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Auf dem Wege zur vollen Verbürgerlichung

GLEICHHEIT Früher sagten linke Homobewegungsinterpreten, wir brauchten die „Ehe für alle“ nicht, weil Lesben und Schwule sie gar nicht wollten. Doch das stimmte schon damals nicht. Gleiche Rechte lindern den Leidensdruck für jene, die diese Rechte nicht hatten

von Jan Feddersen

Neulich beim Hoffest von Michael Müller, Regierendem Bürgermeister von Berlin, eine feine Sause rund um das Rote Rathaus. Die hauptstädtische Prominenz trifft sich – und man kommt gleich ins Plaudern mit seinesgleichen über die eben beschlossene „Ehe für alle“. So antwortet ein CDU-Mann, der mit den Atmosphären in seiner Partei vertraut ist, auf die Frage, ob denn seitens der Union mit einer Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht zu rechnen ei. Er verneint, überraschend eindeutig.

Bayern stecke für die CSU schon mitten im Wahlkampf, dem zum Bundestag, auch schon für den im Frühjahr zum Landtag. Nein, da möchte man keinen Streit, der laut Umfragen nicht zu gewinnen sein kann. Auch dass erhebliche Teile der Bundestagsfraktion einer Partei nach Karlsruhe schreiten, wolle niemand. Und dann sagt sein Lebensgefährte noch den einen schönen Satz, der linke und alternative und schwulenbewegte Menschen* tief beunruhigen muss. Er spricht ihn kühl aus, ein wenig mit Genugtuung: Und dann sind wir Schwulen endgültig auf dem Wege zur vollen Verbürgerlichung.

Das gab zu denken. Verbürgerlichung? Ist das nicht das Allerschlimmste, was auch ich wollte, so in den späteren siebziger Jahren, als wir begannen, aus den USA von „Stonewall“, von der Geburt der nichtkuschenden Schwulenbewegung zu hören, als wir die erste CSD-Woche 1980 in Hamburg vorbereiteten? So richtig verklemmt und wie unsere Eltern?

Das ist jetzt in der Tat das Problem. Schwulsein sei nicht abendfüllend, haben vor Jahren schon Menschen gesagt, die annehmen wollten, Homosexualität als Lebensgrund reiche nicht aus. Als ob wir das je geglaubt hätten. Es ging um gleiche Rechte, auch um das, was Theaterkopf Corny Littmann „wärmer leben“ bezeichnete. Aber gleiche Rechte, die Zumutungen der heterosexuellen Welt wenigstens mit dem Bewusstsein von Gleichheit begegnen zu können, darum ging es doch. Kein Paragraf 175, bitte, kein Toleranzgeschwafel („Ich mag Homos, sie sind so sensibel“).

Die Wahrheit war schon damals: Schwule und Lesben sind ebenso kleinherzig und blöde, großartig und schön wie Heterosexuelle und Trans*menschen sowieso. Nur darf man jetzt nicht enttäuscht sein als alter linker Schwulenkämpfer, wenn sich plötzlich herausstellt, dass die Ehe für alle einen Leidensdruck lindert – endlich, auch symbolisch, gleiche Rechte zu haben –, und zwar seitens jener, die diese Rechte nicht hatten.

Die CSDs dieses Jahres werden Jubelparaden in eigener Sache

Früher qualmten Homobewegungsinterpreten noch, na, wir brauchten die Ehe für alle nicht, weil Lesben und Schwule sie gar nicht wollten. Stimmte schon Anfang der neunziger Jahre nicht, wobei es auf die Zahl der Heiratswilligen gar nicht ankam: Rechte sind dafür da, sie zu nutzen oder auf sie zu verzichten. Wenn man also das Heiratsrecht nicht hat, bleibt das Heiratsverbot – und das war es faktisch – eine Not, keine Tugend, als sie die der Homobewegungsinterpret in die Debatte einführte.

Nun ist er enttäuscht, aber nicht darüber, dass die einzigen Gegner der Ehe für alle in der Bundesrepublik alte Schwulenbewegte waren und die christlichen Kräfte, die das Heterosexuelle weiterhin privilegiert sehen wollten. Beide Seiten nahmen und nehmen an, in Homosexuellem stecke anderes, essenziell anderes als in Heterosexuellen. Und das war schon immer eine sexistische Formel: Schwule und Lesben wollen die gleiche Bürgerlichkeit, wie alle anderen sie auch haben können – oder von ihr lassen, wobei zu bezweifeln bleibt, ob das überhaupt geht: In diesem antibürgerlichen Menschen, nach Selbstanspruch, steckt ja in der Regel ein zutiefst anal verklemmter Charakter, der privat gern Verhältnisse lebt, gegen die selbst die Ehe meiner Eltern hippiesk war.

Insofern ist Verbürgerlichung, die wir erkämpft haben, heftig zu begrüßen. Sie ist die Möglichkeit, das „homosexuelle Drama“ (so der Sexualwissenschaftler Martin Dannecker) zu entdramatisieren, diesem seine beißende Dringlichkeit zu nehmen. Heißt: Schwulsein ist wirklich nicht abendfüllend – und andererseits war und ist es der Grund, sich gegen jede heteronormative Zumutung zu verwahren. Die CSDs dieses Jahres werden Jubelparaden in eigener Sache. Und das ist auch gerecht so! In bürgerlicher Gleichberechtigung ist Queersein am schönsten.

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