Berliner Szenen: Mit dem Rad unterwegs
Halber Baum
Weil es im Büro eh 30 Grad heiß ist, nehme ich den Umweg über den Park. Morgendliche Kühle zieht durch die Alleen des Tiergartens. Überall zischen die Wassersprenger. Es ist gar nicht möglich, ihnen zu entkommen.
Ein paar Mal warte ich, bis der nasse Bogen vorbeigezogen ist. Dann reißt mir der Geduldsfaden. Ich umfahre mit dem Rad eine Wasserfontäne, gerate deswegen kurz ins Unterholz, nass werde ich trotzdem. Die Radfahrer, die mir jetzt auf einem schnurgeraden Sternweg entgegenkommen, grinsen mich an. Ich nehme an, es ist ein verschwörerisches Grinsen, weil sie die gleichen Probleme hatten mit der Bewässerung wie ich. So radele ich recht beschwingt durch den Park.
Auf dem Weg zum Potsdamer Platz setzt sich plötzlich eine Radlerin neben mich. „Sie haben da einen halben Baum hinten im Rad“, sagt sie. „Was habe ich, einen halben Baum im Rad?“
Ich schaue auf mein Hinterrad. Und tatsächlich, da hat sich ein ungefähr achtzig Zentimeter langer Ast verklemmt. Er hängt wie ein kaputter Auspuff hinten dran, ohne dass er mich am Fahren gehindert oder ich ihn bemerkt hätte. Hm. Etwas peinlich ist mir das schon, derart verästelt herumgekurvt und zum subtilen Gespött einer Mitradlerin geworden zu sein. Ich ziehe den Ast raus und entsorge ihn neben dem Fahrradweg.
Erst am Nachmittag sitze ich wieder auf dem Rad. Die trockene Hitze kratzt in der Kehle. Jetzt werden keine Umwege mehr gefahren, es geht direkt heim. Die Autofahrer sind gereizt, und die Radler sind es auch. Eine Fahrradpilotin fährt ostentativ auf der linken Seite des Radweges in der Greifswalder Straße. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als rechts zu überholen. „Rechts überholen, geht’s noch, du Spast!“, keift die Linksfahrerin. Perplex stottere ich etwas von „Umgangsformen“.
Ach, ich hätte besser geschwiegen. Markus Völker
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