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Immer schön locker bleiben

Zukunftshoffnungen Bei den Deutschen Meisterschaften in Erfurt hinterlassen einige junge Leichtathleten wie der HochspringerMateusz Przybylko, 25, oder die 20-jährigen Läuferinnen Gina Lückenkemper und Konstanze Klosterhalfen nachhaltigen Eindruck

Aus Erfurt Markus Völker

Wenn Fußballer nach ihrem Spiel noch Interviews geben müssen, dann treten sie oft mürrisch und lustlos vor die Schreiber. Sie ringen sich dann ein paar 08/15-Statements ab, sagen die üblichen Floskelsätze. Manch ein Kicker schlurft schweigend an der Presse vorbei. Keinen Bock auf die lauernde Meute, sagt er sich und verschwindet im Mannschaftsbus. Wenn Leichtathleten nach dem Wettkampf Interviews geben, dann ist das eher kein lästiger Pflichttermin. Die Laune ist prima, und alle Zeit der Welt scheinen die Athleten in den meisten Fällen auch noch zu haben. Zum Beispiel Mateusz Przybylko, der neue Hochsprungmeister. Als er einschwenkt in die Kontaktzone, ist er ziemlich überrascht, dass ihm plötzlich acht Aufnahmegeräte vor die Nase gehalten werden. Er macht ein verblüfftes Gesicht: Wow, so viele Leute wollen etwas von mir wissen! Das passiert einem deutschen Leichtathleten ja nicht so oft.

Der Mann aus Leverkusen nutzt seine Chance und plaudert munter drauflos. Den Titel hat er mit übersprungenen 2,30 Meter am Samstag im Erfurter Steigerwaldstadion gewonnen. Die Höhe ist eher mittelmäßig, aber Przybylko hat noch viel vor. In diesem Jahr ist er bereits über 2,35 Meter gehüpft, nur zwei Zentimeter weniger als ehedem Carlo Thränhardt, der seit 1984 den deutschen Rekord hält. In Erfurt versuchte sich Przybylko noch an 2,36 und 2,38 Meter, riss aber recht deutlich. Doch wenn man dem 25-Jährigen glaubt, dann kann er die Latte bei 2,40 Meter überspringen. In Bottrop, wo er unlängst seinen persönlichen Rekord aufstellte, hatte er einen ungültigen Versuch, der aber trotzdem einen neuen Horizont öffnete. „Da hätte ich locker 2,40 Meter springen können, der war so hoch“, sagt er mit noch viel Wettkampf-Adrenalin im Blut. „Ich hab das drin.“ Was er meint: Sein sogenannter Körperschwerpunkt war hoch, aber die Technik schlecht. Die größten Probleme hat er mit der Schulter. „Ich muss die Schulter von der Latte weghalten, dann klappt es auch“, erklärt er. Ganz generell will er sich „nicht mehr kleinmachen“, nicht vor Höhen und nicht vor der Konkurrenz.

Damit man sich seinen polnischen Namen einprägt, gibt er gern eine Formulierungshilfe. Man solle mit „Psch“ anfangen und dann ein „Bilko“ dranhängen – oder ihn einfach „Matze“ nennen. Seit er so gut springt, hat der polnische Verband bei ihm angefragt, ob er nicht für ihn an den Start gehen wolle.

Aber die Nummer ist durch. Die Polen haben eine günstige Gelegenheit verpasst, als er mit 15 wechseln wollte, vom dortigen Verband aber keine Reaktion kam. Früher hat er sich sogar ein polnisches Wappen ans Verbandstrikot gepappt, doch damit war es schnell vorbei. Jetzt will Przybylko im Trikot des DLV mit den Weltbesten mithalten, sich in neue Höhen aufschwingen: „Ich lasse es auf mich zukommen, ich will Spaß haben.“

Titelträger

Diskus: Olympiasieger Christoph Harting verpasste die Qualifikation für die WM in London (5.–13. 8). Mit 62,51 Metern wurde er Vierter. Sein Bruder Robert gewann (65,65 Meter).

100 m Sprint: Julian Reus nutzte seine letzte Chance und sicherte sich in 10,10 Sekunden den 1. Platz und die WM-Quali.

Kugelstoßen: Seriensieger David Storl gewann mit mäßigen 20,98 Metern den siebten Titel in Folge.

Diese ostentative Lockerheit strahlen viele junge deutsche Leichtathleten aus. Die Sprinterin Gina Lückenkemper ist auf diese Weise sehr schnell gerannt: 11,01 Sekunden über 100 Meter. „Wenn ich verkrampft bin, läuft es scheiße“, schnatterte Lückenkemper nach ihrem Sturmlauf los, und man fragte sich, was bei ihr schneller geht: Laufen oder Reden. Im Finale wollte Lückenkemper unter elf Sekunden sprinten, quasi in Marlies-Göhr-Bereiche vorstoßen, aber sie verstolperte den Endlauf etwas, kam aber trotzdem nach 11,09 Sekunden ins Ziel. „Ein Sonnenschein“, sagte ein Kollege über die 20-Jährige von der LG Olympia Dortmund. Und Gleiches ließe sich wohl über das neue deutsche Fräuleinwunder auf der Mittelstrecke sagen: Konstanze Klosterhalfen, die am Sonntag (nach Redaktionsschluss) über 1.500 Meter antrat. Schon im Vorlauf am Samstag demonstrierte Klosterhalfen ihre Überlegenheit und distanzierte den Rest um Dutzende Meter. Klosterhalfen, auch erst 20 Jahre alt, hat diverse U20- und U23-Rekorde gebrochen.

Das ist beeindruckend, aber ebenso das Selbstbewusstsein dieses dürren, nur etwa 48 Kilogramm schweren Persönchens. In der Fachzeitschrift Leichtathletik war über sie zu lesen: „Ihr wohnt inne, was man im Profisport selten findet – authentische Schüchternheit gepaart mit dem Wissen um die eigene Stärke.“

Klosterhalfen rennt nicht nur, sie ministriert und musiziert (Querflöte und Klavier), sie studiert – sie möchte Sportjournalistin werden –, ist vor Journalisten aber noch so verhuscht, dass sie ständig in Verlegenheitslacher ausbricht, um mit der Situation irgendwie klarzukommen. Man wird bestimmt noch viel von dieser Konstanze Klosterhalfen aus Königswinter hören. Und sicher auch von anderen jungen Sportlern des DLV, vom Hochspringer Przybylko, vom Chemnitzer Dreispringer Max Heß, 20, der in Erfurt mit etwas zu viel Windunterstützung 17,24 Meter sprang oder von Lückenkemper, der Schnellrednerin.

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