: Freisprüche für Göttinger Abschiebegegner
Recht Das Göttinger Amtsgericht spricht nach einer blockierten Abschiebung drei Aktivisten frei, ein Verfahren wird eingestellt. Polizisten hatten Aussagen abgesprochen
Mit drei Freisprüchen und einer Einstellung ist diese Woche ein Prozess gegen vier Abschiebungsgegner vor dem Göttinger Amtsgericht zu Ende gegangen. Die Aussagen der Polizeizeugen erwiesen sich in der Verhandlung als falsch oder waren abgesprochen.
Angeklagt waren zwei Männer und zwei Frauen unter anderem wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Drei Beschuldigte hatten sich im April 2014 an der Blockade einer Wohnung beteiligt, um die Abschiebung eines Asylbewerbers zu verhindern. Die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) der Göttinger Bereitschaftspolizei war damals äußerst ruppig gegen die Demonstranten vorgegangen, mehrere Menschen wurden durch Hundebisse, Schläge und Pfefferspray verletzt. Zwei der Beschuldigten sollten während der Tumulte einen Beamten in den Finger gebissen, eine weitere einem Polizisten den Armschutz abgerissen haben.
Die angeblichen Beißer wurden nun freigesprochen. Ein BFE-Polizist sagte aus, die angeklagte Frau habe bunte Haare gehabt, ein Polizeivideo zeigte jedoch, dass dies nicht zutraf. Als rechtswidrig bezeichneten die Prozessbeteiligten zudem die Anwendung der schmerzhaften Nervendrucktechnik bei dem fraglichen Einsatz: Die Bisse in den Finger seien deshalb als schmerzbedingte Notwehr einzustufen. Zudem sei die Sitzblockade vor und in dem Haus als Versammlung zu werten. Die Polizei hätte diese vor dem Eingreifen auflösen müssen, habe das aber nicht getan, so das Gericht.
Das Verfahren gegen die Frau, die den Armschutz abgerissen haben sollte, wurde eingestellt. Der 60-Jährigen war außerdem zur Last gelegt worden, auf den Göttinger Marktplatz „Göttingen welcomes refugees“ gemalt und die Abdeckplane eines neuen Denkmals für die „Göttinger Sieben“ besprüht zu haben. Den vierten Angeklagten hatte die Staatsanwaltschaft beschuldigt, ein Werbeplakat der Bundeswehr übermalt zu haben – er wurde freigesprochen.
Die Grüne Jugend bezeichnete das Urteil als „eine Blamage für die Polizei auf allen Ebenen“. Der damalige BFE-Einsatz „war eine Schande für den Rechtsstaat, das ist jetzt auch gerichtlich bestätigt“. Es müsse nun Konsequenzen für diesen „Exzess der Polizeigewalt“ geben. Die BFE sei „eine Gefahr für die Demokratie und hat auf keiner Demonstration mehr etwas verloren“.
Eine andere Prozessbeobachterin schildert, wie sich ein BFE-Mann im Zeugenstand regelrecht „verplappert“ habe. Demnach überprüften Vorgesetzte die Aussagen der Polizeizeugen vorab auf „Kohärenz“ – die Verteidigung ließ diesen Begriff ins Wortprotokoll aufnehmen. In der Nachbesprechung des umstrittenen Einsatzes habe die BFE gemeinsam die Videos gesichtet und ihre Berichte entsprechend angepasst, so der Zeuge. Reimar Paul
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