Kolumne G-kacken: Knattern und Cornern
Gestern stand „Cornern“ auf dem Aktionsplan des zivilen Protests. Es ging darum, auf Straßen und Plätzen herumzusitzen, zu essen, zu plaudern.
F angen wir mal mit dem Schönen an: Gestern stand „Cornern“ auf dem Aktionsplan des zivilen Protests. Es ging darum, auf Straßen und Plätzen herumzusitzen, zu essen, zu trinken, zu plaudern. Öffentlichen Raum als das zu begreifen, was er ist: unser aller Gut. Es ging darum, das Politische nach draußen zu tragen.
Das hat super geklappt. Zumindest vor meiner Tür. Superviele Leute sind gekommen, ewig lang haben wir gequatscht, es war laut und lustig und die blöde Polizei hat nix gesagt. Was besser war. Für sie. Denn ich hatte mir schon was Gewieftes ausgedacht: Hätten sie unser Tun verhindern wollen, wären wir in den Hauseingang gegangen, der kein öffentlicher Raum ist. War aber nicht nötig, denn wir haben uns daran gehalten, keine Meinung kenntlich zu machen, etwa durch Transparente. Dann nämlich gerät das Miteinander zu einer Versammlung, die aufgelöst werden kann. Hat keiner eine Meinung, ist es keine Versammlung.
Also wir alle, dumm wie Brot, auf dem Bürgersteig. Keine Meinung, nirgends. Außer aus den Fenstern des Hauses, aber egal. War einfach super. Abgesehen von den Polizisten, die in martialischer Uniform bis unter die Zähne kampfbereit durch die Straße patrouillierten. Super gecornert wurde auch 750 Meter weiter am Neuen Pferdemarkt. Dort hatte man allerdings wohl vergessen, auf die Meinung zu verzichten.
Wer schon einmal versucht hat, einzuschlafen, wenn über einem Hubschrauber kreisen, weiß, dass Hubschrauber nachts anders klingen. Sie sind dichter, ihr Knattern ist dunkler. Lauter. Die Absurdität: Ich liege nach schönstem Cornern erschöpft im Bett und kann auf Twitter den Livestream des Kollegen Martin Kaul die Räumung des Neuen Pferdemarktes beobachten.
Ihr Hubschrauber ist auch mein Hubschrauber. Und ich lese, dass die Polizei weiterhin versucht, zu verhindern, dass angereiste Demonstranten schlafen. Schlafentzug. Wir nähern uns den Methoden in China. Am Nachmittag wurde bekannt, dass der großartige Pastor Sieghard Wilm, der bereits monatelang die „Lampedusa-Flüchtlinge“ aufgenommen hatte, den Kirchgarten zum Campen öffnet. Und wie toll, zu erfahren, dass das Schauspielhaus seine Räume zum Übernachten bereitstellt.
Die Polizei wollte das verhindern. Aber sie haben kein Hausrecht. Es ist irre, wie sehr die Hamburger Polizei sich dem Vorgehen annähert, das wir bei anderen Ländern so scharf kritisieren. Heute kommen die Franzosen, die bei uns in der Wohnung pennen werden. Freitag kommen die Berliner. Arschlecken, Andy Grote.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen