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Wenn die Handgelenke vibrieren: geradeaus!

Technik Österreichische SchülerInnen erfinden einen Ultraschallsensor für Blinde, der bald in Serie produziert werden soll

Die dreizehnjährige Xenia testet das Ultraschallstirnband – und lobt die ErfinderInnen (v. l.) Marcus Berger, Sueda Berat Altinay, Philipp Höbart und Andrea Trampert Foto: Hetzmannseder/TGM

Aus Wien Ralf Leonhard

Ein elastisches Stirnband und zwei Frotteearmbänder – was unspektakulär aussieht, könnte die Bewegungsfreiheit von blinden und sehbehinderten Menschen drastisch verbessern. Österreichische SchülerInnen haben für ihre Abschlussprüfungen einen Ultraschall-Blindensensor entwickelt. Der ist so innovativ, dass sie dafür nicht nur zwei Preise gewonnen haben, sondern auch ein Unternehmen Interesse angemeldet hat, ihn in Serie zu produzieren.

Vor knapp einem Jahr haben Sueda Berat Altinay, Marcus Berger, Philipp Höbart und Andrea Trampert am Technischen Gymnasium TGM in Wien zu tüfteln begonnen. Herausgekommen ist ein Projekt namens „VibraFeed“. Konkret handelt es sich um ein Stirnband zur „Orientierungshilfe durch sensorgesteuerte Vibrationsgeber“. Es ermöglicht blinden und stark sehbehinderten Personen, Hindernisse rechtzeitig zu erkennen.

Projekt als Teil der Matura

Jedes Jahr bekommen die SchülerInnen der Abschlussklassen am TGM eine praktische Aufgabe. Sie organisieren sich in Kleingruppen von drei bis vier Mitgliedern und bekommen eine industrienahe Aufgabenstellung. Das ist Teil der Matura, des österreichischen Abiturs.

Andrea Trampert ist – wie die anderen drei Teammitglieder auch – gerade einmal 19 Jahre alt. Sie hat das Projekt geleitet. Gut strukturiert startete alles am Ende der 12. Klasse „damit, dass wir angefangen haben, Ideen und Aufgabenstellungen zu überlegen“. Die vier haben die Richtung „Biomedizin- und Gesundheitstechnik“ am TGM belegt und den Vorschlag von LehrerInnen, ein Produkt für Blinde zu entwickeln, ausgearbeitet.

Es soll ergänzen, was der klassische Blindenstock leistet. Er tastet lediglich den Boden ab und verrät, wo die Wand beginnt oder der Gehsteig endet. Doch dabei bleiben Hindernisse, die sich über dem Boden befinden, unentdeckt. Briefkästen oder tief hängende Äste im Wald etwa.

Die Hände bleiben frei

Werner Kristufek, Professor am TGM und Betreuer der Gruppe, erklärt, warum akustische Signale – wie etwa bei Einparkhilfen – wenig nutzen: „Was wir aus dem Auto kennen, das kann ein Blinder nicht brauchen, weil er die Ohren braucht, um am Leben teilzuhaben.“ Deswegen sei die Erfindung auf die Bedürfnisse von Blinden zugeschnitten: „Es geht darum, dass sie die Hände und die Ohren freihaben.“ Der Gehörsinn, der für Blinde besonders wichtig ist, soll durch den Sensor nicht abgelenkt werden. Die Hände werden schließlich vom Taststock oder Taschen beansprucht.

Dass der Blindensensor über den engen Zirkel der technischen Schulen und Elektronikunternehmen hinaus bekannt wurde, hat auch mit dem Einsatz Kristufeks zu tun. Er ist in der Privatwirtschaft gut vernetzt. Mit der auf Sehbehelfe spezialisierten TSB Transdanubia in Wien hat er einen Sponsor gefunden, der 2.000 Euro für die Hardware spendierte – ein Mehrfaches dessen, was tatsächlich investiert wurde. Mehr als 350 Euro mussten die SchülerInnen nicht auslegen. Das Gerät besteht aus einem einfachen rechteckigen Kästchen, das die Batterien enthält, einem mit Sensoren ausgestatteten elastischen Stirnband und zwei Frotteearmbändern, die mit Klettverschluss am Rist befestigt werden.

Batterien für elf Stunden

Vibrierende Armbänder nutzen Blinden und Sehbehinderten mehr als akkustische Signale wie bei der Einparkhilfe im Auto

Die blinden Testpersonen, die das Gerät erprobt haben, brauchten durchschnittlich 20 Minuten, um damit zurechtzukommen, erzählen die Teammitglieder begeistert. Das sei sensationell kurz. Wenn man sich auf Personen oder Gegenstände zubewegt, löst der Sensor ein Warnsignal aus, das – je nach Lage – auf das rechte oder linke Handgelenk übertragen wird. Hindernisse, die mehr als 1,5 Meter entfernt sind, werden ignoriert. Wenn beide Armbänder vibrieren, heißt das: geradeaus! 350 Milliamperestunden und 7,5 Volt hat die Batterie, die unter Volllast elf Stunden durchlaufen kann.

Die Firma Transdanubia, die das Projekt gesponsert hat, war von der Entwicklung so angetan, dass sie vorhat, das Gerät in Serie zu produzieren. Kristufek will mit der nächsten Maturaklasse noch daran feilen. Das Folgemodell soll abgerundete Ecken haben, das Gehäuse könnte von einem 3-D-Drucker hergestellt werden. „Das Ganze kabellos gestalten wäre auch noch von Vorteil“, sagt Miterfinder Philipp Höbart. Dafür habe die Zeit jedoch nicht mehr gereicht.

Wie innovativ die Technik für das Gerät ist, zeigt auch, dass es zu dem Thema noch keine einschlägige Literatur gab. Daher hatten sich die Schülerlnnen vor der Herstellung mit einem Professor am Institut für Ophtalmologie unterhalten und vom Bundesblindeninstitut Feedback eingeholt. Und zum Schluss musste ein spezielles Verfahren die medizinische Wirksamkeit nachweisen. An zwei Nachmittagen wurden jeweils über zehn Personen an einen Simulator gesetzt. Die Versuchspersonen waren Kinder zwischen 10 und 14 Jahren, Teenager zwischen 16 und 18 und eine Gruppe von Erwachsenen. „Es hat sehr gut funktioniert“, sagt Marcus Berger stolz.

Jubeln konnten die SchülerInnen auch, als sie beim Technik fürs Leben-Preis des Elektrokonzerns Bosch den ersten Preis in der Kategorie „Mobilitätstechnik“ gewonnen haben. 2017 reichten 133 SchülerInnen von 21 Höheren Technischen Lehranstalten aus acht österreichischen Bundesländern insgesamt 48 Projekte ein. Obendrauf hat die Gruppe einen schulinternen Preis, der mit 1.000 Euro dotiert ist, gewonnen.

Das Preisgeld wollen die vier Sieger nun in die gemeinsame Abschlussfahrt investieren. Trotz des unerwartet großen Erfolges haben die jungen Erfinder nicht vor, gleich danach bei der Firma TSM anzuheuern. Andrea und Marcus wollen Medizin studieren, Philipp und Sueda wahrscheinlich ein technisches Fach.

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