Hinter dem tödlichen Zaun liegt das Glück

Eine euro-afrikanische Landgrenze verläuft durch Marokko: entlang zweier spanischer Exklaven. Die EU versucht mit Millionen, Migranten von der Einreise abzuhalten

Migranten an der Grenzkontrolle in Ceuta vor der Weiterreise auf das Festland Foto: EPA/REDUAN/dpa

von Jalal al Makhfi

Eine der Außengrenzen der Europäischen Union verläuft durch Marokko. Nicht zwischen Marokko und der EU, sondern mitten durch Marokko hindurch. Zwei spanische Enklaven liegen auf marokkanischem Boden. Aus Gründen, die in der Kolonialgeschichte wurzeln, zählen die beiden Städte Ceuta und Melilla nach wie vor administrativ zu Spanien und damit zur EU.

Ceuta und Melilla bilden die einzigen euro-afrikanischen Landgrenzen. Bereits seit der Etablierung des Schengen-Raums in den 1990er Jahren bemüht sich die EU an diesen Außengrenzen um die Eindämmung der Migration.

Mit europäischer Hilfe hat Spanien eine Politik etabliert, die sich um die Schließung der Grenzen bemüht und diese Exklaven in Nordafrika immer stärker militarisiert. Die erste Barriere in Melilla wurde 1997 gebaut. Mittlerweile besteht die spanische Grenzseite aus drei Zäunen: Einer ist sechs Meter hoch, dann einer drei Meter, dann wieder sechs Meter. Sie sind größtenteils mit Stacheldraht versehen. Die messerscharfen Klingen, die schwere Verletzungen zufügen, sind immer wieder Gegenstand von Beschwerden.

In der Nacht vom 28. zum 29. September 2005 und nochmals in jener vom 5. zum 6. Oktober 2005 kam es in den Exklaven zum ersten Mal zum Versuch massiver Grenzübertritte. Mehrere hundert Migranten versuchten, den Grenzzaun durch ihr gemeinsames Gewicht zum Einsturz zu bringen. Bei der Niederschlagung gab es 14 Tote.

Die TeilnehmerInnen des taz Panter Afrika-Workshops 2017 (v.l.n.r.): Jalala Al Makhfi (Marokko), Mennatalla aly Farouk (Ägypten), Joseph Nashion (Südsudan),  Mercy Abang (Nigeria), Samir Abi (Togo), Zeinab Salih Ibrahim (Sudan), Albert Chaibou (Niger), Matel Bocoum (Senegal), Ramata Tembely (Mali). Es fehlen: Ayman Faraj (Libyen), Girma Fantaye (Äthiopien). Foto: Anja Weber. Porträtfotos: Sophie Richter

In Anbetracht der fast 28.000 Migranten aus Subsahara-Afrika, die das Land 2014 durchreisten, hat Marokko in Zusammenarbeit mit den spanischen Behörden eine vierte Schranke errichtet. Der scharfe Klingendraht darauf ist noch einmal verstärkt, was zur Empörung in der lokalen und europäischen Zivilgesellschaft beigetragen hat. Zwischen 2005 und 2013 hat Spanien 47 Millionen Euro in die Zäune von Melilla investiert, weitere 25 Millionen Euro für den in Ceuta. Allein für ihre Wartung müssen pro Jahr weitere 10 Millionen Euro aufgewendet werden.

Auf der marokkanischen Seite werden „60 Millionen für den Kampf gegen die illegale Einwanderung“ jährlich investiert, gab die Regierung in einer Erklärung im Jahr 2015 zu. Dies betrifft nicht allein die Landesgrenzen, sondern auch die Seewege: Marine-Patrouillen beider Länder arbeiten zusammen, um im Mittelmeer Leichen zu bergen.

Doch für den Tod selbst will niemand verantwortlich sein – trotz einiger Klagen von Menschenrechtsorganisationen. Nach Auffassung der NGOs bewegt sich die Migrationspolitik der EU-Mitgliedstaaten in eine beunruhigende Richtung.

Denn die EU-Richtlinien unterscheiden indirekt, so das Migreurope-Netzwerk, in „gute Flüchtlinge“ und „schlechte Migranten“. Während die syrischen Asylbewerber Begünstigung erhalten, werden bei Migranten aus Afrika südlich der Sahara Abschiebungen propagiert. In die Asylbüros an den Grenzen von Ceuta und Melilla wird so gut wie nie ein Afrikaner vorgelassen. NGOs beklagen dies als „formalisierte Diskriminierung“, als „Hautfarbenproblem.“

Für den Zeitraum 2014 bis 2020 hat Spanien damit begonnen, die ersten Zahlungen aus dem EU-Treuhandfond von mehr als 500 Millionen zu nutzen, um dem „Migrationsdruck entgegenzuwirken“. Insgesamt hat die EU 2,4 Milliarden Euro für 23 Programme zugewiesen.

Dieses Outsourcing und die zunehmende Militarisierung an der Europa-Afrika-Grenze haben dazu geführt, dass Migranten immer mehr Gefahren und Umwege auf sich nehmen müssen. Die einen weichen nach Libyen aus, um von dort aus nach Italien zu gelangen; die anderen versuchen es über Westsahara, um von dort auf die Kanarischen Inseln überzusetzen. Es ist eine europäische Migrationspolitik, die tödliche Folgen hat.

Jalal Al Makhfi, 34, ist Journalist aus Rabat, Marokko.