in räumlicher Nähe zueinander liegen, desto geringer ist der Aufwand. Viele Transformatoren werden überflüssig, wenn der selbst erzeugte Gleichstrom vom Dach für LED-Lampen oder andere Gleichstromgeräte im Haus verwendet wird. Dezentrale Strukturen sind aber auch besser geeignet, vor einem großflächigen Blackout zu schützen.

„Wir speisen im Jahr mehr Strom ins Netz ein, als im Haus verbraucht wird“

Rüdiger Mattauch, BEG Remstal

Die BEG Remstal gehört zum Netzwerk Bürgerwerke, das sich die regionale Energiewende auf die Fahnen geschrieben und dafür im vergangenen Jahr den deutschen Solarpreis gewonnen hat. Ziel der rund 12.000 Beteiligten in 68 lokalen Energiegemeinschaften ist es, Sonnen- und Windstrom möglichst dort einzusammeln, wo er anschließend verbraucht wird, und so die Wertschöpfung in der eigenen Region zu halten, statt damit große Konzerne zu alimentieren.

Regionale Speicher sind ein zentraler Baustein für eine größtmögliche Autarkie. Die BEG Remstal bemüht sich gegenwärtig um einen Bauplatz in der Nähe eines Mittelspannungstrafos, wie es ihn in jedem Wohn- und Industriegebiet gibt. Dort möchte sie einen Speicher der Firma Tesvolt aus Lutherstadt Wittenberg aufstellen, die sich auf leistungsstarke Lithium-Batterien spezialisiert hat, die bis zu mehreren Megawattstunden Kapazität haben.

Genau wie im Wohnhaus in der Gerberstraße würde auch dieser große Speicher dafür sorgen, dass der in der Nähe erzeugte Strom Vorrang gewinnt und die Umwandlung auf ein anderes Spannungsniveau in vielen Fällen überflüssig wird. Perspektivisch könnten solche Großbatterien bei großflächigen Stromausfällen dafür sorgen, dass sich Regionen für eine Weile abkoppeln. Die Bewohner derartiger Energieinseln wären geschützt vor stunden- oder tagelanger Dunkelheit und kalter Küche.