: Partisanen im Peloton
TOUR DE FRANCE Das Team Sky muss erfinderisch werden, um dem Briten Chris Froome das gelbe Leibchen zu sichern. Die Konkurrenz um Romain Bardet ist stark wie selten
aus Le Puy-en-Velay Tom Mustroph
In der Angst lernt auch ein Brite deutsch. Chris Froome benutzte bei der Pressekonferenz nach der 15. Etappe der Tour de France das deutsche Wort „Angst“, um den Zustand zu beschreiben, der ihn erfasste, als seine Rivalen vom Team Ag2R am Col de Peyra Taillade plötzlich aufs Tempo drückten und ihn und seine Team zurückließen. „Ich fürchtete in diesem Moment, nicht mehr zurückkehren zu können und das Gelbe Trikot zu verlieren“, fasste er kurz darauf die Lage in einem kompletten Satz zusammen. Sein Team kurbelte ihn dann wieder heran. Ag2R blieb nichts anderes als der Stolz, Froome „in den Seilen“ gehabt zu haben, wie es Teammanager Vincent Lavenu beschrieb. Mithilfe seiner Mannschaftskameraden vermied Froome den Knock-out. Er führt weiter das Klassement an.
Der in Kenia geborene Brite hat bei dieser Tour jedoch ein paar neue Erfahrungen machen müssen. Er wurde mehrfach abgehängt. Das passierte ihm an der Planche des Belles Filles, wo er noch 2012 triumphierte, in Peyragudes in den Pyrenäen und auch am Sonntag im Massif central. Es passierte ihm bergab in der Bergkette des Jura. Kein Gebirge in diesem Jahr, in dem der einst stärkste Kletterer im Peloton nicht seinen Meister fand – seine Meister, muss man sagen. Denn sowohl der Gesamtzweite, Fabio Aru, als auch der Dritte, Romain Bardet, der Vierte Rigoberto Uran und sogar der Fünfte, Daniel Martin, ließ ihn in den Bergen ab und zu hinter sich. Selbst der Sechste, Froomes, Teamgefährte Mikel Landa, erlaubte sich, an zwei Tagen deutlich vor dem Chef den weißen Zielstrich zu überqueren. Einmal war das der Teamtaktik geschuldet, als Landa erst den attackierenden Alberto Contador verfolgte und dann mit mächtigen Tritt die Konkurrenz das Fürchten lehrte. Als Landa in Peyragudes vor Froome ins Ziel stürmte, glich das aber einer Palastrevolution.
Den größten Schock erlitt Froome, als er das Gelbe Trikot verlor. „Wir kennen das ja nicht, das Gelbe Trikot in den Bergen loszuwerden“, gab Sky-Manager David Brailsford zu. „Es war dann interessant, die Reaktion in der Gruppe zu sehen, nicht nur die Rennfahrer, auch die Masseure und die Mechaniker. Es ging ein Ruck durch alle. Niemand ließ den Kopf hängen“, beschrieb Brailsford der taz die Stimmung.
1. Chris Froome (GB)
2. Fabio Aru (Italien) +0:18
3. Romain Bardet (FRA) +0:23
4. Rigoberto Uran (COL) +0:29
5. Daniel Martin (Irland) +1:12
6. Mikel Landa (Spanien) +1:17
7. Simon Yates (GB) +2:02
8. L. Meintjes (Südafrika) +5:09
9. Alberto Contador (SPA) +5:37
10. Damiano Caruso (ITA) +6:05
11. Nairo Quintana (COL) +6:16
12. Bennett (Neuseeland) +6:39
13. Warren Barguil (FRA) +8:48
14. Pierre Latour (FRA) +13:41
15. Mikel Nieve (SPA) +14:52
...
17. E. Buchmann (D) +19:37
...
66. Simon Geschke (D) +1:39:46
Die radelnde Truppe, die einst durch massives Abwehren von Angriffen zu ihren großen Erfolgen gekommen war, verließ nun die Festung und attackierte selbst. Sky-Fahrer gingen in Fluchtgruppen! Es war, als hätte sich ein ganzes Armeekorps in lauter Partisanengruppen aufgelöst. Das war am Freitag, einen Tag nach dem Verlust von Gelb. Da genoss Edelhelfer Landa ausgiebig die ungewohnten Freiheiten und fuhr sich im Gesamtklassement in Podiumsnähe.
Am Samstag dann ein erneutes Kommandounternehmen. Dieses Mal wieder geplant als mannschaftlicher Block. Das Terrain aber war nicht das Hochgebirge, sondern eine kleine Rampe, die eigentlich für kletterstarke Sprinter wie Peter Sagan oder den Etappensieger Michael Matthews wie gemacht ist. „Wir haben uns die Rampe nach Rodez immer wieder angeschaut. Eine Minute und vier Sekunden dauerte die Fahrt hoch beim letzten Mal. Wir haben gesehen, an welchen Stellen das Peloton auseinanderbrach. Und wir haben festgelegt, wo wir wann sein wollten.
Das Team hat das dann perfekt umgesetzt“, gab später, fast aufgelöst vor Glück, Teamchef Brailsford Einzelheiten des Masterplans dieses Tages preis. Denn das Team hatte tatsächlich seinen angeschlagenen Leader Froome in diesem Klassikerfinale so in Position gefahren, dass er auf fast alle Rivalen Sekunden gutmachte und sich das gelbe Leibchen wieder überstreifen durfte.
Dass er es tags darauf beinahe erneut verlor, er zwischenzeitlich sogar komplett vom Podium herunter war, zeigt nicht nur, wie eng diese Tour ist. Es zeigt auch, wie angreifbar Chris Froome geworden ist.
Sky muss man zugutehalten, aus dieser Situation zu lernen. Die Mannschaft transformiert sich. Sie hat sogar Spaß dabei. „Es macht viel mehr Freude, auf Angriff fahren zu können und nicht immer nur eine Führung verteidigen zu müssen“, meinte Teamchef Brailsford – und sein Gesicht strahlte mit der Glatze um die Wette. Für die letzte Woche ist Brailsford und der gesamten Tour nur zu wünschen, dass Sky erneut gezwungen wird, auf Angriff zu fahren. Die Enge im Klassement – die besten Vier in weniger als 30 Sekunden Abstand, die besten Sechs innerhalb von einer Minute und 17 Sekunden – macht viele Szenarien möglich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen