Selbstversuch beim Triathlon: Bekloppt oder bescheuert?

Schwimmen, Radeln und Laufen: Statt Geburtstag zu feiern, ging Taz-Redakteur Stefan Alberti beim Langtriathlon an seine Grenzen.

Schimmer mit grünen Badekappen an der Startlinie

Der Beginn eines langen Wettkampftags: Um 6.30 Uhr startet der Roth-Triathlon vor großem Publikum Foto: imago/Eibner

Da ist er. Der Moment, den ich gefürchtet habe. Der, in dem die Gedanken kommen, was ich hier mache. Warum ich nicht bei Frau und Kindern bin und meinen Geburtstag feiere. Warum ich stattdessen müde auf fränkischen Landstraßen schon über zwei Stunden im Rennradsattel sitze zwischen rund 3.000 anderen Männern und Frauen und noch fast 100 Kilometer vor mir habe.

Bei einem Mitteltriathlon, auch nicht gerade auf einer Backe abzusitzen, wäre ich jetzt schon beim Laufen, hier bleiben noch über drei Stunden im Sattel. Windig ist es und zunehmend drückend warm. Es ist der Moment, in dem klarer denn je wird, warum das hier die Iron-Man-Distanz genannt wird.

Der lange Kanten, 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer auf dem Rad und dann noch ein Marathonlauf. Da braucht es nicht bloß Kraft und Ausdauer, sondern auch eine gewisse eiserne Leidensfähigkeit. Bekoppt? Bescheuert? Midlife-crisis-geschädigt?

Der Geburtstag, den ich daheim feiern könnte, ist mein 50. Samstag, am Tag vor dem Rennen, ist es passiert. Allein bin ich damit hier nicht, meine Altersklasse ist eine der am stärksten vertretenen. Dabei liegt die Lebensmitte statistisch gesehen schon hinter mir. Das ist auch spürbar. Seit zweieinhalb Jahren habe ich eine Brille, irgendwie höre ich schlechter, im Zeh ist Arthrose, und vergangenes Jahr war ich zum ersten Mal in so einer Röhre zum Durchleuchten.

Aber sonst geht es noch, und darum bin ich hier, um noch mal die Chance abzugreifen, hier eine Bestzeit aufzustellen. Eine persönliche natürlich, Lichtjahre von jenen 7:35 Stunden entfernt ist, mit denen 2016 das deutsche Triathlonwunder Jan Frodeno, zuvor schon Olympiasieger und Weltmeister, hier in Roth beim traditionsreichsten deutschen Langtriathlon gewonnen hat. So schnell war weltweit noch nie einer – wenn ich unter elf Stunden ins Ziel komme und damit so schnell wie noch nie wäre, bin ich mehr als happy.

Genau diese Zuschauer sind es, die jedes Jahr aufs Neue für diese Gänsehautmomente sorgen

Wobei das Ziel nicht das einzige Ziel ist: Es ist ziemlich schön auf dieser hügeligen Strecke, knapp 30 Kilometer südlich von Nürnberg, und das muntert mich dann auch im Radsattel wieder auf. Keine ewig langen Geraden oder öde Flachpassagen, stattdessen immer mal wieder ein Anstieg, einer sogar mit einer zehnprozentigen Steigung – wie war das mit der Leidensfähigkeit? – und dem dazu sehr passenden Namen Kalvarienberg. Und immer wieder Ortsdurchfahrten mit urigen Häusern und begeisterten und begeisternden Zuschauern. Die klatschen selbst mir noch, der ich Stunden hinter den Stars an ihnen vorbeifährt.

Genau diese Zuschauer sind es, die diesen Triathlon so beliebt machen, die jedes Jahr aufs Neue für – auch wenn es abgegriffen klingt – echte Gänse­haut­momente sorgen. Es ist etwa bei Kilometer 70 der Radrunde, die zweimal zu durchfahren ist, als die Begleitmotorräder mit den Kampfrichter am Ortseingang von des kleinen Örtchens Solar plötzlich weg sind. Selbst Zuschauer sind kaum noch welche am Rand.

Geht auch gar nicht, wie nach einer 90-Grad-Kurve wenige hundert Meter weiter klar wird: Die stehen alle genau da um die Ecke an einem Anstieg, und zwar nicht nur neben-, sondern in drei, vier fünf Reihen hintereinander. Ich wusste ja, was kommt, ich war hier ja schon mal dabei – und doch bin ich wieder wie erschlagen von dem Anblick. Es ist wie im Fernsehen, wenn es Bilder von der Tour de France beim Anstieg nach Alpe d’Huez gibt: Da ist kaum noch Asphalt genug frei, um überhaupt durch die Menge zu kommen. Dass es einige Höhenmeter nach oben geht, ist völlig übertüncht durch den Adrenalinstoß, den das auslöst.

Alle zwei Kilometer Riegel und Bananen

Das ist auch auf der zweiten Rad­runde noch so, als ich mich wieder ein bisschen berappelt habe und mir denke: Den Geburtstag kannst du auch noch Montag mit der Finisher-Medaille in der Hand feiern. Finisher, ja, so heißen alle die, die ankommen – Beender würde sich komisch anhören. Aber das ist ja trotzdem noch ein bisschen hin. Da kann man dann auch noch mal drüber nachdenken, wie blöd das ist, dass das hier zwar Deutschlands berühmtester Langtriathlon ist, der aber nicht Iron Man heißen darf: Weil das inzwischen ein hochgradig geschützter Begriff für eine weltweite Wettkampfserie ist, dem der Rother Familienbetrieb nicht angehört – die haben stattdessen, auch weltweit, ihre eigene Serie namens „Challenge“ aufgebaut.

Die Gewinnerin: Mit einer Zeit von 8:40:03 Stunden scheiterte Daniela Ryf um rund 22 Minuten deutlich an ihrem Ziel den Weltrekord zu unterbieten. Deutlich später als die Schweizerin traf allerdings auch die Konkurrenz in Roth im Ziel ein. Die Britin Laura Siddal (8:51:38) wurde Zweite. Den dritten Platz sicherte sich die US-Amerikanerin Lisa Roberts (8:58:14).

Der Gewinner: Als Einziger im Teilnehmerfeld blieb der Belgier Bart Aernouts unter der Acht-Stunden-Marke und gewann den Triathlon in 7:59:07 Stunden. Zweiter wurde der Brite Joe Skipper (8:03:00) vor dem Freiburger Maurice Clavel (8:04:53). Der Deutsche Timo Bracht aus Eberbach am Neckar verpasste als Vierter das Podest.

Der Pechvogel: Topfavorit Nils Frommhold hatte nach der bewältigten Schwimmdistanz auf dem Rad bei Kilometer 155 als Führender einen Vorsprung von fünf Minuten auf die Konkurrenz. Dann stürzte der gebürtige Berliner beim Versuch, eine Altersklassenathletin zu überholen und musste aufgeben.

Doch Schluss mit solchen Überlegungen, jetzt kommt das Laufen. Kein Platten mehr möglich, kein technischer Defekt außer einem gerissenen Schnürsenkel, nur noch rennen, nicht umknicken und das Essen und Trinken nicht vergessen. Nach dem Rennen werde ich mehrere Geschichten von Stürzen hören und von Athleten, die aufhören mussten, wegen Verletzung oder kaputtem Rad – wie beim Topfavorit Nils Frommhold, der führend mit einer überrundeten Starterin kollidierte.

Aber das weiß ich jetzt noch nicht, jetzt bin ich beim Laufen wie auf einem 42 Kilometer langen Leitstrahl bis ins Ziel. Alle ein, zwei Kilometer steht ein bestens bestückter Verpflegungsstand mit Bananen, Salz, allen möglichen Riegel und allem möglichen Flüssigen.

Eine All-inclusive-Buchung

Kein Vergleich zu den einsamen langen Trainingsläufen über 30, 35 Kilometer an der Havel und den Seen im Südwesten Berlins entlang, wo schon mal der Wasserhahn am Schloss Glienicke zum Erfrischen herhalten muss, und der Kiosk am Wannseehafen hoffentlich schon früh morgens auf hat, weil sonst die nächste Erfrischung fehlt.

Es ist wie eine All-inclusive-Buchung. Zugegebenermaßen ist die ja auch nicht billig: Die Teilnahme am Rother Wettkampf kostet, wenn man nicht wie die taz für diese Reportage eine freien Startplatz bekommt, 470 Euro im günstigsten Fall. Das schreckt aber kaum ab: Sobald die Startplätze online buchbar sind, eine Woche nach dem Rennen, sind sie in weniger als einer Minute auch schon wieder weg. Etwas besser sind die Chancen, wenn zu Nikolaus noch mal ein paar hundert angeboten werden – aber da ist dann zusätzlich noch ein 50-Euro-Zuschlag für einen guten Zweck fällig. Ich habe mich auf diesen Marathonlauf am Schluss gefreut. Vor drei Wochen lief es bei einem kleinen, aber sehr feinen Wettkampf im Spreewald über die halbe Distanz beim Laufen gut.

Und was an sich ja nicht so toll ist, dass ich nach Radfahren und Schwimmen jenseits der vorderen Teilnehmerhälfte vor mich hin dümpele – es bringt hier einen enormen psychologischen Vorteil: Es überholt mich keiner mehr, während ich in den nächsten Stunden an Hunderten vorbeilaufe und mich noch fast ins vordere Viertel des Feld schieben kann. Besser wäre es natürlich, gleich schneller zu schwimmen und zu radeln. Aber man kann ja nicht alles haben.

Schließlich geht es dem Ende zu, was auch gut so ist. Nach fast 40 Kilometern durch die Rother Altstadt, für deren schöne Häuser ich gerade aber keinen Blick habe – zu fest sind die Waden. Noch ein Schlenker, und dann plötzlich zwischen Absperrgittern und vielen Zuschauern durch rein in das voll besetzte Triathlonstadion, das sie hier extra gebaut haben. Ich hab fast Tränen in den Augen, und es hat ja tatsächlich für unter elf Stunden gereicht. Bekloppt? Bescheuert? Nein, glücklich. Auf nach Hause zum Geburtstag­feiern.

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