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Alle rufen laut: Toll!

Kinder In heutigen Patchwork-Netzwerken gibt es mehr Probleme als in klassischen Familienkonstruktionen. Die Interessen der Beteiligten sind oft unterschiedlich

Es gibt Erwartungen, die oft genug nicht geäußert, sondern schweigend vorausgesetzt werden – und dann eskalieren können Foto: Saba Laudanna

Von René Hamann

Mediation ist etwas für Erwachsene? Stimmt gar nicht. Dagmar Lägler, Familienmediatorin und Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Familienmediation (BAFM) in Deutschland, bietet schon länger Workshops und Mediationen für Familien mit Kindern an – als Erweiterung der klassischen Familienmediation. Sie ist dabei längst nicht mehr die Einzige. Es gibt inzwischen auch Mediationskurse für Kinder, die in Gruppen mithilfe von Geschichten, Bilderbüchern und anderen spielerischen Mitteln ihre Sicht, ihre Gefühle zu vermitteln lernen. Sehen können, dass es in einem Streit immer auch eine andere Seite gibt – und dass es eine Lösung geben kann, die irgendwo in der Mitte liegt. Die Mediation, sagt zum Beispiel die Wiener Mediatorin Gesine Otto, zielt auf einen Konsens, eine Gewinner-Gewinner-Lösung: Es muss auch im Spiel, im Wettbewerb, nicht immer Verlierer geben. Mit der Haltung der Mediation kann man solche Prozesse auch ändern und fairer gestalten.

Dagmar Lägler hingegen bevorzugt das Modell, in dem die ganze Familie anwesend ist: eine „kleine Familienkonferenz“. So wird verhindert, dass die Mediatorin zu einem „Geheimnisträger“ für die Kinder wird, wenn sie Strafen fürchten und Schutz suchen. Auch die Eltern brauchen ein Grundvertrauen, das sich in vorherigen Sitzungen erst bilden muss: „Was überhaupt nicht funktioniert ist, dass man zu den Eltern sagt: Bringen Sie das nächste Mal Ihre Kinder mit. Die Eltern müssen erst mal Vertrauen in die Methode der Mediation haben. Deswegen bespricht man zunächst mögliche Themen, die die Kinder mitbringen.“

Man kann sich vorstellen, welche Themen die Eltern beschäftigen. Da geht es oft um Geld, um Unterhaltszahlungen, gerade wenn eine Trennung ansteht oder bereits vollzogen ist. Um Recht und Ordnung, um die Frage, wer soll wann auf die Kinder aufpassen und welche Erziehungsmethoden sind die besseren. Die Kinder jedoch bekümmern ganz andere Dinge: Wer hat denn jetzt noch Zeit für sie? Wo sollen sie wohnen, wie werden Feiertage begangen? Wann dürfen sie zu Oma, wer macht den lange versprochenen Paddelausflug mit ihnen?

„Wir haben festgestellt, dass es wichtig ist, dass das Kind nicht einfach nur in die Sitzung ‚hineingeworfen‘ wird, sondern, dass es eine Einladung seitens der Eltern braucht“, erklärt Lägler. Es einmal auszuprobieren lohnt bestimmt: Das Kind kann in der Mediation seine Sicht mitbringen, Seiten zeigen, auf die die Eltern ohne das Kind nie und nimmer gekommen wären.

Natürlich ist so ein familiärer Konflikt alles andere als ein Kinderspiel. Dabei muss es nicht nur um Trennungen gehen, um ganz schlimme Dinge wie Todesfälle oder Krankheiten. Besonders in der heutigen Zeit gibt es weitaus mehr Probleme als in den klassischen Familienkonstruktionen. In Patchworkfamilien zum Beispiel potenziert sich der Konfliktstoff, weil hier noch mehr unterschiedliche Charaktere aufeinandertreffen. Es gibt Erwartungen, Vorstellungen, Wünsche, die oft genug auch nicht geäußert werden, sondern schweigend vorausgesetzt werden – und dann eskalieren können.

Eltern diskutieren den Unterhalt, Kinder fragen nach Zeit mit der Familie

Die Mediation für und mit Kindern ist grundsätzlich, sagt man, ab dem schulpflichtigen Alter möglich. Aber auch Dreijährige können schon daran teilnehmen. Lohnend ist die Mediation natürlich auch für Jugendliche – die noch mal ganz eigene Probleme und Sichtweisen mitbringen oder an anderen Erwartungen und Voraussetzungen seitens der Eltern leiden. Die Mediatoren sind dabei immer um Neutralität bemüht und suchen den Konsens. Besonders sinnvoll ist eine Mediation natürlich dann, wenn alle Konfliktparteien wirklich bestrebt sind, Lösungen zu finden. „Die Eltern bleiben diejenigen, die eine Lösung erarbeiten müssen und die schließlich auch die Entscheidung treffen“, sagt Dagmar Lägler dazu, „aber die Kinder sind oft die mit den kreativen Ideen, und die sind auch sehr wichtig.“

Es kann natürlich nicht immer nur Gewinner geben in diesen Prozessen. Aber wie Gesine Otto weiß: Es geht auch darum, fair streiten zu können. Und am Ende kann es ein Miteinander und ein Nebeneinander geben, nicht nur ein Gegeneinander. Wichtig ist, alle Elemente auch darzustellen: mit Tafeln, Bildern, Smileys, gelben oder roten Karten. Am Schluss einer Sitzung fragt sie die Kinder oft, „wie sie es fanden. Und alle Kinder rufen laut: Toll!“

Lägler setzt auf ambitionierte Mittel: auf das Geno- oder Ecogramm. Hauptsache Visualisierung. Die Mediation für und mit Kindern steckt in Deutschland gewissermaßen noch in den Kinderschuhen. Auch die Forschung ist noch nicht ganz so weit. Aber die Angebote und Möglichkeiten sind da. Man muss nur annehmen und ergreifen.

Bundes-Arbeitsgemeinschaft für Familien-Mediation: www.bafm-mediation.de

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