: Lasst das Kraut verdampfen!
MEDIZINALHANF Bisher sind es erst 1.000 Patienten, die Cannabis für den medizinischen Gebrauch von den Krankenkassen erstattet bekommen. Doch die Nachfrage steigt
von Christoph Kürbel
Seit März 2017 müssen die Krankenkassen die Therapiekosten von Cannabisprodukten erstatten – bisher sind es aber erst rund tausend Patienten in Deutschland, die die dafür notwendige Genehmigung erhalten haben. Für die Zukunft erwarten die Kassen allerdings einen drastischen Anstieg des Bedarfs an Cannabis: Sie rechnen mit bis zu 10.000 Patienten.
Diesen Bedarf will das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) durch Anbau in Deutschland decken lassen, bisher wird der Hanf vor allem aus den Niederlanden und aus Kanada importiert. Im letzten Jahr waren es 365 Kilogramm für die 1.000 Patienten, von denen jeder mit einem Gramm pro Tag veranschlagt wird. Deshalb hat die Behörde mit ihrer neu aufgebauten Cannabisagentur, die an die Zulassungsstelle für besondere Therapierichtungen und traditionelle Arzneimittel angeschlossen ist, eine Ausschreibung für Cannabisbauern gestartet.
Marktführer nicht mit dabei
Doch die Marktführer haben sich dabei nicht beworben. So steht der Naturarzneihersteller Bionorica, der in Deutschland das Cannabis-Präparat Dronabinol vertreibt, der Produktion von Cannabis in Blütenform kritisch gegenüber. Die Verschreibung von Cannabisblüten lehne man ab, da deren Dosierung für den Patienten nicht reproduzierbar möglich und für den Arzt nicht steuerbar sei, verlautbart das Unternehmen. „Den benötigten Medizinalhanf beziehen wir aktuell von der staatlichen Österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit in Wien“, teilt Bionorica mit.
Der weltweit größte Hersteller von medizinalem Cannabis kommt aus Kanada. Das Unternehmen Tilray will nun auch auf dem stark wachsenden deutschen Markt aktiv werden, aber der Anbau in Deutschland interessiert die Kanadier nicht. „Wir wollen unseren in Kanada angebautes Cannabis nach Deutschland importieren“, sagte Marla Luther, die Deutschlandchefin von Tilray, dem Handelsblatt. Denn eine Investition in neue Produktionsanlage lohne sich schlichtweg nicht.
Doch bis 2019 möchte die Cannabisagentur Medizinalhanf aus deutschem Anbau beziehen. Die Ausschreibung sieht vor, dass die Agentur das Cannabis in Besitz nimmt und damit die Verbreitungswege kontrolliert. Wie viel Geld dafür bereit steht, richtet sich laut Lutz Stroppe, Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit, nach der Nachfrage. Er erwarte aber keinen sprunghaften Anstieg der Nutzer in Deutschland, erklärte er noch im März. Bis 2022 sollen aber bereits 2.000 Kilogramm Cannabisblüten in Deutschland hergestellt werden. Damit wird die Pflanze zum großen Geschäft. Wer sich künftig als Hanfbauer in Deutschland eine goldene Nase verdienen will, verrät das BfArM allerdings nicht.
Als im März die Zulassung von Medizinalhanf beschlossen wurde, war eine Forschungsgrundlage dafür eigentlich nicht vorhanden. Denn eine sogenannte Phase-3-Studie an Patienten, wie bei anderen Medikamenten, gab es nicht. Das BfArM stützte sich bei der Zulassung lediglich auf Hinweise, die die Wirksamkeit von Cannabis nahelegten. Die gebe es beispielsweise bei der Schmerzbehandlung von Patienten mit Multipler Sklerose oder Krebs, so Cremer-Schaeffer, Leiter der Bundesopiumstelle, die bis dahin die Vergabe und auch den Import von Medizinalhanf organisiert hatte.
Seit gestern findet in Berlin Deutschlands größte Hanfmesse statt. Noch bis Sonntag präsentieren auf der „Mary Jane“ über 150 nationale und internationale Aussteller im und am Funkhaus Berlin direkt an der Spree in Oberschöneweide die vielfältigen Anwendungsgebiete der grünen Pflanze. Neben der Fachmesse gibt es Livekonzerte, DJs und Food-Stände aus aller Welt sowie Fachvorträge und Diskussionen von und mit (inter-) nationalen Hanfexperten zu verschiedensten Themen. Gestern referierte unter anderem Andreas Müller, Jugendrichter und Autor („Kiffen und Kriminalität: Der Jugendrichter zieht Bilanz“) darüber, warum er die Cannabislegalisierung für angebracht hält. Heute um 12 Uhr mittags wird die Debatte bei einer Podiumsdiskussion mit politischen Entscheidungsträgern fortgeführt – u. a. mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann, der stellvertretenden FDP-Bundesvorsitzenden. Das ist insofern interessant, als auch die Liberalen das Cannabisverbot für „augenscheinlich gescheitert“ halten. Im vergangenen Jahr warb Strack-Zimmermann im Namen der Freiern Demokraten erneut für eine „kontrollierte Freigabe“ an „volljährige Personen in lizenzierten Geschäften“.
Mary Jane Berlin: Funkhaus Berlin, Nalepastraße 18, 12459 Berlin, 16. bis 18. Juni. Sa. 11-–20 Uhr & So. 11–18 Uhr. Tageskarte 15 €, Messepass 30 €. Weitere Infos unter: http://maryjane-berlin.com
Weil die Datenlage schlecht sei, werde eine auf fünf Jahre angelegte Begleitstudie durchgeführt, so Karl Broich, Präsident des BfArM. Sie soll belastbare Daten zu Wirkungen und Nebenwirkungen von Cannabis liefern. Auch die Bundesärztekammer erhofft sich dadurch gesicherte Erkenntnisse, bei welchen Krankheitsbildern der Einsatz von Cannabis tatsächlich sinnvoll ist.
Fernziel des BfArM ist ein standardisiertes Arzneimittel aus deutscher Produktion. „Die Cannabisagentur wird einen Herstellerabgabepreis festlegen und das Cannabis an Hersteller von Cannabisarzneimitteln, Großhändler oder Apotheken verkaufen. Dabei darf die Cannabisagentur keine Gewinne oder Überschüsse erzielen“, heißt es seitens der Behörde. Auf den tatsächlichen Abgabepreis in der Apotheke habe man aber keinen Einfluss.
Den Ärzten, die zur Verschreibung der Blüten berechtigt sind, empfiehlt das BfArM, eine maximale Dosierung von 100 Gramm pro Monat zu verordnen. Was Wechselwirkungen angeht, kann auch das Bundesinstitut auf keine wissenschaftlich gesicherten Informationen zurückgreifen. Das BfArM rät ausdrücklich vor dem Rauchen eines Joints ab und empfiehlt stattdessen den Einsatz von Vaporisatoren, in denen Cannabis verdampft wird und damit nicht schädlich für die Lunge ist. Die Zubereitung als Tee ist laut BfArM weniger effizient, im Gegensatz zu Hanfgebäck.
Wer auch nur hin und wieder einen Joint raucht, kann seinen Führerschein schneller loswerden als alkoholisierte Autofahrer. Auch Gelegenheitskiffer, die nicht berauscht am Straßenverkehr teilgenommen haben, laufen also Gefahr, ihren Führerschein zu verlieren. Denn unter bestimmten Umständen reicht ein Nanogramm des Cannabis-Wirkstoffes THC pro Milliliter Blut für den Entzug der Fahrerlaubnis. Eine solch geringe THC-Menge im Körper ist zwar ein deutlicher Hinweis darauf, dass der Cannabis-Konsum bereits Tage zurückliegt – doch das spielt bei der Entscheidung keine Rolle. Selbst Mediziner und Juristen halten das für willkürlich, aber Gerichtsurteile dazu fallen immer noch regelmäßig hart aus. Zuletzt hat der Bundesgerichtshof (BGH) im April in einem Beschluss klargestellt, dass man mit Konsequenzen rechnen müsse, auch wenn der Konsum schon länger zurückliege (Az. 4 StR 422/15). Wie man seinen Cannabis-Gehalt im Blut als Konsument selbst einschätzen könne, dazu machte der BGH allerdings keine Angeben. Laut Deutschen Hanf Verband (DHV) ist der Führerscheinentzug mittlerweile für Cannabiskonsumenten eine größere Gefahr als die Strafverfolgung. Deshalb hat der DHV den „Hanfführerschein“ mit Tipps herausgegeben, wie sich Kiffer mit Führerschein bei Fahrkontrollen verhalten sollten. Dazu gehört unter anderem, dass man auf keinen Fall Angaben zu den eigenen Konsumgewohnheiten machen sollte, weil das unter Umständen den Führerschein kosten könne. Ebenso wenig sollte man sein Einverständnis zu einem Drogenschnelltest geben, da dieser auch den schon Tage zurückliegenden Konsum aufdeckt und damit eine Blutentnahme rechtfertigt. Wenn dennoch eine Blutentnahme erfolgt, sollte der Cannabiskonsum umgehend eingestellt werden, da ein Verkehrsverstoß vorliegen kann und eine teure Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) droht, mit der die Fahreignung des Antragstellers beurteilt werden soll. Der Hanfführerschein kann für 10 Cent u. a. beim DHV bestellt werden, http://hanfverband-shop.de OS
Den Ärzten gibt die Zulassung von Medizinhanf große Freiheit an die Hand. So ist nicht festgelegt, bei welchen Krankheiten Ärzte Hanf verschreiben dürfen. Ob darin ein Missbrauchspotenzial steckt, möchte die Bundesdrogenbeauftragte Marlene Mortler auf Anfrage der taz nicht kommentieren.
Dass die Nachfrage steigt, bestätigte unlängst der Apotheker Philipp Böhmer gegenüber der Deutschen Apotheker Zeitung. Er selbst habe bisher aber noch keine Lieferengpässe erlebt. Die meisten der Patienten, die er mit Medizinalhanf versorgt, behandeln damit ihre Spastiken bei Multipler Sklerose oder starke Schmerzen. Weil die positive Wirkung der verschiedenen Mittel bislang nicht durch Studien belegt sei, stütze man sich weitgehend auf Patientenberichte.
Dass Cannabis helfen könne, aber eben „kein Wundermittel“ sei, unterstreicht Dr. Gerhard Müller-Schwefe, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin. Man dürfe vor allem nicht vergessen, dass Cannabis auch akute Psychosen und schizophrene Schübe auslösen könne, so Müller-Schwefe.
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