: Porzellankacheln und „Golden-Gate-Säule“
Anbau Das Victoria and Albert Museum in London feiert einen neuen Eingang samt Vorplatz und großer Ausstellungshalle
von Daniel Zylbersztajn
Ein bogenförmiges offenes Tor im Renaissancestil und eine dazugehörende Säulenkolonnade aus weißem Stein geben den Blick frei auf einen altbekannten rot-weißen viktorianischen Ziegelbau und einen neuen großen, glänzenden und größtenteils weiß gefliesten Platz davor. Noch vor sechs Jahren war hier eine Mauer. An ihrer Stelle steht nun der 54 Millionen Euro teure neue Eingang des Londoner Victoria and Albert Museums für Design, Mode und bildende Kunst, kurz V & A. Damit soll das Museum besser von der Exhibition Road zugänglich werden, dort, wo sich auch der Haupteingang des berühmten Science Museums und ein Nebeneingang des Natural History Museums befindet und wo sich tagtäglich Touristenhorden tummeln.
Doch auf dem neuen von Architektin Amanda Levete entworfenen Vorplatz entpuppt sich ein modern gezogenes Konstrukt aus Glas und Porzellan gar nicht als Museum, sondern als zum Museum gehörendes Café. Das hat Tradition. Schon von Anfang an lockte das 165 Jahre alte V & A nicht nur mit seinen Ausstellungsstücken, sondern auch mit seinem „Erfrischungsraum“, damals eine vollkommene Neuheit.
„Alles soll offen und zugänglich sein“, erklärt Projektmanager Alec Shaw. Amanda Levete philosophiert selbst lieber von der Beziehung zwischen Straße und Öffentlichkeit. Die stilistische Meisterung dieser Beziehung wurde ihr durch den bereits 2012 fertiggestellten 29 Millionen Pfund teuren Umbau der Exhibition Road durch die Stadtbehörde Kensingtons stark erleichtert, denn dabei verschwanden Barrieren, um einen „von allen geteilten Platz ohne Bordsteine“ zu kreieren.
Grenzenlos geht es nun auch in die V & A. Wellige, leicht in einander übergehende futuristische Formen verschmelzen sowohl mit der Bodenfläche als auch mit den Gebäuden, alt wie neu. Dem V & A geht es hier nicht nur um die Themen der Ausstellungen, sondern auch um die Kunst des Ausstellens, des Einladens und der Raumverteilung sowie der Verbindung von Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit. Durch den Neubau wurden etwa 100 Jahre alte versteckte Sgraffitowände endlich wieder sichtbar.
Ein echter Superlativ ist der neue Vorplatz, der die größte öffentliche mit Porzellankacheln bestückte Fläche der Welt ist. Auch im alten Bau gab es schon Böden aus Keramik, sie treffen sich in der Eingangshalle. Von dort führt ein schwarzes langes Treppengelände in den neuen darunter liegenden Ausstellungsraum, die 1.100 Quadratmeter große Sainsbury Gallery, eine Dimension, über die das Museum bisher nicht verfügte und das auch noch mit natürlichem Licht, das aus einem „Okulus“ durch gelblich und rötlich getönte Fenster vom Vorplatz hereinströmt. Es bietet den BetrachterInnen von beiden Enden her einen Ein- beziehungsweise Ausblick. Auch anderswo ist das Durchsehen immer Teil des Designs. Die erste Ausstellung hier soll im September dem Thema Oper, Macht und Politik gelten, dieses Mal ohne die früheren räumlichem Begrenzungen.
Nahezu unscheinbar im Treppenhaus steht jedoch das größte Wunder des neuen Museumsanbaus. Es ist eine einzelne Säule im, so erklärt das Museum, „industriellen Ingenieursorange, das schon bei der Golden-Gate-Brücke Verwendung fand“. Doch nicht die Farbe, sondern die Tatsache, dass die Säule die gesamte Decke trägt und der Ausstellungsraum damit säulenfrei bleibt, ist die Sensation. So etwas ist erst seit wenigen Jahren durch die neueste 3-D-Technik möglich, passend also für das dem Industriedesign verpflichteten Museum.
Nun will das Museum auch anderswo weiterwachsen mit Galerien in Dundee, Schottland und in Shenzhen in China. In den letzten Jahren stieg, nicht zuletzt anhand populärer Ausstellungen, beispielsweise über David Bowie oder Alexander McQueen, die jährliche Besucherzahl um zwei Millionen. „Auch deshalb ist dieser raumspendende erste Neubau seit dem Jahr 1902 essenziell gewesen“, erklärt Alec Shaw enthusiastisch.
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