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Vom Bild- zum Wortkünstler

Ausstellung Dass der Schriftsteller Wolfgang Herrndorf vorher Maler war, hat sich herumgesprochen. Aber was und wie und warum hat er gemalt? Das Kunsthaus Stade gibt einen fulminanten Einblick in sein Schaffen

von Frank Keil

Es ist nicht mehr festzustellen, wie man das hinterlassene Werk des Malers Wolfgang Herrndorf beurteilen würde, wüsste man nicht, dass er zugleich Schriftsteller war. Herrndorf, das ist „Tschick“, das ist „Sand“, das ist „Arbeit und Struktur“, als Blog oder als Buch. Drei Bücher, getragen von literarischer Wucht, die auch in den nächsten Jahrzehnten ihren Platz in der Literaturgeschichte halten werden. Und nun steht man im Kunsthaus Stade und schaut auf ein Selbstporträt Herrndorfs, wo er uns als nackter Jesusjüngling entgegenkommt, ein Stofftier in der Hand – gemalt, als sei es von Albrecht Dürer, einem seiner Vorbilder.

Gewiss: Dass Herrndorf Maler war, bevor er Schriftsteller wurde, hat sich herumgesprochen; weniger bekannt ist, welche Schule der Malerei ihn beschäftigt hat. Gut also, dass das Kunsthaus Stade ihm eine komplexe Einzelausstellung widmet – als erste Kunstinstitution, bisher waren Herrndorfs Bilder in Literaturhäusern zu sehen, in Berlin, München und Stuttgart.

140 Werke sind zu sehen, der Fundus ist weit größer: rund 600 Bilder, Malerei und Zeichnungen, dazu Skizzen und Serien. Anderes ist verschollen, einiges hat Herrndorf selbst vernichtet; übrigens auch Tagebücher aus 28 Jahren, dazu Briefe und Notizen, als ihm an einem Morgen Ende August 2011 immer klarer wurde, dass er seiner Krebserkrankung erliegen wird. Weg damit, wo ihm doch sein Leben davonlief. Und er schreibt sein Testament.

Herrndorf, Jahrgang 1965, wächst in Norderstedt bei Hamburg auf, malt und zeichnet schon als Schüler. Für die inneren und äußeren Konflikte jener Jahre bildliche Entsprechungen zu finden, ist nichts Besonderes. Doch bei ihm ist sein großes Können gleich unübersehbar. „Klar sind das Schülerarbeiten, aber man sieht sofort, wie großartig er mit dem Licht umzugehen versteht“, sagt Kuratorin Regina Wetjen. Und er fällt auf, bekommt Schulpreise, entscheidet sich, Kunst zu studieren, geht 1986 nach Nürnberg, in die Stadt Albrecht Dürers.

Malen wie die alten Meister

Er geht in die Klasse von Christine Colditz, eine Vertreterin der experimentellen Malerei, während er sich altmeisterlich malend am Kanon der frühen Kunstgeschichten ganz praktisch abarbeitet – der Gegensatz hätte nicht größer sein können. Er wird sie später als „die schlimmste, menschlich gesehen unangenehmste Person in meinem Leben“ bezeichnen und doch eine große Gemeinsamkeit konstatieren: Beide hätten sie „ihre Zeit mit komplett sinnlosem Quatsch vertan“.

Das Interessante und zugleich Verwirrende ist: Herrndorf arbeitet sich an Cranach ab, immer wieder an Dürer, an den Italienern der Renaissance, später an den Holländern, während andernorts die Kinder der Jungen Wilden durch die Kunstwelt rockerten, die Genialen Dilettanten das Feld zwischen Spaß, Alltagskultur und zu entschlüsselnder Kunstgeschichte ausloteten. Punk, Pop, New Wave und die dazugehörigen Kunstentäußerungen – künstlerisch ficht ihn das alles nicht an. Unvorstellbar – ist man in seine Bil­derwelt erst einmal eingetaucht –, dass Herrndorf etwa eine Videoarbeit abgeliefert hätte.

Nach dem Studium geht er 1996 nach Berlin – zur Zeitschrift Titanic; nicht aus Verlegenheit oder weil man als junger Künstler mit einem Faible für das Illustrative die dazu passenden Magazine eben abklappert. Sondern er geht zur Titanic, weil er unbedingt für die Titanic zeichnen und malen will. Und dort mag man seinen Mix aus handwerklichem Können, Kunstzitaten und einer Titanic-spezifischen Häme.

Es entstehen Titelblätter, er illustriert die Textbeiträge der anderen. Der Verleger Haffmans wird auf ihn aufmerksam, lässt Herrndorf Buchumschläge illustrieren; im Berliner Tagesspiegel ist er bei dessen Sonntagsmagazin mit je einer Karikatur vertreten. Und so findet er für eine gewisse Zeit eine künstlerische Heimstatt jenseits der Galerien und Kunsthäuser und der Kunstkritik.

Auch geschlossene Serien entstehen: seine 33-teilige Bilderbiografie des Sportmoderators Heribert Faßbender, sein Helmut-Kohl-Kalender 1997, in dem er den damaligen Bundeskanzler in die Bildwelten von Carl Spitzweg, Jan Vanmeer van Delft oder Edward Hopper versetzt und etwas hinbekommt, was man in vielen Bildern seiner Titanic-Zeit findet: die Symbiose von beißendem Spott und einer zugleich fast rührende Zuwendung an den Verspotteten.

Abschied vom Malen

Nach gut zehn Jahren ist Schluss mit der Auftragsarbeit, die Schrift und das Schreiben haben sich allmählich immer mehr in den Vordergrund gedrängt, das ist sehr schön in der Ausstellung zu verfolgen: Erste Worte, fast noch wie Titel, finden den Weg in seine Bilder, dann werden die Texte immer länger, wachsen heran zu kleinen Geschichten, die nun von den Bildern gestützt werden; vorher war es umgekehrt.

Das alles ist in Stade in aller Ruhe zu betrachten. Man schaut staunend auf Herrndorfs Können; Bücher liegen aus, denen Herrndorf ihren Umschlag und damit ein Gesicht gegeben hat. 2006 malt Herrndorf – soweit bekannt ist – sein letztes Bild: Der damals in Hamburg lebende Schriftsteller Frank Schulz bekniet ihn, wenigstens noch einmal zu Pinsel und Papier zu greifen, um einem weiteren seiner Romane einen Buchumschlag zu schenken.

Und ein empathischer E-Mail-Wechsel folgt, der im lesenswerten Katalog abgedruckt ist und davon erzählt, wie der schnodderige Schulz den harten Herrndorf weich kocht. Von Schulz ist auch eine Erklärung übermittelt, die Herrndorfs Abschied von der Malerei bestens umschreibt: Der Maler hätte ihm gestanden, Tage zu brauchen, um einen Swimmingpool zu malen – als Schriftsteller reiche es, das Wort „Swimmingpool“ hinzuschreiben und jeder wisse Bescheid.

„Das unbekannte Kapitel. Wolfgang Herrndorfs Bilder“: bis 3. Oktober, Kunsthaus Stade, Di, Do und Fr 10–17 Uhr, Mi 10–19 Uhr, Sa und So 10–18 Uhr

Der Katalog zur Ausstellung ist im Kettler Verlag erschienen.

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