brüsseler spitzen: Man fühlt sich als Sieger
die eu-parlamentskolumne
Sogar EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker redet über die Gewalt in Hamburg. Aus dem fernen Brüssel hat er der Hamburger Polizei seine Solidarität bekundet. Die Beamten hätten alles richtig gemacht – was sonst. Auch ich könnte da mitreden, schließlich habe ich selbst mal in der Schanze gewohnt. Die Rote Flora hieß damals noch Tausend Töpfe, aber die Gewalt war schon da. Wer je vom Hamburger Kessel gehört hat, der weiß, was ich meine.
Aber das interessiert in Brüssel keinen. Hier hat man sich längst daran gewöhnt, dass Gipfeltreffen zum Ausnahmezustand führen. Hier stehen Panzerwagen und schwer bewaffnete Soldaten vor dem EU-Ratsgebäude, und man fühlt sich als Sieger des G20-Gefechts. In „gehobener Kampfesstimmung“ sei er gekommen, verkündete Juncker schon zu Beginn der Hamburger Chaostage. Danach feierte er sich, Kanzlerin Angela Merkel und die EU. Dabei hat Europa keinen Grund, auf diesen Gipfel stolz zu sein.
Zwar ist es gelungen, US-Präsident Donald Trump von Strafzöllen auf europäische Stahlimporte abzubringen. Die USA haben sich sogar zum Kampf gegen Protektionismus verpflichtet. Doch die G20-Beschlüsse halten viele Hintertüren offen – auch für die EU. Ausgerechnet Gastgeberin Merkel machte davon reichlich Gebrauch. Das fing schon zwei Tage nach Hamburg an. Da wurde bekannt, dass die deutschen Exporte wieder massiv zugelegt haben – ein Verstoß gegen den Gipfelbeschluss, die Ungleichgewichte im Welthandel abzubauen.
Allerdings enthält dieser Beschluss keine bindende Verpflichtung. Er ist genauso vage formuliert wie viele G20-Dokumente. Die sind meist das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt wurden. Im Kern handelt es sich um eine gewaltige (Ent-)Täuschung. Dass es auch mit dem Kampf gegen Protektionismus nicht weit her ist, wurde dann am Mittwoch deutlich. Da legte die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket zum Schutz deutscher Unternehmen vor Übernahmen durch Investoren außerhalb der EU vor. Selbst die deutsche Wirtschaft hält das für einen Verstoß gegen den Geist von Hamburg. „Vergangene Woche rufen wir auf dem G20-Gipfel zu einem Bekenntnis zu Freihandel auf, und im Anschluss bauen wir selbst Schranken auf.“ Sagt der CDU-Wirtschaftsrat.
Und was sagt Juncker? Nichts. Für ihn ist und bleibt Hamburg ein Erfolg. Trotz der Alleingänge der Kanzlerin. Und trotz der Krawalle. „Europa hat gewonnen“ – dieser Eindruck soll bleiben. Er wird uns in Brüssel eingehämmert. Mit aller Gewalt. Eric Bonse
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